Der Fahrer jenes Zuges, der mit Vollgas in eine Kurve nahe der Pilgerstadt Santiago de Compostela raste, wurde von der Polizei vernommen. Das Unglück mit 79 Toten wäre vermeidbar gewesen, sagt der Schienenbetreiber.
Madrid. Blumengestecke liegen neben der Todeskurve jener Bahnstrecke, wo am 24. Juli in der Nähe der nordspanischen Pilgerstadt Santiago de Compostela 79 Menschen starben. Daneben brennen Dutzende rote Grablichter. Die letzten Zugtrümmer des Alvia 730, der mit Vollgas in die Biegung gerast und mit großer Gewalt entgleist war, wurden am Montag beseitigt.
Lokführer Francisco José G. (52) gab in der Nacht auf Montag vor dem Untersuchungsrichter zu, viel zu schnell in die enge Kurve gefahren zu sein. Er habe „einen Fehler“ begangen, sagte er bei seiner Einvernahme. Er habe sich beim Streckenverlauf geirrt und die gefährliche Gleiskurve noch nicht erwartet. Als er seinen Irrtum gemerkt und gebremst habe, sei es schon zu spät gewesen.
20 Verletzte in kritischem Zustand
Der Schnellzug, der von Madrid in die Hafenstadt Ferrol fuhr, war mit Tempo 190 in die Kurve gerast. Das Limit lag aber an dieser Stelle bei 80 km/h. Von den 178 Verletzten befinden sich laut Medienberichten rund 20 noch in einem kritischen Zustand. Der Ermittlungsrichter beschuldigte den Zugführer der „fahrlässigen Tötung in 79 Fällen“, setzte den von der Polizei zunächst festgenommenen Mann aber auf freien Fuß. Wird er vor einem Gericht angeklagt und verurteilt, drohen Francisco José G. mehrere Jahre Haft. Züge steuern darf er schon jetzt nicht mehr, seine Lizenz wurde erst einmal einkassiert.
Unterdessen bestätigte der Chef des staatlichen Schienenbetreibers Adif, dass die Katastrophe mit dem modernen Sicherheitssystem ERTMS vermeidbar gewesen wäre. „Wenn man auf diesem Streckenabschnitt das ERTMS installiert hätte, wäre der Zug bei zu hoher Geschwindigkeit automatisch gebremst worden“, sagte Adif-Präsident Gonzalo Ferre.
Warum man dieses Zugleitsystem, das auch in Spanien benutzt wird, an der Unglücksstelle nicht eingebaut hat, sagte Ferre nicht. Spaniens Eisenbahngewerkschaften und unabhängige Experten haben dem Streckenbetreiber Adif sowie der Bahngesellschaft Renfe angelastet, eine gewisse Mitschuld an der Katastrophe zu tragen. Man habe nicht alles Menschenmögliche getan, um das Risiko eines „menschlichen Versagens“ auszuschalten.
Trauermesse mit Prinz
Die berühmte Kathedrale in Santiago de Compostela rüstete sich derweil für die offizielle Trauerfeier für die 79 Todesopfer der Tragödie. Zur Trauermesse mit tausenden Menschen wurden auch Prinz Felipe, Prinzessin Letizia sowie Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy erwartet.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2013)