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Nachrichten Meinung Magazin
Detroit

Detroit: Zwischen Verfall und Aufbruch

"Presse"-Korrespondent Oliver Grimm ist durch die schrumpfende US-Stadt gereist, die von Tag zu Tag mehr verfällt. Ein Lokalaugenschein.
26.07.2013 um 11:49
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Hauptbild • Detroit verfällt • (c) Die Presse (Oliver Grimm)
Zwei von drei Detroitern haben ihre Stadt seit ihrer Glanzzeit Anfang der 1950-Jahre verlassen. Weniger als 700.000 Menschen leben noch in der Stadt, die mit 18 Milliarden Dollar (13,7 Milliarden Euro) Schulden bankrott ist. Zurück blieben rund 80.000 Häuserruinen wie diese hier; jedes zweite stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Doch es fehlt das Geld, sie abzureißen.

Presse-Korrespondent Oliver Grimm ist durch die schrumpfende US-Stadt gereist, die von Tag zu Tag mehr verfällt. Ein Lokalaugenschein.
(c) Oliver Grimm
Vor 110 Jahren öffnete die Packard-Autofabrik ihre Tore. Vor 55 Jahren schloss die Fabrik, auf deren 325.000 Quadratmetern Werksgelände Autos der Marken „Packard“ und „Studebaker“ gebaut wurden. Seither verfällt der Bau, den der berühmte deutsch-amerikanische Industriearchitekt Albert Kahn geplant hat. Dieser Tage hat der Immobilientycoon Bill Hults angekündigt, Kahns Architektenbüro mit Sanierung und Umbau der Fabriksgebäudes zu beauftragen.
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Detroits Glück war für die Central Michigan Station ein Pech: Just im Jahr 1913, als dieser Bahnhof im Herzen der Stadt eröffnet wurde, kündigte Henry Ford den Fünf-Dollar-Tag an. So viel sollte jeder seiner Arbeiter verdienen. Damit schuf er die amerikanische Mittelklasse und kurbelte die Nachfrage nach seinen Autos an. Der letzte Zug verließ den Bahnhof am 6. Jänner 1988. Das Gebäude – übrigens von denselben Architekten wie die Grand Central Station in New York gebaut und im selben Jahr eröffnet – gehört heute der Familie des Immobilienhais Matty Moroun. Sie besitzt auch die Ambassador Bridge, die einzige Brücke über den Detroit River nach Kanada. Kritik am Verfall des Bahnhofs lässt die Morouns ungerührt; sie setzen auf die rasch fortschreitende Gentrifizierung des Stadtteils rund um das Gebäude, die ihren Immobilienbesitz von Monat zu Monat wertvoller macht.
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Bürgermeister David Bing wollte den Detroit City Airport auf der besonders heruntergekommenen East Side der Stadt schließen. Doch die US-Luftfahrtbehörde FAA hat ihr Veto aus Gründen der Flugsicherheit eingelegt. Zehn Lotsen machen hier vorläufig weiter Dienst. Der Passagierterminal ist allerdings gesperrt, Linienflüge gibt es keine mehr. Dafür wächst an der Landepiste aus einer vergammelnden einmotorigen Maschine ein Busch.
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Flugstunden nimmt hier niemand mehr. Die Stadt möchte den Detroit City Airport verkaufen. Zu den Plänen für die Neunutzung zählt auch die Einrichtung eines Drohnen-Testzentrums. Problem: Es wohnen noch immer zu viele Anrainer zu nahe am Flughafengelände.
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Graham Beal hat keinen leichten Job. Als Direktor des Detroit Institute of Arts, des fünftgrößten Museums der USA, muss er seine gut 60.000 Stücke umfassende Sammlung gegen Verkaufsversuche des Notverwalters der Stadt verteidigen. „Allen Gerüchten zum Trotz: die werden nicht verkauft“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“ über die Kabinettstücke von Van Gogh, Tintoretto, Bruegel, Cezanne und Matisse.
