Papst-Vertraute: Franziskus möchte Zölibat abschaffen

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Clelia Luro gilt als enge Freundin des Papstes, mit dem sie seit vielen Jahren in Kontakt steht. Im Gespräch mit der "Presse" lässt sie durchblicken, dass Franziskus langfristig auch den Zölibat zum Thema machen will.

Der Anruf kommt stets sonntags, morgens um elf. „Buenos Dias“, grüßt dann eine sanfte, etwas hohe Männerstimme, „darf ich mit der Señora Clelia sprechen?“ Er ist der Mann, den Clelia Luro in ihren Briefen mit „Lieber Freund“ anschreibt. Den sie duzt, den sie „Jorge“ nennt. Er ist der Papst.

„Er ist der erste Papst, der mich mag“, sagt die Frau, die mehr als die Hälfte ihrer 87 Lebensjahre mit den Päpsten kämpfte, mit deren Apparat in Rom, den sie „die Institution“ nennt. Im Vatikan liegt eine Akte über sie, eine der wenigen Frauen, die jemals einen Bischof ehelichten, die Lateinamerikas Vereinigung verheirateter Priester anführte. Die Rebellin Clelia Luro zählt zu den engsten Freunden von Franziskus. Früher rief er sie jeden Sonntag an. Nun alle zwei Wochen. „Du bist eine Hexe“, sagt er manchmal zu ihr und lacht. Andere in Rom sagen das ohne zu lachen.

Sie war aus der Provinz Salta nach Buenos Aires zurückgekehrt, damals 1966, allein, mit 40 Jahren, sechs Töchtern und voller Wut über Armut und soziale Ungleichheit, die sie in den Zuckerrohrfeldern von Ledesma erlebte. Schnell fand die Tochter aus katholischem, großbürgerlichem Haus zu einem anderen wütenden Katholiken, er hieß Jerónimo Podestá und war der Bischof des Industrievorortes Avellaneda. Clelia wurde die Sekretärin des Bischofs und seine Kampfgefährtin, beide hatten sich der Befreiungstheologie verschrieben, jener lateinamerikanischen „Stimme der Armen“ gegen den Großgrundbesitz, gegen die Militärs und gegen die Amtskirchen, die zumeist mit den Mächtigen im Bunde standen.

Nähe zu einer geschiedenen Frau

Es waren unruhige Zeiten, nach der kubanischen Revolution gärte es in ganz Lateinamerika. Argentiniens Militärs erputschten sich 1967 die Macht und deren Anführer bestellte den charismatischen Armenbischof zu sich, um ihm zu sagen, er sei ab jetzt Staatsfeind Nummer eins. Die Militärs und der verbündete apostolische Nuntius bewegten Rom, Podestá 1967 zum Rücktritt zu drängen. Papst Paul VI. und dessen Staatssekretär Giovanni Bennelli machten Druck, auch wegen des Bischofs Nähe zu dieser geschiedenen Frau.

Bis zu Podestás Rücktritt war die Zuneigung zwischen dem Geistlichen und seiner Sekretärin rein platonisch. Dass daraus danach eine offen gelebte Liebe zwischen Mann und Frau wurde, brachte Rom 1972 schließlich dazu, Podestá zu exkommunizieren. 1974 musste das vom brasilianischen Befreiungs-erzbischof Helder Camara getraute Ehepaar nach Morddrohungen aus Argentinien fliehen, es folgten Exil und Armut. „Die Kirche hatte uns verstoßen“, sagt Clelia Luro. Auch als 1983 die Demokratie nach Argentinien zurückkam, bekam Podestá keine Chance mehr. Alle Briefe an Johannes Paul II. blieben ebenso unbeantwortet wie jene an den Leiter der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger. Der Bannstrahl traf den Bischof, dessen größte Sünde die Liebe war, beinahe bis zu seinem Tod.

In Podestás 80. Lebensjahr empfing ihn der Erzbischof von Buenos Aires. Die Audienz, die eine Stunde dauern sollte, währte wesentlich länger. Doch Jerónimo Podestás krankes Herz erlaubte nur dieses eine Treffen. Als der Erzbischof den Rebellen 15 Tage später wiedersah, lag dieser im Koma. „Ich hielt seine Hand und er drückte sie“, erzählte er später der Witwe. „Dass der oberste Kirchenvertreter des Landes an sein Sterbebett kam, muss für Jerónimo eine wirkliche Erlösung gewesen sein“, sagt Clelia Luro heute und sie glaubt, dass ihr Mann nur deshalb erlöst wurde, weil dieser Erzbischof Jorge Mario Bergoglio war – der heutige Papst.

Sonntägliche Gespräche

Die Audienz nach dem Tode ihres Mannes war der Grundstein für jene Freundschaft, die Clelia Luro und Jorge Bergoglio bis zum heutigen Tage verbindet. Am Anfang war er der Seelsorger, der ihre Trauer auffing mit seinen Anrufen, immer sonntags um drei Uhr nachmittags. Bergoglio half auch konkret, bei Schwierigkeiten in ihrer bröckelnden Villa oder vor Gericht, wo sie erstritt, dass die katholische Kirche ihr bis heute die Bischofspension ihres Gatten auszahlen muss, gewiss ein weltweiter Einzelfall.

