Pensionen: Kein Grund zur Panik! Sorge wäre aber angebracht

Der Staatsschuldenausschuss befasst sich mit Schulden und Haftungen, übersieht aber künftige Verpflichtungen aus dem Sozialbereich.

Den zuständigen Regierungsmitgliedern und Interessenvertretern diverser Bevölkerungs- und Altersgruppen ist recht zu geben: Grund zur Panik besteht derzeit nicht.

Umso mehr Grund zu ernster Sorge! Da hat doch gerade das industrienahe Institut Eco-Austria dokumentiert, dass die Staatsschulden dreimal so hoch seien wie behauptet, wenn man die künftigen Pensionsansprüche zu den Staatsschulden addiert.

Richtig: Das sind künftige Verpflichtungen des Staates, also der künftigen Steuerzahler, gegenüber denen, die dann Anspruch auf eine öffentliche Pension haben. Wenn also die Staatsschulden in Wirklichkeit bereits 251 Prozent des BIPs erreicht haben, statt der immer ausgewiesenen 73 Prozent, mit denen die Finanzministerin kaum zurechtkommt, wie kann man da behaupten, die Pensionen seien gesichert? Die Diskussion über diese Schicksalsfrage der künftigen Gesellschaft pendelt zwischen Extrempositionen auf Basis von Halbwahrheiten. Seit Jahren. Ernsthafte Analyse wird möglichst unterbunden: Man solle nicht schlafende Hunde wecken, schon gar nicht den Teufel an die Wand malen.

Schrille Dissonanzen

Die Bevölkerung ist durch die schrillen Dissonanzen aber längst beunruhigt. Die Fähigkeit der Politik, der österreichischen wie der europäischen, mit epochalen Problemen fertigzuwerden, hat ohnehin keinen Kredit mehr.

Die abgegriffenen Schlagworte von der Sicherung der Pensionen, der Arbeitsplätze, der Jugendbeschäftigung, des Standorts etc. können Österreicherinnen und Österreicher schon nicht mehr hören.

Und sie glauben auch nicht mehr an Konjunkturprogramme tief unter der Koralm, finanziert aus Rücklagen (welchen?), wenn kein Geld für überfällige Reformen des Bildungssystems vorhanden ist.

Angesehene Fachleute, die immer deutlicher nach ernsthaften Analysen der Budgetperspektiven rufen, werden der öffentlichen Unverantwortlichkeit bezichtigt. Es ist aber nicht Wichtigtuerei, wenn sie Antworten erarbeiten wollen zu den Fragen: „Die Pensionen sind gesichert: Wie hoch? Wie lange? Gemessen woran? Unter welchen Bedingungen, welcher Wirtschaftsentwicklung? Welche Risken sind einzukalkulieren?“

„Die Pensionen sind gesichert“: die Finanzierung der Langzeitpflege ebenso? Oder die des Gesundheitssystems, die nicht nur, aber auch mit der Alterung zusammenhängt? Was bedeutet „laufende Staatszuschüsse an das Pensionssystem?“ Doch nur, dass ein defizitärer Staatshaushalt Pensionen mit neuen Schulden finanziert.

Wer wird denn diese Schulden bezahlen? Halbwahre Antwort, gleichfalls regelmäßig wie das Amen im Gebet, ebenfalls polemisch verzerrt: „Die junge Generation“, die wird Schulden erben. Ja, aber Schulden werden gleichzeitig und im gleichen Umfang vererbt wie Ansprüche von Gläubigern. Da entstehen Verteilungsfragen, nicht nur zwischen Generationen, sondern auch innerhalb einer Generation und zwischen Österreich und der übrigen Welt.

