Teil 29 von 52
… was bisher geschah: Der Lieferdienst Wien feiert in der Bar Tapete, unterbrochen vom Ordnungsruf durch Boss Anis: Dienst ist Dienst, auch bei den Heldinnen auf zwei Rädern, und Feierabend ist Feierabend.
Boss Anis brüllt. Sünde Nummer vier im Lieferservice ist nämlich, wie bei vielen Aufgaben mit öffentlicher Reputation, das Anbehalten der Arbeitskleidung nach Dienstschluss. Das geht nicht bei der Polizei, nicht beim Bundesheer und nicht bei den Skilehrern. Und das gilt auch für die freien Dienstnehmerinnen des Lieferdienst Wien: für die jungen Studentinnen Hanna und Ellis, die wie zwei leibhaftige Zitronen in ihrer gelben Montur mitten im Nachtlokal stehen. „In einem Nachtlokal!“, schreit Anis, gerade so, als wäre die hübsche Bar Tapete in der Zentagasse besonders windig und verrucht. Dies wiederum ruft die Wirtin auf den Plan, die sich Anis resolut in den Weg stellt. In ihrem Nachtlokal wird nämlich nicht herumgeschrien. „Und schon gar nicht“, sagt sie bestimmt, „wird von oben nach unten getreten.“ Herr Stefanov, der die Szene beobachtet hat und mitfiebert, schlägt jetzt mit der Faust auf den Tisch. Zu leise, als dass es jemand hören kann.
Hanna und Ellis sehen einander an. Dann nicken die beiden gleichzeitig. Sie beginnen sich langsam, Stück für Stück und mit versteinerten Mienen, aus ihrer Arbeitskleidung zu schälen. Byamba sagt jetzt diesen einen Satz, den er dem Hollywoodkino nicht vorwerfen kann: „Ihr müsst das nicht tun.“ Hanna und Ellis legen ihre Kleidung ab. Natürlich nicht ganz, wir sind ja in der Tapete. Und weil das Wetter gern Kapriolen schlägt, tragen die beiden unter der zitronengelben Hose auch immer Leggings oder Jeans, ein T-Shirt und Socken. Ellis hat auch noch Byambas Bandana im Haar. Die beiden haben sich keineswegs nackt ausgezogen, sie sind bloß ihre Arbeitskleidung vollständig losgeworden und haben daraus einen kleinen Turm gebaut, der, angefangen bei Anis’ Zehenspitzen, sich bis zur Decke des Lokals erhebt. „Da sieht man einmal, was die den Tag über mit sich herumschleppen“, sagt Taxler Manfred anerkennend. „Denkt daran, wenn ihr das nächste Mal einen Lieferboten auf dem Fahrrad oder auf diesem als Fahrrad getarnten Motorrad namens Bikely an euch vorbeiirren seht, die Spur wechseln, die Verkehrsregeln missachtend.“ Herr Stefanov, einst Mitarbeiter des Monats, sieht Taxler Manfred mit verzweifeltem Blick an. Die Verkehrsregeln missachten, das ist nämlich Sünde Nummer fünf im Lieferservice: „Das geht gar nicht.“
Könnte Anis, wie er wollte, er würde die gesamte Partie heute fristlos entlassen. Das geht eben auch nicht. „Die Auftragsbücher sind voll“, hat Anis der Bezirkszeitung berichtet. Gerade am Sonntag. Am Sonntagabend hat in Wien gar nichts offen. Gut, die Pizzeria Disco Volante, wo alle hocken und ihre Pizze bianche mümmeln. Aber sonst wirklich gar nichts. Am Sonntagabend sieht man am Gürtel nichts als Lieferboten. „Die ganze Stadt bestellt sich Geschichten ins Haus!“, hat Anis bekundet. „Geschichten?“, hat die Reporterin der Bezirkszeitung ungläubig gefragt. „Lebensmittel, Essen, Getränkedosen.“ Seit dem Anstieg der Preise bestellen die Leute weniger. Lieber nur eine große Portion, die man teilen kann. Und seltener Getränke. Aber das hat Anis für sich behalten. Seine Aufgabe ist es, Optimismus zu verbreiten. Der Lieferdienst Wien ist nur der Anfang, von dem aus er sein Business hochskalieren wird. Was Anis vorschwebt, ist eine Bündelung von Elektromobilität, Kommunikation und Raumfahrt. Fortsetzung folgt