Die Städte passen sich dem Klimawandel an

Milliardenschwere Maßnahmen gegen Wetterextreme lenken von der nötigen Grundsatzdiskussion über Klimaschädiger ab.

Die Botschaft von New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg war unmissverständlich. Die von der Klimawissenschaft vorgelegten Daten und Analysen ließen keinen anderen Schluss zu als den: dass es zwar immer wieder Hitzewellen und Sturmfluten in Amerika gegeben habe. Neu sei allerdings die Intensität und Häufigkeit der Extreme, und diese könnten nicht mehr mit natürlichen Klimavariationen erklärt werden; sie müssten dem von Menschen verursachten Klimawandel zugerechnet werden.

Für ihn bedeute dies, dass er dafür sorgen werde, dass die 19-Millionen-Einwohner-Stadt nicht noch einmal so unvorbereitet in die Klimafalle tappe.

Gut neun Monate nach Hurricane Sandy stellte Bloomberg nun sein 20-Milliarden-Dollar-Klimaanpassungsprogramm vor. Der 250 Punkte umfassende Maßnahmenkatalog konzentriert sich vor allem auf die Verstärkung der Dämme und Deiche, um die fast eine Million New Yorker, die entlang der Küste leben, vor dem steigenden Meeresspiegel und Sturmfluten zu schützen. Darüber hinaus sieht er vor, Kraftwerke, das Strom- und Telekommunikationsnetz, Abwasser- und Kläranlagen, das Straßen- und U-Bahn-System, Brücken, Tunnel, Hospitäler und Schulen sowie Häuser und Wohnungen klimatauglich zu machen.

Extreme sind neue Normalität

Das Wetter ist nicht mehr in der Lage, sich selbst auszupendeln. Während die globale Durchschnittstemperatur seit der Industrialisierung um etwa 0,8 Grad angestiegen ist, haben die Extreme an Häufigkeit und Intensität dramatisch zugenommen. Extreme Wetterlagen machten von 1951 bis 1980 zwischen 0,1 und 0,2 Prozent des Wetters insgesamt aus; von 1981 bis 2010 waren es schon 10Prozent. Sie haben ihren Ausnahmecharakter verloren.

Küstenstädte wie New York, Vancouver, Mumbai, Ho-Chi-Minh-Stadt, Manila und Jakarta, sowie Städte, durch die große Flüsse fließen, haben gar keine andere Wahl, als sich durch Anpassungsmaßnahmen zu schützen. Denn der große Wurf, ein die internationale Gemeinschaft bindendes Klimaabkommen, das den weltweiten Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius beschränken, das dramatische Abschmelzen von Gletschern und Polkappen und den ansteigenden Meeresspiegel abbremsen, sowie Dürren, Wasser- und Nahrungsmittelknappheit und weltweiten Migrationsströmen entgegenwirken könnte, ist nicht in Sicht. Zwar ringt die Staatengemeinschaft schon seit 1995 um ein globales Klimaschutzabkommen, und sie hat sich zum Ziel gesetzt, auf der UN-Klimakonferenz 2015 in Paris ein für alle Staaten rechtlich verbindliches Abkommen unter Dach und Fach zu bringen, aber nichts deutet derzeit darauf hin, dass ihr dann gelingen sollte, woran sie schon 2009 kläglich gescheitert ist.

Angesichts dieser Perspektiven schlagen die Städte Alarm. Die von Bloomberg geführte C40 Cities Climate Leadership Group ist bemüht, Megastädte zu gemeinsamen Klimainitiativen zu bewegen. Und das in Bonn ansässige ICLEI, das immerhin mit 1000 Mega-, Groß-, Mittel- und Kleinstädten in 85 Ländern zusammenarbeitet, hat zum Ziel, in urbanen Zentren umwelt- und klimafreundliche Lebensräume zu errichten. Insgesamt ist das, was in Städten an der Klimafront passiert, nicht nur interessant sondern unbedingt erforderlich.

