Nachtkritik: Castorfs "Götterdämmerung" in Bayreuth

Goetterdaemmerung
Goetterdaemmerung(c) EPA (ENRICO NAWRATH / BAYREUTH�FESTIV)
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Der Regisseur verzichtete auf jeglichen Handlungsstrang und stellte freie Bild-Assoziationen zum Niedergang des Kommunismus. Er erntete einen beispiellosen Buh-Orkan und zeigte dem Publikum den Vogel.

Die letzten zehn Minuten dieses Abends hätten Frank Castorfs allerbeste Inszenierung sein können: Als das Bayreuther Festspielpublikum einen beispiellosen Buh-Orkan anschwellen ließ (inklusive Trillerpfeifen wie einst Anno '76 bei Chéreau), verharrte der Regisseur mit seinem Team minutenlang vor dem Vorhang. Er hätte dort stehen bleiben können, bis die Protestanten aufgegeben hätten. Allein, er verlor die Nerven, zeigte den Zuschauern den Vogel und erwies sich als schlechter Verlierer. Schließlich hob sich der Vorhang, das versammelte Bayreuther Festspielorchester und Dirigent Kirill Petrenko erschienen - und im Jubelsturm musste sich der Regisseur nach kurzer Nachdenkpause trollen.

Die Selbstinszenierung verpuffte wie die Produktion des "Rings des Nibelungen" wegen Mangel an Konsistenz. Castorf hatte die Handlung zum Satyrspiel auf den Verfall einer Idee - diesfalls der sozialistischen - gemacht. Oder vielmehr: Er verzichtete auf jeglichen Handlungsstrang und stellte (in imposanten Dekors von Aleksandar Denic) freie Bild-Assoziationen zum Niedergang des Kommunismus. Dass der nun schon seit einem Vierteljahrhundert Realität ist, macht den Regie-Versuch nicht aktueller, sondern nimmt der Show bald jegliche Brisanz.

Die Fallhöhe der Wagnerschen Tragödie, die doch ein Endspiel und nicht ein Spiel post festum sein will, ist nur musikalisch zu verspüren, da allerdings dank Petrenkos Einstudierungsarbeit in aller Dringlichkeit. Was dem Dirigenten gelang ist nichts weniger als eine der konsequentesten, packendsten Deutungen der vier Partituren, die sich denken lassen, geboren aus der Liebe zum Detail, gebündelt durch ein scheinbar untrügliches Gespür für die dramaturgische Vernetzung kleiner und kleinster Teile zu großen, oft über Stunden gespannten Sinneinheiten.

Eine klanglich differenziertere Interpretation war wohl kaum je zu hören. Und doch erreicht die musikalische Erzählung, der die Bühne nur - allerdings von Fall zu Fall exzellent gestellte - Comics zur Seite gesellt, atemberaubende Dichte. Da können von den Sängern nicht alle mithalten: Zwar dominiert über drei Abende der schönstimmige, klug gestaltende und „zum Mitschreiben" deutlich deklamierende Wotan Wolfgang Kochs, zwar singen die beiden Wälsungen in der „Walküre", Anja Kampe und Johan Botha, prachtvoll und leuchtkräftig. Doch ist die Brünnhilde Catherine Fosters zu leichtgewichtig, um den hochdramatischen Momenten der „Götterdämmerung" ihr dramatisches Format zu gewährleisten – und dem Siegfried Lance Ryans, der Kraft genug hat, bis zuletzt alles zu übertönen, mangelt es doch eklatant an Stimmschönheit.

Die Bösen? Martin Winkler ist ein prägnant-beißender Alberich, Attila Juns Hagen kann dem Herrn Papa nicht das Wasser reichen. Die Damen-Trios sind allzu ungleich besetzt. Auf der Habenseite jedenfalls Claudia Mahnkes Fricka, Waltraute und Zweite Norn. Die „Werkstatt Bayreuth" hat also auch im Hinblick auf die Sängerbesetzung einiges zu tun.

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