"Russland ist zehn Mal besser als sein Ruf"

Russland zehn besser sein
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Euphoriker verweisen auf unterbewertete Aktien, Schwarzmaler auf die Aussichtslosigkeit des Landes. Hedgefonds-Manager Jochen Wermuth weiß zu unterscheiden.

Die Presse: Vor zwei Jahren haben Sie auf einem Banken-Forum in Moskau Kremlchef Wladimir Putin gegenüber recht publikumswirksam Ihren Unmut über Russlands Weg geäußert. Wie können Sie dann wieder auf ihn bauen, obwohl er schon 13 Jahre regiert?

Jochen Wermuth: Ich sagte damals: „Lieber Herr Putin, Sie sagen, Sie können Ihren Job gut ausüben und ich glaube an Sie, aber die Leute lachen mich aus. Können Sie also bitte helfen, damit das nicht mehr so ist. Wie wäre es, wenn Sie der EU und der WTO und der NATO beitreten?“ Natürlich ist die Tatsache, dass Putin im Vorjahr wieder in den Kreml zurückgekehrt ist, für viele sehr enttäuschend. Und deshalb sind auch Wirtschaftswachstum und Investitionsklima so niedrig. Aber es gibt immer drei Möglichkeiten, auf eine Herausforderung zu reagieren. Man kann stinksauer oder deprimiert sein oder sagen, was für eine Chance!

Sehr zukunftsweisend ist der Status quo ja nicht ...

Nehmen Sie einmal an, Putin macht zwei Sachen: Er sagt, wir machen es wie die Türkei und Norwegen und akzeptieren den Acquis communautaire (alle Rechte und Pflichten für EU-Mitglieder) und den europäischen Gerichtshof in Luxemburg, also stellen die höchste Gerichtsbarkeit außer Landes. Das wäre ein Befreiungsschlag. Dann hätten wir nach unserer Berechnung eine Wertsteigerung des Gesamtvermögens Russlands von derzeit zwölf Billionen Dollar auf etwa 52 Billionen Dollar.

Seien wir realistisch. Die Stimmung deutet nicht auf solche Schritte hin.

Die Stimmung ist nie danach. Deutschlands Ex-Kanzler Helmut Kohl sagte, wenn die Deutschen abgestimmt hätten, hätten sie die EU abgelehnt. Aber wenn Russland eine Rechtsprechung hätte wie Norwegen oder die Türkei, dann wären die Zinsen nicht 14,15 oder 20 Prozent, sondern eben drei bis fünf Prozent wie in Deutschland. Dann würden wir hier für 1,2 Mio. Hektar Wald nicht 50 Mio. Euro, sondern wie in Finnland 700 Mio. Euro zahlen. Abgesehen von der Stadt Moskau ist alles fast kostenlos.

Euphorische Analysten preisen russische Aktien immer als unterbewertet an. Vielleicht sind sie aber auch angemessen tief bewertet.

Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse sind um 60 Prozent niedriger als in anderen BRIC-Märkten und um 30 Prozent niedriger, als sie je in der Geschichte waren. Man kann natürlich sagen, das reflektiert die Stimmung am Markt und die Meinung über die Regierung wider. Ich würde nicht hier investieren, wenn ich nicht von einer kommenden Veränderung ausginge.

Sie argumentieren also mit einem vorhandenen Reformdruck.

Bei uns im Hessischen, wo ich herkomme, hat man in den vergangenen 20 Jahren behauptet, der Russe saufe und sei ein Sklave. Und dann gingen die Russen im Dezember 2011 plötzlich auf die Straße – das war einer der wichtigsten Momente in meinem Leben. Ich glaube, die Regierung weiß, was für ein Druck da ist.

Gut, aber den restriktiven Kurs seit dem Vorjahr kann man wohl kaum als Umsetzung der dringlichen Reformen interpretieren.

Ja, die Reaktionen hätte ich mir auch anders vorgestellt. Also ich würde sagen, die Regierung hat die Chance, nach den deutschen Wahlen mit der EU die vier gemeinsamen Räume, die schon 2005 ausverhandelt wurden, endlich umzusetzen: freie Bewegung der Bürger, der Güter, gemeinsame Gesetze und Rechtsprechung, gemeinsame innere und äußere Sicherheit. Ein zweiter Schritt wäre natürlich ein Gerichtsverfahren, das das Regime nicht gewinnt. Der dritte Punkt wäre, dass Russland die Chance sieht, sich von einer linearen Wirtschaft, in der wir alle leben, in Richtung Kreislaufwirtschaftwirtschaft zu bewegen.

