"Beim Quantified Self bin ich mein eigener Chef"

Ariane Greiner nahm die Selbstvermesser-Bewegung unter die Lupe. Sie glaubt, deren Antrieb sei die Suche nach einem gesunden Körpergefühl.

Zählen Sie schon Ihre eigenen Schritte oder Jogging-Kilometer?

Ariane Greiner: Ich sehe dafür bisher noch keinen Grund. Vielleicht würde ich damit anfangen, wenn ich ein Ziel hätte, etwa abzunehmen oder für eine Bergwanderung zu trainieren.


Das Motto der Quantified-Self-Bewegung (QS) lautet: „Wer bin ich und wer will ich sein“. Wieso sollen mir Geräte/Daten besser sagen können, wer ich bin als ich selbst?

Es hat etwas damit zu tun, dass wir Zahlen generell mehr Objektivität zutrauen als anderen Dingen, wie Intuition oder Erzählungen. Natürlich spielt auch eine Rolle, dass man als technikaffiner Mensch – und das sind die Selbstvermesser größtenteils – davon angetan ist, dank der inzwischen sehr kleinen und günstigen Geräte, die Sache selbst in die Hand zu nehmen statt sich an die großen Geräte irgendwelcher Autoritäten zu schließen und dann mal machen zu lassen.


Ist Self Tracking nicht eher Flucht vor sich selbst als ein Weg zum eigenen Ich?

Da würden Selbstvermesser natürlich vehement protestieren. Es ist keine Flucht, eher eine Art verzweifelter Versuch, dem näherzukommen, was man irgendwann verloren oder womöglich sogar nie besessen hat: ein gesundes Körpergefühl.


Wie kann ich mich davor schützen, dass meine Daten nicht in falsche Hände geraten?

Es müsste tatsächlich ein ähnliches Verschlüsselungsmanagement geben wie etwa beim Onlinebanking. Hier ist die Verschlüsselung ja auch gesetzlich vorgeschrieben. Warum also nicht dasselbe für QS-Plattformen einführen?

Wieso sind es vor allem Männer, die Selbstvermessung betreiben?


Es ist nicht so, dass es keine Frauen gibt, aber der Männerüberhang ist spürbar. Das hängt sicher mit der Begeisterung für Technik zusammen – und es ist tatsächlich so, dass Männer in der Regel ein viel schlechteres natürliches Körpergefühl haben als Frauen.


Sie bewerten die Selbstvermessung nicht. Warum nicht?


Weil wir ganz klar sehen, dass QS ein Instrument ist. Und wie mit jedem Instrument kann man damit gute und schlechte Dinge tun. Es kommt eben darauf an, wer es wie und zu welchem Zweck einsetzt. Auch wenn ich selbst kein Self Tracking betreibe, finde ich die Bewegung als Phänomen sehr spannend. Fast habe ich den Eindruck, es wird hier spielerisch etwas auf die Spitze getrieben, das anderswo ganz ernsthaft und mit ungleich dramatischeren Konsequenzen stattfindet: die Quantifizierung des Menschen, also seine Beurteilung aufgrund von Zahlenwerten, zum Beispiel im Hinblick auf seine berufliche Leistungsfähigkeit. Anders aber als beispielsweise ein Chef, der mithilfe von Unternehmenssoftware meine Leistung am Arbeitsplatz trackt, um meine Effizienz zu testen, bin ich bei QS selbst mein eigener Chef.


Welche Messmöglichkeiten oder Messmethoden finden Sie absurd oder gefährlich?


Keine. Erstaunt hat mich aber die Tatsache, dass man Hirnwellen hörbar machen kann. Das fällt schon eher in den Bereich der Kunst. Fragwürdig finde ich nur das Tracken der sexuellen Aktivität. Da frage ich mich schon: Wozu soll das gut sein?  awa ?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2013)

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