Migrationsland Österreich: Wie unsere Gesellschaft 2030 aussehen könnte

Integration. Experte Rose skizziert drei Szenarien, in die sich das Land bewegen könnte. Richtung Idealbild geht die Realität nicht.

Wien. Es war vor rund zwanzig Jahren, als es durch den Zusammenbruch der jugoslawischen Staaten eine hohe Fluchtbewegung nach Westeuropa gab. Rund 80.000 Menschen aus Bosnien-Herzegowina sowie Kroatien kamen allein im Jahr 1992 nach Österreich. In diesen zwei Jahrzehnten hat sich einiges getan – vor allem durch den EU-Beitritt ziehen verstärkt Menschen aus den Nachbarstaaten nach Österreich. Wie wird also die Zuwanderung bzw. Integration im Jahr 2030 aussehen?

Dieser Frage ging Karl Rose, Professor für Strategisches Management an der Uni Graz, in Zusammenarbeit mit dem Integrationsfonds und dem Staatssekretariat für Integration, nach: „Ich bin kein Integrationsexperte. Aber ich war schon Migrant auf der ganzen Welt.“ Er lieferte zwar keine definitive Antwort – das sei auch gar nicht möglich –, aber zumindest drei „Zukunftsbilder“, wie Rose sie nennt, an denen man sich orientieren könnte.
•Szenario 1: Populismus Dieses Bild lässt sich wohl als Worst-Case-Szenario zusammenfassen: Die Wirtschaft entwickelt sich negativ, Korruption und Arbeitslosigkeit nehmen zu. Die Migrationsbewegung nach Österreich nimmt ab, dafür ziehen immer mehr Menschen aus dem Land. Jene, die neu dazukommen, können keine Integrationspolitik erwarten – vielmehr findet Assimilation statt. Denn durch den wachsenden Nationalismus versuchen sie sich, als Österreicher sozusagen zu tarnen. Krisenländer wie Spanien oder Italien laufen laut Rose Gefahr, im Jahr 2030 diesem Bild zu entsprechen.
•Szenario 2: Gesellschaftliche Kohäsion
Einfacher ausgedrückt ist dies die Idealvorstellung für funktionierende Zuwanderung und Integration. Es gibt Zuwanderer, die gern nach Österreich kommen – vor allem, um hier zu arbeiten. Einteilen kann man sie in zwei Gruppen: jene Migranten, die bereits gut ausgebildet ins Land kommen, und jene, die hier einen sozialen Aufstieg suchen. Jeder vierte in Österreich lebende Mensch hat einen Migrationshintergrund – die Integrationspolitik ist gut durchdacht, radikale Positionen gibt es kaum.
•Szenario 3: Fragmentierte Gesellschaft Da nicht alles schwarz und weiß ist, gibt es auch ein gemäßigteres Zukunftsbild: Die etablierten Parteien sind geschwächt, die politische Elite vertritt nicht den Standpunkt der Bevölkerung in Sachen Integration, Migration wird damit zu einem Streitthema. Wenn Zuwanderer in das Land kommen, bekommen sie Billigarbeitsplätze. Durch illegale Migration und das Schlepperwesen steigt auch der Anteil an Flüchtlingen aus Afrika und Asien.

Was sich Staatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) wünscht, ist klar: Vorzeigemigranten und eine Vorbildgesellschaft. Realistisch betrachtet steuert Österreich aber laut Rose auf eine Mischung der beiden schlechteren Szenarien zu. Was lässt sich dagegen also machen? Erstaunlich wenig. Denn die Faktoren, die Migration beeinflussen, seien schwer steuerbar: etwa die Wirtschaftssituation, der sozialer Zusammenhalt, die Demografie der Migranten.

Hinzu kommt, dass ein Großteil der Zuwanderungen Familienzusammenführungen sind – hier könne man sich also nicht wirklich aussuchen, wer nach Österreich ziehe. „Aber wir haben trotzdem versucht, gewisse Mindeststandards einzuführen, etwa durch Deutsch vor Zuzug“, meint Kurz.

Außerdem, betont Rose: Das Thema Asyl sei nicht wirklich zentral, auch wenn es derzeit für Schlagzeilen sorge. Der größte Brocken bei den Ausländern, die nach Österreich kommen, sind nämlich Bürger aus der EU, EWR, Schweiz und der Türkei. Den größten Anteil machen die Deutschen aus. 970.000 Ausländer lebten im Vorjahr in Österreich, davon waren knapp 230.000 Deutsche. Knapp 19 Prozent der Gesamtbevölkerung hatten 2012 einen Migrationshintergrund.

Auch wenn sich die Steuerung schwierig gestalte – man versuche trotzdem, den Zuwanderungsstrom in die richtige Richtung zu lenken. „Die Talente, die da sind, muss man nutzen“, meint Kurz. Durch Sprachförderungen, aber auch durch ein gemeinsames Wir-Gefühl. Wo Österreich derzeit steht und wohin das Land kurzfristig gelenkt werden soll, wird übrigens nächste Woche präsentiert. Dann stellt Kurz den neuen Integrationsbericht vor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Innenpolitik

ÖVP: Kurz widerspricht Stenzel

Zu liberal? Kandidaten mit ausländischen Wurzeln würden Wähler nicht verschrecken, meint der JVP-Chef. Die ÖVP müsse breit aufgestellt sein.
Orientierungslosigkeit ehemaligen Grossparteien
Leitartikel

Die Orientierungslosigkeit der ehemaligen Großparteien

Kaum jemand weiß mehr, wofür SPÖ und ÖVP eigentlich stehen. Kein Wunder, dass sich immer mehr Wähler von den beiden Dauerregierungsparteien abwenden.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.