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An dieser Straßenecke kam es im Frühling 1942 zu Massenschlägereien zwischen Weißen und Schwarzen. Letztere hätten in die „Sojourner Truth Projects“ einziehen sollen, eine Anlage von staatlich geförderten Sozialwohnungen. Die Weißen, mehrheitlich arme Arbeiter polnischer Herkunft, litten ebenso unter Wohnungsnot wie die Schwarzen und ließen sich von rassistischen Agitatoren des Ku Klux Klan manipulieren. Erst der Einsatz von mehr als 3000 Polizisten und Nationalgardisten ermöglichte den Einzug der Schwarzen.
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Die Verbrechensrate in Detroit ist eine der höchsten der USA. Nirgendwo gibt es so viele Morde, nirgendwo werden sie so selten aufgeklärt. Das hat einen Markt für „Bail Agencies“ geschaffen. Das sind Agenturen, die Kautionen finanzieren. „One Stop bail-bond shopping: Wir schicken einen unserer Agenten direkt zu Ihnen ins Gefängnis”, wirbt die Agentur, die diesen Kleinbus strategisch günstig an der Nevada Avenue East postiert hat.
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Autobarone wie Henry Ford trugen wesentlich dazu bei, dass die Rassentrennung in Detroit heute so ausgeprägt ist wie in keiner anderen amerikanischen Stadt. Ford setzte schwarze Arbeiter als Streikbrecher gegen die weißen Gewerkschafter ein. Von einem gemeinsamen Einsatz für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Lohn, wie er auf diesem Plakat aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs im Ford-Museum in Dearbon beschworen wird, war lange Zeit nichts zu sehen.
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Das „Heidelberg Project“ ist gewissermaßen symptomatisch für Detroits Misere. 1986 vom Künstler Tyree Guyton gegründet, wurde es rasch zum Stolz der Anwohner. Viele beteiligten sich. Dennoch ließ die Stadtverwaltung zweimal Häuser des „Heidelberg Projects“ abreißen; wegen Verstößen gegen die Bauordnung.
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Heute zieht das „Heidelberg Project“ Touristen aus aller Welt an; auch das Mannequin Kate Moss hat sich hier fotografieren lassen. Die Kunstwerke stehen im Freien, zerstört werden sie so gut wie nie. „Hier gibt es kaum Verbrechen und keine sozialen Spannungen, weil es hier keine Immobilienspekulation gibt“, sagt Nick Tobier, der an der University of Michigan Kunst lehrt, bei einer Tour durch Detroit zur „Presse“. Anders ausgedrückt: Diese Gegend ist so verwahrlost, dass keiner der großen Baulöwen investieren will.
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Doch Hoffnung sprießt. Viele Detroiter nehmen ihr Schicksal selber in die Hand. 1997 gründete der Kapuzinermönch Rick Samyn „Earthworks Urban Farms“. Dort lernen die Kinder, dass Lebensmittel nicht aus dem Tankstellenshop kommen (Supermärkte gibt es in vielen Vierteln Detroits nicht), indem sie selber Gemüsegärten betreiben.
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Auf zahlreichen verlassenen Grundstücken entstehen solche Stadtgärten. Sie ermöglichen billige und gesunde Ernährung und manchmal kleine Einkünfte durch den Verkauf auf Wochenendmärkten.
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Die beiden Mitzwanziger Ty und Donnie pflanzen im verlassenen Robinwood-Park Salate, Karotten, Paradeiser und Kräuter. „Detroit ist die beste Stadt. Wenn du weißt, wie du dich organisierst, kannst du hier viel freies Land finden, weil die Stadt ein derartiges Chaos ist“, sagt Donnie.
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„Occupy Yourself“ ist Name und Motiv der Farm von Donnie und Ty. „Es hat doch keinen Sinn, Essen zu kaufen, wenn man es selber anbauen kann“, sagt Donnie.
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Liegt also das Schlimmste hinter Detroit? Viel wird davon abhängen, wie das Insolvenzverfahren ausgeht – und davon, ob das jahrzehntelang schwer korrupte und unfähige politische System die Bemühungen der Bürger, sich selber eine Zukunft zu schaffen, nicht mit Verwaltungsschikanen untergräbt.
(c) Oliver Grimm

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