Scheingenaue Statistik

Manche versuchen es mit scheingenauer Statistik: mit einem „Nachhaltigkeitsranking“ die Stiftung Marktwirtschaft (der deutschen Wirtschaft, nicht der EU-Kommission, wie behauptet). Da liegt Österreich (2012) unter 27 EU-Staaten an zwölfter Stelle zwischen Litauen und Malta. Am nachhaltigsten seien die Staatsfinanzen in Italien und Lettland gesichert, am wenigsten in Luxemburg! Wem ein solcher Käse in den interessenpolitischen Kram passt, geniert sich nicht, damit PR zu machen. Hingegen: „Österreich liegt bei der Generationengerechtigkeit im unteren Mittelfeld“ (Studie der Bertelsmann-Stiftung, 2013). Unsere Kinder werden sich einmal damit abfinden müssen, dass ihnen der „Intergenerational Justice Index“ 2013 in Österreich den Platz 20 unter 29 OECD-Staaten zugewiesen hat. Immerhin verspricht ihre Zukunft noch immer „gerechter“ zu werden als jene der jungen Italiener. Der italienischen? Ja, in diametralem Gegensatz zum obigen Nachhaltigkeitsindex, in dem Italien (wer weiß wie?) brilliert, sieht's dort angeblich mit der Generationengerechtigkeit ganz schlecht aus. Im Vorfeld der WM geht es offenbar ohne Fußballliga-Tabellen nicht mehr. Lieber Herr Liessmann, Unbildung ist vielleicht weniger gefährlich als penetrante Halbbildung.

Nun also der „Schulden-Check“ der Industriellen. Der Autor, Ulrich Schuh, ein Mann mit Erfahrung und Expertise, wird selbst bestätigen, dass die Methode der Generationenbuchführung (generational accounting) nur ein Schlaglicht wirft auf ein viel komplexeres ökonomisches und noch mehr außerökonomisches Bündel an Zusammenhängen, die wirklich nicht mit einer Zahl ausgeleuchtet werden können. Aber eines ist schon richtig: Die Bedrohung durch verschleppte Staatsreformen wird grell beleuchtet.

Um das zu überschauen, gibt es doch Institutionen? Leider waren weder der Pensionsbeirat noch der Staatsschuldenausschuss – nicht nur infolge ihrer interessenpolitischen Eingebundenheit – in der Lage, ein umfassendes Bild der Staatsfinanzen auf etwas längere Sicht zu erarbeiten.

Der Pensionsbeirat beschäftigt sich mit dem „Pensionssystem“. Damit lässt er das „Pflegesystem“, das „Gesundheitssystem“ und andere unabweisbare öffentliche Aufgaben außer Acht. Auf längere Sicht gibt es aber kein separates „Pensionssystem“ – das ist eine formaljuristische Fiktion – nur mehr oder minder dringende Staatsaufgaben, deren Finanzierung unter anderem mit der Demografie zusammenhängt und die miteinander konkurrieren. (Übrigens: Vergesst 2060! Das weiß ohnehin niemand. Rechnet mit 2030, da sieht es viel dramatischer aus.)

Haarsträubende Kakofonie

Der Staatsschuldenausschuss hingegen befasst sich mit den Finanzschulden und den Haftungen des Staates, aber nicht mit unvermeidlich künftig auftretenden Verpflichtungen aus dem Sozialbereich und anderen Eventualverpflichtungen.

To whom it may concern: Dramatisch überfällig wäre, ein hoch qualifiziertes, interessenungebundenes Team – unter Beiziehung von ausländischen Experten – damit zu betrauen, endlich umfassende strategische Grundlagen für die Staatsfinanzen und die Generationenfrage zu erarbeiten. Die Arbeitsphase: bis ein Jahr nach Regierungsbildung. Der Zeithorizont: 2030. Das Team hätte Lücken zu schließen, umstrittene Hypothesen auszudiskutieren, verbleibenden Dissens explizit zu machen.

Entgegen der politischen Kakofonie an Aussagen mit Konsequenz für die Staatsfinanzen – die wird sich im Wahlkampf noch haarsträubend steigern –, ist der Konsens unter seriösen und anerkannten Fachleuten viel größer, als die Schlagzeilen vermuten lassen. Die Sache ist sehr dringend, um eine Situation zu vermeiden, in der tatsächlich Grund zur Panik bestehen könnte.

Zur Person


E-Mails an: debatte@diepresse.comProf. Helmut Kramer (geboren 1939 in Bregenz), von 1981 bis 2005 Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), ab 1990 Honorarprofessor an der Universität Wien, 2005 bis 2007 Rektor der Donau-Universität Krems, derzeit Vorsitzender der Österreichischen Plattform für Interdisziplinäre Alternsfragen. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2013)

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