Die dunkle Seite der US-Provinz

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Im hierzulande kaum bekannten Genre "Country Noir" ist kein Platz für falsche Nostalgie und kitschige, ländliche Idylle. Stattdessen dominiert Realismus bis zur Unerträglichkeit.

Über die beim Publikum beliebten, von Kritikern geschmähten Regiokrimis hat „Die Presse am Sonntag“ vor Kurzem berichtet. Dieser Beitrag will sich einem gegenläufigen Phänomen widmen: „Country Noir“. Autoren dieses Genres werden von der Kritik regelmäßig hochgelobt, von den deutschsprachigen Lesern aber eher ignoriert. Zu Unrecht. Denn die momentan interessantesten US-Kriminalromane spielen nicht in den glitzernden Metropolen Los Angeles oder New York. Die Schauplätze tragen Namen wie Knockemstiff und liegen irgendwo im Mittleren Westen der USA.

Werden in Regiokrimis schrullige Typen mit viel Humor geschildert, gibt es bei „Country Noir“-Autoren wie Daniel Woodrell (Missouri), Frank Bill (Indiana) und Donald Ray Pollock (Ohio) nichts zu beschönigen. Ihre Charaktere werden oft in nur wenigen Sätzen entblößt, wie der Letztgenannte in seinem unlängst erschienenen Buch „Knockemstiff“ eindrucksvoll zeigt.

In einer seiner 18 lose miteinander verstrickten Geschichten beschreibt sich Big Bernie Givens, eine gescheiterte Existenz, selbst: „Ich bin sechsundfünfzig, verlottert und fett und hocke im südlichen Ohio wie das Grinsen auf dem Arsch eines toten Clowns. Meine Frau schaudert schon, wenn ich Geschlechtsverkehr auch nur erwähne, und mein Sohn isst das tote Zeug, das sich auf den Fensterbrettern ansammelt.“ Das ist authentisch bis zur Unerträglichkeit. Da ist kein Platz für Nostalgie und Mythen vom idyllischen Landleben. Stattdessen formt und prägt die karge, feindselige Umwelt – ob Wüste oder Wald – die Menschen.


Schwer erträgliches Landleben.Ausnahmeautor Dennis Lehane, dessen Kriminalromane in der Ostküstenmetropole Boston spielen, hat einmal gesagt, dass in griechischen Tragödien die Figuren von großer Höhe fallen würden. Im Genre „Noir“ würden sie von der Bordsteinkante fallen. Bei Pollock gibt es nicht einmal Bordsteinkanten, von denen man fallen könnte. Dennoch: Tiefer geht es immer.

Tristesse pur also? Nein. Der bereits erwähnte Daniel Woodrell („Winters Knochen“, „Der Tod von Sweet Mister“), der in einem Interview den Begriff „Country Noir“ geprägt hat, erklärt die Faszination seines Genres folgendermaßen: „Was die meisten Menschen an der Situation in den ländlichen Gebieten überrascht, ist die Boshaftigkeit der Armut, und wie sie dich direkt ansieht. Ich glaube, für viele Leser erscheint das ein wenig exotisch.“

Pollock bringt diese These Woodrells in seinem Buch übrigens wunderbar auf den Punkt. In einer Szene beschreibt er, wie ein Paar aus Kalifornien in einem neuen Cadillac-Cabrio an der Tankstelle des Ortes hält. Der Mann am Steuer erzählt dem Kerl am Zapfhahn davon, dass seine Frau Fotografin sei und schon den ganzen Sommer über quer durchs Land fahre und nach Orten für ihr Buch suche. Der Einheimische reagiert verständnislos: „Schwer vorstellbar, dass jemand extra herkommt, nur um ein Foto von Knockemstiff zu machen und es auch noch in ein Buch zu drucken.“

Die Autoren des Genres erzählen Geschichten aus ihrer Mitte. Sie haben meist jahrzehntelang in den Orten gelebt, über die sie schreiben, und halten ihnen gnadenlos einen Spiegel vor.

Auch der junge Autor Benjamin Percy schreibt in seinem kürzlich erschienenen Roman „Wölfe der Nacht“ bildgewaltig über die feindselige Wildnis, komplizierte Beziehungen, Einsamkeit und Heimatlosigkeit. Kriegsheimkehrer Brian etwa fühlt sich durch die Wüstenlandschaft Oregons an den Irak erinnert: „Und so war er zugleich in zwei Regionen, bewohnte ein graues Territorium.“


Kein reines Männergenre. „Country Noir“ ist aber kein rein männerdominiertes Genre, wie man vermuten könnte. In Bonnie Jo Campbells „Stromschnellen“ steht die 16-jährige Margo im Mittelpunkt. Sie begibt sich in ihrem Ruderboot auf Abenteuerreise. Mit dabei: ein gestohlenes Gewehr.


Donald Ray Pollock ist am Dienstag, den 17.September im Rahmen der Kriminacht in Wien und liest aus seinem Buch „Das Handwerk des Teufels“. 20Uhr, Café Landtmann.

Donald Ray Pollock „Knockemstiff“ übersetzt von Peter Torberg. Liebeskind, 256 Seiten, 19,50 Euro.

Benjamin Percy „Wölfe der Nacht übersetzt von Klaus Berr.
Luchterhand, 367 Seiten, 20,60 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2013)

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