Migration: Zuwanderung lässt sich kaum steuern

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Sogar wählerische Länder wie Australien können sich nur ein Viertel der Migranten selbst aussuchen. Nach Österreich kommen vor allem EU-Migranten und Familiennachzügler.

In einem sind sich die Regierungen in puncto Zuwanderung einig: Sie wollen die Besten. Auch die österreichische Rot-Weiß-Rot-Karte, die im Juli 2011 eingeführt wurde, soll besonders Hochqualifizierte, Fachkräfte in Mangelberufen und sogenannte Schlüsselkräfte anlocken. Von Experten heißt es regelmäßig: Ohne Zuwanderung überaltert und schrumpft die Gesellschaft. Daher brauche es Migration, um die Wirtschaft stabil und das Sozialsystem zu erhalten – Stichwort: Fachkräftemangel.

Nun ist Österreich bekanntlich nicht die erste Anlaufstelle für die Bestausgebildeten. Erst seit Kurzem steigt die Migration Hochqualifizierter an: Im ersten Jahr nach Einführung der Rot-Weiß-Rot-Karte hat sich die Zahl der qualifizierten Zuwanderer auf rund 1550 verdoppelt. Die Wirtschaftskammer geht davon aus, dass sich die Situation in den nächsten Jahren noch verbessert. Das heißt aber nicht, dass plötzlich ein Heer an Doppeldoktoren das Land flutet und die Niedrigqualifizierten ersetzt. Der Gestaltungsspielraum bei der Auswahl der Migranten ist geringer, als man glauben möchte: „Die Annahme, Migration ließe sich beliebig steuern, ist irrig“, sagt Thomas Liebig von der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

21 Prozent: Familienmigration

Liebig hat in Eigenregie einen Bericht verfasst, in dem er mit den „Mythen der Migration“ aufräumt. Wie eben mit jenem, dass sich Zuwanderung nach Wunsch planen lässt. Selbst wenn ein Land die richtigen Anreize setzt, kann es sich nur einen sehr kleinen Teil der Zuwanderer „aussuchen“. Nach Österreich etwa kommen zwei Drittel der Zuwanderer aus dem EU-Raum – der Bereich ist nicht gestaltbar. Denn die Personenfreizügigkeit regelt, dass EU-Bürger in jedem anderen EU-Land wohnen und arbeiten dürfen – sofern nicht andere Vereinbarungen getroffen wurden.

Elf Prozent entfallen laut Liebig auf humanitäre Migration. „Auch diese entzieht sich wegen völkerrechtlicher Verpflichtungen weitgehend der Steuerung.“ Besonders wegen der Genfer Konventionen, die alle OECD-Staaten ratifiziert haben. Und 21 Prozent sind in Österreich Familienmigration. Zwar ergebe sich aus dem Völkerrecht kein unbedingter Anspruch auf Familienmigration. „Aber generell wird das Recht, dass man jemanden heiraten und sich mit ihm in dem Land, in dem einer der beiden lebt, auch niederlassen darf, trotz einiger Einschränkungen nicht grundsätzlich infrage gestellt.“ Der Spielraum der meisten EU-Staaten ist darüber hinaus durch das Europarecht eingeschränkt – etwa durch die Richtlinie zum Recht auf Familienzusammenführung. So bleibt als praktisch einziger vollständig steuerbarer Bereich die Arbeitsmigration aus Drittstaaten. „Das sind in Österreich gerade zwei Prozent der dauerhaften Migration“, sagt Liebig.

Arbeitsmigranten aus Drittstaaten, die nicht im Rahmen der Familienmigration ins Land kommen, sind in der Regel gut ausgebildet und haben einen Arbeitsplatz sowie ein gewisses Einkommen in Aussicht. Das ist Voraussetzung für eine Aufenthaltsgenehmigung. 2011 kamen im Rahmen der EU-Personenfreizügigkeit etwa 38.000Menschen nach Österreich. Liebig geht als grobe Schätzung davon aus, dass rund die Hälfte davon Arbeitsmigranten waren. Im Vorjahr ließen sich rund 51.000 Ausländer in Österreich nieder, erstmals seit vielen Jahren kamen mehr Ungarn als Deutsche.

Das Problem mit der Steuerung hat nicht nur Österreich. In den USA sind drei Viertel der Zuwanderer Angehörige von Migranten. 2010 etwa kamen rund 70.000 Menschen als Arbeitsmigranten ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, lediglich sechs Prozent aller Zuwanderer. EU-weit waren laut Liebigs Bericht rund 40Prozent der mehr als 1,1 Millionen Menschen, die aus Drittländern dauerhaft in die EU einwanderten, Arbeitsmigranten. Zwar sei nicht genau zu beziffern, wie viele davon hoch qualifiziert waren. „Jedoch ist es in vielen europäischen Ländern in der Regel nur für Qualifizierte und Hochqualifizierte möglich, als dauerhafte Arbeitsmigranten aus Drittstaaten zuzuwandern.“

Einfach „umverteilen“ geht nicht

Sogar in Australien und Kanada, die als besonders wählerisch gelten, was ihre Migrationspolitik betrifft, wird lediglich ein Viertel der Zuwanderer als Arbeitsmigranten ausgesucht. Der Rest entfällt laut Liebig auf Familien- und humanitäre Einwanderung.

Und schließlich habe mehr gesteuerte Zuwanderung immer auch mehr Gesamtmigration zur Folge, weil Familienmitglieder in der Regel mitgebracht werden dürfen. „Regierungen können also nicht einfach ,umverteilen‘ und sagen: ,Wir nehmen weniger Familienmigranten und dafür mehr Arbeitsmigranten‘“, so Liebig.

Leitartikel Von Jakob Zirm Seite 2

Auf einen Blick

Hoch qualifizierte Migranten sind weltweit begehrt. Doch selbst wenn Regierungen die richtigen Anreize setzen, um gut Ausgebildete ins Land zu holen, ist nur ein sehr geringer Teil der Zuwanderung aktiv gestaltbar. Der Löwenanteil besteht in Personenfreizügigkeit – in der EU – oder Familienmigration. In den USA sind drei Viertel der dauerhaften Zuwanderer Angehörige von Migranten. In Österreich fallen laut dem Migrationsexperten Thomas Liebig von der OECD 21 Prozent der Zuwanderung unter die Familienmigration.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2013)

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