Es wird teuer

Bereits heute lebt die Hälfte der Menschheit in Städten. In Städten wird der größte Teil des Bruttosozialproduktes produziert. Dort konzentriert sich auch die größte Anhäufung von Sachwerten. Das ist besonders in den sowohl demografisch wie auch wirtschaftlich stark wachsenden Städten Südostasiens der Fall. In Jakarta beträgt nach Berechnungen der Weltbank der Anteil der zur Zeit durch Klimaeinflüsse gefährdeten Sachwerte etwa 10 Milliarden Dollar; 2070 werden es 321 Milliarden Dollar sein. Über 3000 Prozent mehr! In Bangkok wird der Wert auf fast 2900 Prozent ansteigen, und in Manila auf 2400 Prozent.

Angesichts dieser Prognosen und der Gefahr für Leib und Leben der in kritischen Klimazonen lebenden Menschen hat die Weltbank als erste Sofortmaßnahme ihre Mittel für den Klimaschutz von 10 Milliarden Dollar im Jahr 2011 auf etwa 25 Milliarden Dollar im Jahr 2012 aufgestockt.

Bleibt die Frage: Sind diese Anpassungsmaßnahmen sinnvoll ohne ein globales Klimaabkommen? Sind sie gar kontraproduktiv? Denn alle Anpassungsprogramme der Städte bleiben ohne Einfluss auf die weitere Versauerung der Meere, die steigende Salinität des Wassers und zunehmende Trinkwasserknappheit, die durch den Klimawandel drastisch steigenden Gesundheitsrisken, die sich ausbreitenden Waldbrände, die Abnahme der landwirtschaftlichen Produktivität und die Zunahme von Umwelt- und Klimamigranten.

Sie tragen auch nichts bei zur Durchsetzung des „polluter pays principle“. Im Gegenteil. Wenn Dritte für die Kosten der Wiederherstellung globaler öffentlicher Güter und beschädigten Privateigentums – wie Häuser, die zu dicht an Küsten und Flüssen errichtet wurden –, aufkommen, ist damit zu rechnen, dass auch in Zukunft der Raubbau an der Umwelt fortgesetzt wird und Menschen weiter in Gefahrenzonen bauen und leben werden.

Außerdem wird durch politisch motivierte Versicherungen, dass die mit öffentlichen Mitteln geplanten Klimaanpassungsmaßnahmen ausreichend Schutz vor Schäden bieten, die Verantwortung zur Reduzierung des eigenen „carbon footprints“ stark relativiert. Ob in diesem Mix die Menschen Initiativen zur Minderung des nationalen und internationalen Treibhausgasausstoßes unterstützen werden, ist mehr als fraglich.

Die verständliche Entscheidung der Städte, nunmehr Anpassungsmaßnahmen absoluten Vorrang einzuräumen, nimmt der überfälligen Grundsatzdiskussion über die Treiber des Klimawandels den notwendigen Wind aus den Segeln. Damit kann die Kohle-, Öl- und Gasindustrie auch weiterhin das Klimathema primär als Energie- und Wirtschaftsthema positionieren, es also zu einem zentralen Werte- und Identitätsthema mit quasireligiösen Untertönen machen – ähnlich wie Fragen zur Abtreibung und zur gleichgeschlechtlichen Ehe.

Gleichwohl gilt weiterhin, dass unabhängig von Wertesystemen und Identitätsfragen Naturgesetze fortbestehen und die Erde nur begrenzt Treibhausgase aufnehmen und die für Menschen und Ökosysteme notwendigen Ressourcen bereitstellen kann. Der behutsame Umgang mit ihnen ist also unabdingbar – ein Umstand, der dem auf Produktion, Konsum und Wachstum ausgerichteten kapitalistischen Wirtschaftssystem diametral gegenübersteht.

Es ist genau dieser Gegensatz, der die nunmehr geplanten Klimaanpassungsmaßnahmen vieler Städte so brisant macht. Ihn nicht aufzulösen, weil das Festhalten an nicht mehr zeitgemäßen Dogmen und Lebensweisen den Blick für den notwendigen Paradigmenwechsel in der Klimapolitik verstellt, wäre für die Menschheit in der Tat eine Katastrophe.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2013)

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