Die Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Palästinensern und Israelis ist den Versuch wert. Doch hoffentlich gibt es einen Plan B für den Fall des Scheiterns.
An leidenschaftlichen Skeptikern bestehe kein Mangel, sagte US-Außenminister John Kerry schon vor zwei Wochen beim Aufwärmtreffen für die neue Nahost-Friedensrunde. Da hat er recht: Außer ihm glaubt wahrscheinlich kaum jemand an einen Erfolg. Vielleicht nimmt sich nicht einmal Kerry selbst den Optimismus ab, den er so tapfer und ausdauernd verbreitet. Doch in pessimistischer Untätigkeit zu verharren und zuzuschauen, wie alles weiter den Bach hinuntergeht, darf auch keine ernsthafte Alternative für den Außenminister der einzigen Weltmacht sein, die Israelis und Palästinenser zum Dialog zwingen kann. Auch wenn die Chance noch so gering ist, dass in neun Monaten tatsächlich ein Friedensabkommen herausschaut: Einen Versuch ist es wert.
Kerry hat mit beträchtlichem persönlichen Einsatz nach fast drei Jahren Stillstand die Verhandlungen wieder in Gang gebracht. Dafür gebührt dem Unterschätzten Anerkennung. Er legte gleichsam einen Bypass um das größte Gesprächshindernis. Seit 2010 hatte PLO-Chef Abbas einen israelischen Siedlungsbaustopp zur Vorbedingung gemacht. Darauf wollte sich Premier Netanjahu aus innenpolitischen Gründen nicht einlassen. Die Situation war festgefahren. Kerry fand einen Weg aus der Sackgasse, indem er Netanjahu zu einem anderen Zugeständnis bewegte: zur Freilassung palästinensischer Gefangener. Zugleich gelang es Kerry, die Arabische Liga für seine Initiative zu gewinnen. Und finanzieller Druck auf Abbas wird seine Wirkung auch nicht verfehlt haben.
Netanjahu wiederum konnte es sich offenbar auch nicht länger leisten, sich dem diplomatischen Vorstoß der wichtigsten Schutzmacht Israels zu widersetzen. Dabei mag eine gewisse Rolle gespielt haben, dass seinem Land zuletzt auf internationaler Bühne ein zunehmend eisiger Wind entgegengeweht war, in der UNO und auch in der EU. Den Ausschlag gab jedoch, dass die US-Regierung ihr Interesse am Kernkonflikt des Nahen Ostens wiederentdeckt hatte. US-Präsident Obama hatte, wie es seine Art ist, zunächst mit rhetorischen Höhenflügen große Friedenshoffnungen geweckt, es sich aber beim ersten Widerstand wieder auf der Zuschauertribüne bequem gemacht. Jetzt führte Kerry die USA wieder energisch in die nahöstliche Arena zurück.
Ihm wird klar sein: Die Voraussetzungen für einen Friedensschluss waren schon besser, vor 20 Jahren nach dem Oslo-Abkommen oder auch 2000 in Camp David. Antreiben dürfte den erfahrenen 69-jährigen Politiker jedoch die dunkle Ahnung, dass die Aussichten in Zukunft auch nicht rosiger werden. PLO-Chef Abbas sitzen die radikalen Islamisten der Hamas im Nacken, Israels Premier Netanjahu hat mit Naftali Bennett einen Koalitionspartner, der die Zweistaatenlösung öffentlich ablehnt. Das Vertrauen zwischen Israelis und Palästinensern ist unter null. Knapp vor Verhandlungsbeginn hat es der israelische Bauminister mit seiner provokanten Ankündigung, neue Wohneinheiten in Siedlungen zu errichten, weiter sinken lassen. Diesem Anfang wohnt nicht einmal der Funken eines Zaubers inne.
All die gescheiterten Anläufe für einen Nahost-Frieden haben auch einen Vorteil: Die Schubladen sind gut gefüllt mit Puzzlestücken für eine Konfliktlösung. Abbas und Netanjahu müssten die Bausteine nur noch zusammenfügen: Trennung in zwei Staaten grosso modo entlang der Grenze von 1967, Gebietstausch zur Erhaltung großer jüdischer Siedlungsblöcke, Entschädigung für palästinensische Flüchtlinge statt eines rigorosen Rechts auf Rückkehr, Teilung Jerusalems. Aber können Abbas und Netanjahu die großen Brocken heben? Bis jetzt scheitert der Friedensschluss stets am Prinzip, dass nichts entschieden ist, solange nicht alles entschieden ist. Vielleicht wäre es klüger, diesmal Zwischenergebnisse festzuhalten. Doch auch darauf müssten sich die Konfliktparteien erst einigen.
Bei allem Zweckoptimismus sind Kerry und Co. jedenfalls gut beraten, einen Plan B auszuarbeiten – für den wahrscheinlichen Fall, dass die Verhandlungen wieder misslingen. Denn das kann, wie nach Camp David 2000 zu sehen war, zu neuen Gewaltexzessen führen. Und dann wäre die Zweistaatenlösung womöglich endgültig tot
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2013)