„Bergoglio half mir, zumindest einen Teil jener Ungerechtigkeit gutzumachen, die uns die katholische Kirche angetan hat“, erklärt Clelia Luro. Doch allmählich wurden die sonntäglichen Gespräche ein Geben und Nehmen. Clelia Luro wurde für Bergoglio zur Bastion. „Ich war die Einzige, die ihn verteidigte, als alle Welt schlecht über ihn redete“, sagt sie. Es ging um die Gerüchte über seine angebliche Mitschuld an der Verhaftung von zwei Armenpriestern 1976. „Bergoglio hat die beiden nicht ausgeliefert.“

Clelia Luro drängte Bergoglio jahrelang, sich zu wehren. Mit ihrer resoluten Art sagt sie über den Mann, den „Time“ gerade zum „Papst des Volkes“ ausrief: „Manchmal muss ich ihn tadeln. Einmal sagte ich ihm: Niemand spricht zu dir wie ich – und er gab mir recht und dankte dafür.“ Schon in einem ihrer ersten Gespräche sagte er zu ihr: „Jerónimo hat dich zurückgelassen, damit du mir beim Denken hilfst.“

Gebete für Bergoglio

Clelia Luro hat sehr viel nachgedacht und sehr viel gearbeitet, ungeachtet ihres hohen Alters. Sie verfasste ihre Autobiografie und jene ihres Mannes, im April erschien eine Auswahl ihrer Briefe in Buchform. Zwei davon sind an den Papst Franziskus gerichtet, den sie immer noch mit „Lieber Freund“ anschreibt. Ehe Bergoglio zum Konklave nach Rom aufbrach, bat er Clelia wie immer darum, für ihn zu beten. Und sie bat in ihren Gebeten den Herrgott darum, Bergoglio zum Papst zu machen. „Die Kirche brauchte dringend einen Papst wie ihn“, sagt sie.

In seinem ersten Anruf nach der Papstwahl scherzte Franziskus: „Nun, jetzt bist du sicher erschrocken. Aber ich bin dir nicht gram, denn du hast mich ja nicht gewählt.“ Clelia Luro weiß, dass Bergoglio nie Papst werden wollte. Und sie weiß, dass Franziskus seine Mission voller Freude erfüllt. Sie sieht es ihm an – auf den Fernsehbildern vom Petersplatz.

Kürzlich hat sie ihn getadelt, weil er mit seinem Jeep im strömenden Regen zu seinen Schäfchen fuhr. „Ohne Schutz, nicht mal eine Plastikplane hatte er auf dem Auto!“ Er antwortete, dass diese Leute ja auch nass geworden seien, während sie auf ihn gewartet haben. Dabei ist der Regen nur ihre kleinste Sorge. „Er muss durchgreifen, in der Vatikanbank und in der Kurie“, sagt Clelia, die sicher ist, dass alle Briefe, die sie nach Rom schickt, gelesen werden, ehe sie den Adressaten erreichen, und dass ihre Telefonate – wie früher schon in Argentinien – auf irgendwelchen Speicherchips landen. Sie hofft, dass das von Franziskus nominierte Kardinalskollegium ab Oktober tatsächlich die Vormacht der Kurie brechen kann.

Luro will Zölibat fallen sehen

Und natürlich hofft sie darauf, dass sie es noch erleben darf, den Zölibat fallen zu sehen. Wird der Papst den Zölibat anfassen? „Ja, aber jetzt noch nicht. Ich habe ihn gebeten, jetzt noch nichts zu unternehmen“, sagt Clelia Luro. „Er sagt mir, du hast recht. Bitte deine Pfarrer, dass sie Ruhe bewahren.“ Clelia hat angeboten, dass ihr Verband von mehr als 100.000 verheirateten Priestern mindestens ein Jahr lang das Thema nicht aufbringt. Sie weiß, welche Reaktionen eine Entscheidung rund um den Zölibat nach sich zöge: „Mehr als einer schneidet dir dafür den Kopf ab“, sagt sie.

Franziskus' erste Auslandsreise diese Woche bereitet ihr Unbehagen – auch, weil der Papst nicht im kugelsicheren Papamobil chauffiert werden möchte. „In Brasilien brodelt es und er fliegt nach Rio, ins Zentrum der Unzufriedenheit.“ In ihrem letzten Gespräch war Freund Franziskus voller Vorfreude. Er sagte: „Mach dir bitte keine Sorgen, mir passiert nichts. Gott wird mich beschützen.“

Auf einen Blick

Heute, Montag, wird Papst Franziskus anlässlich seiner ersten Auslandsreise in Brasilien erwartet. Zeitgleich mit seinem Aufenthalt findet der Weltjugendtag in der Metropole Rio de Janeiro statt.
Der Papst wird am Donnerstag mit den Jugendlichen – es werden mehr als zwei Millionen Teilnehmer erwartet – zusammentreffen. Wie schon im Vatikan wird Franziskus in Rio de Janeiro im weißen Jeep an der Menge vorbeifahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2013)

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