Ungarn: Freie Fahrt für Orbán

Gordon Bajnai
Gordon Bajnai(c) REUTERS (KAROLY ARVAI)
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Der nationalkonservative Fidesz liegt vor den ungarischen Wahlen im Frühjahr in Umfragen wieder weit vorn.

Budapest. Gordon Bajnai hat sich verspekuliert. Der ungarische Ex-Premier hat kaum noch Chancen, bei der Parlamentswahl im Frühjahr 2014 Spitzenkandidat einer linken Wahlallianz zu werden. Dabei ist der 45-Jährige erst im Oktober 2012 als Hoffnungsträger und Heilsbringer der Linken auf die politische Bühne zurückgekehrt.

Doch sein Kalkül, die stärkste linke Partei, die Sozialisten (MSZP), flugs hinter sich zu scharen und sich im Handstreich zum Spitzenkandidaten küren zu lassen, ging nicht auf. MSZP-Vorsitzender Attila Mesterházy und seine Parteigänger setzten auf eine Taktik des Hinhaltens und ließen den Ex-Premier schließlich auflaufen. Bei Bajnai, der nach seiner Rückkehr noch vom Nimbus des dynamischen Quereinsteigers umgeben war, waren der anfängliche Schwung und Glanz rasch verpufft. Nicht nur seine Popularität ist in den vergangenen Monaten geschmolzen, sondern auch die seiner aus der Retorte geborenen Partei „Gemeinsam-Dialog für Ungarn“. Die Bajnai-Partei dümpelt in den Umfragen bei nur sechs Prozent dahin.

Auch Mesterházy will Spitzenkandidat sein

Mit der Spitzenkandidatur für eine linke Wahlallianz scheint es auch deshalb nichts zu werden, weil Mesterházy selbst Anspruch auf den Posten des Ministerpräsidenten erhebt. Mesterházy kommt dabei entgegen, dass er beim Zuspruch der Wähler auf Bajnai viel Terrain gutgemacht hat. Die beiden Politiker liegen in Sachen Popularität inzwischen fast gleichauf. Es gibt demnach keinen ersichtlichen Grund, weshalb Mesterházy die Spitzenkandidatur an Bajnai abtreten sollte. Die Bajnai-Partei führt lediglich ins Treffen, dass der Ex-Regierungschef der einzige Politiker im linken Lager sei, der im Kreis der unentschiedenen Wähler und in der politischen Mitte zu punkten vermag. Von rund einer Million Wählern ist die Rede.

Verstärkt auf linke Themen setzen

Bei der MSZP stößt dieses Argument indes auf taube Ohren, hat sie doch eine völlig andere Strategie vor Augen: Die Sozialisten wollen vor allem jene links gesinnten Wähler zurückgewinnen, die ihnen bei den Parlamentswahlen 2010 massenweise davongelaufen sind. Deshalb will die MSZP im anstehenden Wahlkampf denn auch verstärkt auf „linke Themen“ setzen. Zur Erinnerung: Die Sozialisten waren zwischen 2002 und 2010 in einer Regierungskoalition mit den inzwischen in der Versenkung verschwundenen Liberalen (SZDSZ) am Ruder.

Immerhin: Trotz des vordergründigen Hickhacks um die Spitzenkandidatur für eine linke Wahlallianz haben die MSZP und die Bajnai-Partei bereits Verhandlungen aufgenommen. Doch es spießt sich noch an anderen Fragen: Neben dem Gerangel um die Kandidaten in den 106 Wahlbezirken ist insbesondere die Partei von Ex-Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány, Demokratische Koalition (DK), ein heißes Thema.

So ist unklar, ob sie in ein linkes Wahlbündnis integriert werden soll oder nicht. Während ausgerechnet Gyurcsány-Intimus Bajnai sich gegen diese Idee sperrt (Bajnai war Wirtschaftsminister unter Gyurcsány), ist die MSZP bereit, auch mit der DK zu verhandeln. Die DK hatte sich unter Gyurcsánys Führung im Oktober 2011 von der MSZP abgespalten. Der Partei ist es seither aber nicht gelungen durchzustarten.

So oder so sollte sich die Linke bald auf ein gemeinsames Vorgehen einigen: Denn nur durch die Bildung eines breiten Wahlbündnisses kann sie Premier Viktor Orbán und seine nationalkonservative Regierungspartei Fidesz besiegen – das geht aus den Umfragen eindeutig hervor. Wären heute Wahlen, käme der Fidesz auf rund 30, die stärkste linke Partei, die Sozialisten (MSZP), dagegen nur auf etwa 15 Prozent.

Auf einen Blick

Bei den ungarischen Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr hat die Linke nur durch Bildung eines Wahlbündnisses Chancen gegen den regierenden Fidesz von Premier Viktor Orbán: In Umfragen liegt der Fidesz bei 30, die stärkste linke Partei, die Sozialisten, aber nur bei 15 Prozent.

Ex-Premier Gordon Bajnai wurde noch vor wenigen Monaten als aussichtsreichster Spitzenkandidat einer Allianz gehandelt, scheiterte aber am Widerstand von Sozialisten-Chef Attila Mesterházy. Letzterer erhebt selbst Anspruch auf den Posten des Ministerpräsidenten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2013)

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