Die erste Auslandsreise führt Franziskus auf seinen Heimatkontinent. In Brasilien hat er bereits 2007 bei einer Bischofskonferenz Solidarität und Gerechtigkeit gefordert.
Weg von Rom und heim an die Peripherie führt die erste Fernreise den neuen Papst aus Südamerika, zugleich auch in ein Kraftzentrum seiner Kirche. Franziskus besucht seit Montag Brasilien, das größte Land des Kontinents mit den meisten Katholiken weltweit. Zwar haben Evangelikale in den letzten Jahrzehnten massiv an Zulauf gewonnen, von 190 Millionen Brasilianern sind aber noch immer 123 Millionen Katholiken. Im Mittelpunkt der Reise steht der Weltjugendtag in Rio de Janeiro, den zu besuchen bereits Benedikt XVI. versprochen hat. Nun wird sein Nachfolger aus Argentinien die jungen Massen an der Copacabana treffen.
Was wird der Papst den Gläubigen, aber auch den Anders- und Nichtgläubigen von Brasilien aus zu sagen haben? Eines scheint durch die Agenda bereits gewiss. Er wirbt nicht nur um die Jugend, sondern setzt sich auch speziell für die Erniedrigten ein, so wie er das bei seinem spektakulären Besuch der Insel Lampedusa vor zwei Wochen getan hat, als er sich dort mit Flüchtlingen aus der Dritten Welt getroffen hat, die v.a. aus Afrika nach Europa drängen. Ihnen, so der Appell an uns laue Privilegierte der Industrieländer, solle man die Herzen öffnen.
Der Papst wird in Brasilien auch ein Armenviertel im Norden von Rio aufsuchen, Varginha im Slum von Manguinhos. Das ist ein starkes Zeichen, wie es schon Papst Johannes Paul II. 1980 mit dem Besuch einer Favela gesetzt hat. Zudem wird Franziskus zu einer Marien-Wallfahrtsstätte bei São Paulo pilgern, nach Aparecida do Norte, wo es 1717 eine Erscheinung der Gottesmutter gegeben haben soll. Acht Millionen Gläubige zieht es dort jährlich hin. Dort nahm auch der Papst als Erzbischof von Buenos Aires 2007 an einer Bischofskonferenz Lateinamerikas teil.
Die damals von Kardinal Jorge Mario Bergoglio mitgeprägte Botschaft, die von einer Evangelisierung des Kontinents spricht, erinnert in einem Kapitel an die Aussagen in Lampedusa. Sie verdammt „die Gier des Marktes“, sie tritt kompromisslos für menschliche Würde ein, sie fordert die „Globalisierung der Solidarität und internationale Gerechtigkeit“. Nichts Menschliches sei Jesus fremd, heißt es in dem Papier. Franziskus, der pragmatisch sich auf die Welt einlassende Ordensmann, schien einst durchaus auch Sympathien für die lateinamerikanische Theologie der Befreiung gehegt zu haben, die unter Johannes Paul II. in den Achtzigerjahren unter Druck geraten war und streng diszipliniert wurde. Allerdings fand sie in Argentinien einen milderen Ausdruck als in den marxistisch geprägten Formen in Mittelamerika. Bergoglios Lehrer Lucio Gera nannte die Reformbestrebung in den Sechzigerjahren eine „Theologie des Volkes“.
Im Vergleich zu den Zeichen, die Franziskus ganz im Sinne seines Namenspatrons, des heiligen Franz von Assisi, bisher gesetzt hat, sind solche Unterscheidungen jedoch doktrinäre Finessen, die eher seinen Vorgänger beschäftigt haben. Auch die erste, soeben von Franziskus veröffentlichte Enzyklika, „Licht des Glaubens“, die Religion und Vernunft zu versöhnen sucht, trägt noch die Handschrift von Benedikt XVI. Bruchlos wird dessen Theologie in einer Zeit des Umbruchs fortgeführt. Revolutionen der Lehre sind nicht zu erwarten.
Eher in der Praxis. Dem neuen Papst, der Missstände im Vatikan forsch anprangert, der seine Bescheidenheit täglich demonstriert, indem er öffentliche Verkehrsmittel nimmt, nicht im Palast, sondern in einer viel bescheideneren Herberge im Vatikan wohnt, nehmen nicht nur Strenggläubige bereitwillig ab, dass er es ernst meint, wenn er die christliche Botschaft verkündet, und dabei vor allem die Nächstenliebe.
Der Papst als Kritiker des Kapitalismus – das hat sich auch bei seinen Vorgängern bewährt, lange bevor der Kalte Krieg mit der Niederlage des Kommunismus zu Ende gegangen ist. Bei keinem aber seit Johannes XXIII. wirkt die Botschaft so authentisch wie bei dem „franziskanischen“ Jesuiten.
Er ist auf Bekehrung aus. Wer weiß, vielleicht geht es längst um Remissionierung. Das Motto des Weltjugendtages, das noch der alte Papst gewählt hat, lautet: „Geht hin und macht zu Jüngern alle Völker der Erde.“ Damit ist von Rio aus auch Europa gemeint.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2013)