"Gawain": Salzburger Heldenverehrung

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Harrison Birtwistles »Gawain«, die erste Opernpremiere der Salzburger Festspielsaison, bleibt trotz eindrucksvoller Momente weitgehend zäh.

König Artus' Tafelrunde räkelt sich auf welkem Lorbeer. Längst hat die Beschwörung vergangener Heldentaten Mut und Entschlossenheit abgelöst. Aus der schulterklopfenden Trägheit reißt den Hof aber ein geheimnisvoller Grüner Ritter, der die Kämpen schmäht und herausfordert: Finde sich einer, der es wage, ihm den Kopf abzuhauen, dann solle dieser über Jahr und Tag sich ihm stellen, dem Grünen Ritter, weit im Norden, an der Grünen Kapelle, und dort den Gegenschlag hinnehmen. Sir Gawain lässt sich darauf ein und enthauptet den Fremden, der seinen Kopf nimmt und abzieht. Gawains Prüfungszeit beginnt.

Eine mittelalterliche Ritterwelt zwischen christlichen und heidnischen Einflüssen, spiralförmige Wege von Entwicklung und Erkenntnis, die an den gleichen, freilich veränderten Ort zurückkehren, Ereignisse, die auf märchenhaft rituelle Weise dreimal vorkommen: Vieles in der Oper „Gawain“ des nun 79-jährigen Komponisten Harrison Birtwistle erinnert an Wagner. 1991 in London uraufgeführt, 1994 revidiert und nun statt der verschobenen Kurtág-Uraufführung auch in Salzburg gegeben, mag sie zum Wagner-Jahr auf einer Ebene ein spätes Echo darstellen, lässt inhaltlich natürlich „Parsifal“ anklingen oder auch die viel geschmähte Wissenswette im „Siegfried“, die freilich nicht bloß rekapituliert, sondern ihren konkreten, dramaturgischen Sinn hat. Im Libretto des sowohl für Lyrik als auch für TV-(Krimi-)Drehbücher bekannten David Harsent, den Birtwistle als Autor bevorzugt, setzen die sprachlichen wie szenischen Schleifen, Parallelen und Mäander hingegen eher abstrakte Philosopheme um, deren Begründung außerhalb der Handlung zu suchen ist. Zum Beispiel in Birtwistles Vorliebe für die verwandelnde Repetition, die mit Schönbergs „entwickelnder Variation“ wenig zu tun hat, sondern auf archaischen Prinzipien von Kult und Ritus basiert.

Düstere Musiksprache

Spannung bezieht die Partitur dadurch weniger aus einer dramatisch schlagkräftigen Untermauerung und Ausdeutung der Handlung, sondern vielmehr auf autonomer Ebene. Birtwistle verzichtet darauf, den Figuren über die verwendeten, meist nach oben hin ausgereizten Stimmlagen hinaus jeweils ganz eigenes Profil zu verleihen. Seine aus vielerlei reizvoll-klugen Instrumentalstücken bekannte Musiksprache bleibt hier dadurch allzu kompakt, homogen düster, ja sogar träge und, ein Paradoxon, auf letztlich laue Weise überhitzt. Und das trotz oder gerade wegen der in vielen opulenten Schichten organisierten Klangflächen, die sich subtil gegeneinander verschieben und dabei unterschiedliche Durchlässigkeit erweisen, zumindest im ersten Akt.

Dabei hat Ingo Metzmacher, in den letzten Jahren in Salzburg zum hochverdienten Ersten Kapellmeister für das 20. und 21.Jahrhundert geworden, mit dem überaus farbreich und differenziert spielenden ORF Radio-Symphonieorchester Wien glänzende Arbeit geleistet. Der an sich buntere, abwechslungsreichere zweite Akt mit seinen wiederkehrenden Jagd- und Verführungsklängen krankt dann spätestens an der schier endlos scheinenden Conclusio, in der sich der zurückgekehrte Gawain der ausbrechenden Heldenverehrung verweigern will. Das Dickicht der Partitur lässt sich beim ersten, zweiten Hören wohl nur von wenigen adäquat durchdringen und nachvollziehen, Reiz und Faszination aus Überforderung wollen sich aber auch nicht recht einstellen.

Ein Rollstuhl als Thron

Dazu trägt allerdings auch Alvis Hermanis das Seine bei. Der Regisseur siedelt das Geschehen in naher, durch eine globale Katastrophe geprägter Zukunft an. Artus (prägnant: Jeffrey Lloyd-Roberts) ist als einziges Herrschaftssymbol der Thron in Form eines Rollstuhls geblieben, sein Hof wird von Kannibalismus und Nekrophilie geprägt – ein Klima versehrter Entmenschlichung, in das Gawain in Gestalt des wegweisenden Künstlers Joseph Beuys tritt. Christopher Maltman, krankheitsbedingt stimmlich etwas rau, aber intensiv, spielt etliche von dessen Aktionen nach und wird dabei von einem fast allgegenwärtigen Bewegungschor sekundiert, der konvulsivisch zuckt, sich beschmiert oder unter Filz und Schaumstoff windet. Das wirkt so, als habe sich Hermanis um die eigentlichen Rätsel des Stücks gedrückt und sie durch andere Rätsel ersetzt und bebildert: Auch hier bleibt ein Mehrwert aus. Insgesamt also kein Vergleich mit den fulminanten „Soldaten“ aus dem Vorjahr vom selben Leading Team.

Höflichen Jubel gab es dennoch – nicht zuletzt für Laura Aikin als in höchsten Tönen ihre Ränke schmiedende Morgan le Fay, den unverwüstlichen Opernrecken John Tomlinson (Green Knight/Bertilak), Gun-Brit Barkmin (Guinevere), den Salzburger Bach-Chor sowie die Schöpfer Harsent und Birtwistle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2013)

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