Bayreuths "Walküre": So sah ich Siegvater nie...

Bayreuth Siegvater
Bayreuth Siegvater(c) EPA (ANDREAS�GEBERT)
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Der neue "Ring": Aus Frank Castorfs bewegten Bildern ist bei der "Walküre" die Luft draußen. Es bleibt altvertraut-gemütliches Stehtheater.

Die Bilderflut kam zum Erliegen. Mit Beginn des „Ersten Tags“ von Wagners Tetralogie zieht auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses beinah wieder altvertraut-gemütliches Stehtheater ein. Man spielt nicht mehr auf einer Tankstelle, sondern in einem zur gewaltigen Holzpawlatschen gezimmerten Bohrturm in Baku – und erlebt als Zeitreise dessen Inbesitznahme durch die Rothschilds (Hunding) und die Devastierung durch die russische Revolution. Wotans Scheitern ist bei Frank Castorf die Pervertierung der sozialistischen Idee.

So könnte man das zumindest aus Adriana Braga Peretzkis Kostümschau interpretieren. Der Chefideologe (oder weise Philosophen-Poet) mit Karl-Marx-(oder Tolstoi-)Wallebart ist bald glatt rasiert.

War es Lenin oder Stalin?

Bezeichnenderweise wissen die Beobachter in der zweiten Pause schon nicht mehr, ob die große Projektion der Titelseite der „Prawda“ nun Lenin oder Stalin (in Lenin-Pose) gezeigt hat. Fanatisierte Rebellen verrecken beim Sturm auf die Fabrik. Sie hängen dann nicht, wie von Wagner vorgeschrieben, den Walküren im Sattel – aber das zeigt ja ohnehin kein Regisseur der Welt. Sie liegen vielmehr mit schmerzverzerrten Gesichtern reglos auf den Treppen von Aleksandar Denic' gigantischer Bühnenkonstruktion.

„Eines will ich noch, das Ende“, hat Wotan eben noch gesungen. Schon erledigt, möchte man sagen. Kaputt gehen die Dinge ja bekanntlich rasch.

Es ist oft bemerkt worden, dass der erste Aufzug der „Walküre“ mit der berührenden Liebesgeschichte des Wälsungen-Zwillingspaars eine Oase inmitten des bösen Spiels vom notwendigen Sterben jeglicher politischer Vision darstellt. Als solche gibt man die 65 Minuten auch anlässlich der Neuinszenierung im Festspielhaus. Inmitten von Strohballen finden einander Siegmund und Sieglinde. Den Großunternehmer Hunding tricksen sie mittels eines Schlaftrunks aus – hier bewährt sich Castorfs filmische Begleitung glänzend: Man erlebt, wie die treu sorgende Gattin den Trank bereitet und sieht Franz Josef Selig in traumgequälten Schlummer versinken, während sich ein Stockwerk tiefer das schönste aller Liebesduette ereignet, von Johan Botha und Anja Kampe so leuchtkräftig gesungen, wie man es kaum je hören kann.

Kirill Petrenkos Einstudierungsarbeit trägt reiche Früchte. Schon die ersten Takte nach dem stürmische Vorspiel verraten den ganz aus der Deklamation geborenen stilistischen Weg: Grandios, wie Kampe mit Zehntelsekundenverzögerungen spürbar werden lässt, wie Sieglinde um Worte ringt, wie sie fassungslos der eigenen Emotion und sprachlos dem heimgekehrten Ehemann gegenübersteht. Selbst diese spannungsgeladenen Pausen nützt der Maestro, raffiniert disponierend, zu immer höherer Verdichtung.

Wolfgang Koch ist in diesem Zusammenhang der ideale Gestalter des Göttervaters, artikuliert den zentralen Monolog im Mittelakt mit Geschmeidigkeit und Eloquenz. Die berüchtigte, sonst oft endlos wirkende halbe Stunde vergeht wie im Flug. Schwer hat es dagegen die Brünnhilde von Catherine Foster, der es vor allem in der „Todesverkündigung“ an Kraft und dem nötigen heldischen Timbre gebricht. Im Finale hält sie sich achtbar, und da die Höhe – bis zum sicheren C – wirklich sitzt, dürfte die „Ring“-Fortsetzung zumindest im „Siegfried“ noch kein Problem darstellen...

Assoziation Wotan/Moses

Die „Götterdämmerung“ beschwört Claudia Mahnkes Fricka am Beginn des zweiten Aufzugs mit machtvollem und, wie sich herausstellt, unausweichlichem Gekeife herauf. Hier darf noch einmal auch geschmunzelt werden, denn die Assoziation Wotan/Moses, die von der Maske provoziert wird, erhält mit dem Erscheinen der Fricka-Kleopatra eine amüsante Pointe: Die Verbindung mit dieser Frau muss der arme Mann als eine Art ägyptische Gefangenschaft empfinden.

Man darf bei Castorf ja davon ausgehen, im „Siegfried“ mit dem Wanderer wieder einer ganz anderen Person zu begegnen. Das Gekreische seiner – jede wie aus einem anderen Stück hereingeschneiten – acht Töchter (nur die tieferen Stimmen klingen erträglich, die Soloeinsätze der höheren steigern sich bis hin zur Ortlinde in den Rang der akustischen Zumutung) gibt dem armen Wotan an diesem „ersten Tag“ der Tragödie jedenfalls den Rest.

Musikalisch ist der „Walkürenritt“ aufgrund der vokalen akustischen Zumutung der Schwachpunkt eines im Übrigen herrlich musizierten, wirklich großen Wagner-Abends. Dirigent Kirill Petrenko kostet mittels minuziöser Durchleuchtung und Aufhellung des Klanggefüges das koloristische Raffinement des Wagner'schen Orchesterklangs bis zur Neige aus. Darüber geht ihm der dramaturgische Spannungsbogen nie verloren. Eine Tugend, die Frank Castorf in Bezug auf sein Theater längst als unzeitgemäß verabschiedet hat, feiert in Tönen triumphale Auferstehung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2013)

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