Schauen wir uns die Sektoren an. Im Ölsektor läuft über den staatlichen Branchenprimus Rosneft gerade eine Renationalisierung.

Da bin ich vielleicht nicht genug Friseuse, um immer Öl- und Gasfirmen in Russland gekauft zu haben. Also man sollte nicht Russland kaufen, weil Öl- und Gaspreise steigen. Da soll man sich lieber einen Ölfuture kaufen. Eine staatliche Ölfirma wird übrigens nie effizienter sein als die privaten. Ich würde nicht in russisches Öl und Gas investieren, weil es hier Staatsinteressen geben kann.

Aber es gab hier zuletzt auch gute Performer – nehmen wir den zweitgrößten Gaskonzern Novatek.

Da waren wir zeitweise investiert. Aber darauf zu hoffen, dass das Management weiter gute Beziehungen zum Präsidenten hat und deshalb weiter günstig wachsen kann, schien uns nicht sehr solide. Was wir als neutral sehen, ist der Elektrizitätssektor, weil der Investitionsbedarf derart hoch und deshalb eine Privatisierung nicht auszuschließen ist. Und weil man hier mit Effizienzgewinnen durch westliche Technologien unheimlich viel verdienen kann.

Gazprom steht – wie die Performance zeigt – auf dem Abstellgleis?

Gazprom hat das Schiefergas-Thema nicht verstanden oder will es nicht verstehen. Gazprom könnte noch viel effizienter arbeiten.

Welche Sektoren in Russland haben dann am meisten Perspektive?

Alles, was mit Ressourceneffizienz und erneuerbarer Energie zu tun hat und beim Umbau zu einer Kreislaufwirtschaft hilft, effiziente Logistik, Internetverbindungen.

Wie sieht's mit dem Handelssektor aus?

Gut, obwohl natürlich viele Dinge bereits viel zu teuer sind.

Sie meinen den führenden Handelskonzern und Börsenliebling Magnit?

Ja, zum Beispiel. Aber so wie die russische Wirtschaft wird auch die Mittelschicht weiter wachsen und reicher. Alles, was mit ihr zu tun hat, ist perspektivisch, auch das Service. Wir sind etwa in eine Debt Collecting Agency investiert, Schuldeneintreiber ohne Baseballschläger – mit 30 Prozent Gewinn pro Jahr.

Privatisierungen werden in Russland immer wieder nur angekündigt. Würden Sie meinen, dass auch hier der Druck steigt, sie umzusetzen?

Laut neuem Dekret will Putin, dass bis zum November alles, was nicht strategisch ist, in ein Privatisierungsprogramm aufgenommen wird. Ich würde mal hoffen, dieses Jahr meint er es ernst. Es wäre übrigens heuer das erste Mal in der Geschichte, dass Putin Präsident ist und der Markt und auch der Russian Trading Index nicht steigen. Da haben wir die Chance, dass die Leute vielleicht aufwachen und Putin überlegt, wie er das Wachstum stimulieren kann.

Wie hoch ist Ihres Erachtens Russlands Potenzialwachstum, bei dem die Inflation noch nicht angeheizt wird?

Sicher zehn Prozent im Jahr. Man braucht nur einen Rechtsstaat.

Bis 2008 war Europa Russland gegenüber euphorisch, dann kam die Enttäuschung. Was wäre denn die angemessene Sichtweise?

Ich sage immer, Russland ist zehn Mal besser als sein Ruf, aber auch zehn Mal schlechter, als es sein müsste. Wenn Russland sagen würde, wir sind eine Diktatur, würden wir sagen, aber ihr seid doch viel besser als China. Da Russland aber sagt, wir sind eine Demokratie, kommen wir auf eine ganz andere Einstellung.

Zur Person

Jochen Wermuth (43) gilt als einer der erfahrensten Russlandinvestoren. Nach dem Studium an der Brown Universität und in Oxford zog es Wermuth nach Russland. Dort wurde er Berater des Finanzministeriums. Später baute er die Niederlassung der Deutschen Bank in Russland mit auf. Seit 1998 ist er im Rahmen seiner Wermuth Asset Management Anlageberater für das Russland-Engagement diverser Private-Equity- und Hedgefonds. [Internet]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2013)

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