Der Druck auf Israel steigt, mit den Palästinensern Frieden zu schließen. Das macht sich Amerikas Außenminister zunutze.
Washington. So paradox es klingt: Das Chaos im Nahen Osten erhöht die Chancen auf den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern. An Israels westlicher Grenze schafft der Zerfall Ägyptens ein Aufmarschgebiet für islamistische Terroristen. Im Nordosten droht der syrische Bürgerkrieg die Israel-Hasser von al-Qaida über die Golanhöhen hereinzuschwemmen. Und in Brüssel beschließen die Europäer eine Boykottmaßnahme nach der anderen gegen Unternehmen und Waren aus den von Israel besetzten Gebieten im Westjordanland.
All das wissen die Nahost-Kenner in Washington, und das erklärt, wieso Außenminister John Kerry jetzt die Gelegenheit beim Schopf zu packen hofft. „Keine der beiden Seiten kann zu Kerry Nein sagen. Die USA sind der Partner, den beide Seiten verzweifelt benötigen“, gab der frühere Nahost-Verhandler und US-Diplomat Robert Danin vom Council on Foreign Relations neulich im Gespräch mit Journalisten zu bedenken.
Kerry hat den jetzigen Zeitpunkt für seinen Friedensvorstoß allerdings nicht nur deshalb gewählt, weil Israel unter wachsenden Druck kommt. Er will auch verhindern, dass die Palästinenser einen neuerlichen Anlauf nehmen, in den Vereinten Nationen die Anerkennung als Staat zu erwirken. Deren Generalversammlung in New York beginnt in weniger als sechs Wochen. Jede noch so symbolische Geste in der UNO für die palästinensische Eigenstaatlichkeit würde Israels Stand schwächen, wenn es sich militärisch gegen Angriffe der Hamas und andere militanter Gruppen wehren muss.
Der wirtschaftliche Druck der Europäer spielt ebenfalls in Kerrys Hände. Vergangene Woche weigerten sich Israels Verhandler, das neue Abkommen mit der EU über die israelische Teilnahme am Forschungs- und Infrastrukturprogramm „Horizont 2020“ zu unterzeichnen. Grund dafür ist die Klausel der Europäer, der zufolge nur solche Forschungsprojekte aus dem EU-Budget gespeist werden, die innerhalb der physischen Grenzen Israels von 1967 stattfinden. Unternehmen, die Geschäfte in den besetzten Gebieten am Jordan machen, wären von sämtlichen EU-Subventionen ausgeschlossen.
In Brüssel brütet man außerdem schon seit Längerem über einer Änderung der EU-Vorschriften über die Herkunftsbezeichnung von Produkten, die aus den besetzten Gebieten stammen. Sie dürften dann in der EU nicht mehr als „Hergestellt in Israel“ vermarktet werden.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist sich dieser Entwicklung bewusst. Erst neulich traf er Vertreter führender israelischer Hersteller, die ihm ihre Sorge vor einem europäischen Boykott ihrer Waren klagten. Die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern seien für Netanjahu somit ein Weg, „den Zug hin zu einer Südafrikanisierung zu bremsen“, gab Danin vom Council on Foreign Relations mit dem Hinweis auf das südafrikanische Apartheidregime zu bedenken.
Erfolg hängt von Obamas Engagement ab
So klug Kerry den Zeitpunkt für die Friedensverhandlungen auch gewählt hat: Damit sie Erfolg haben, muss der Präsident sie zur Chefsache erklären. Und danach sehe es im Moment nicht aus, warnt Danin: „Obama sieht keinen einfachen Gewinn in dieser Sache.“ Und einfache Gewinne braucht der Präsident, um dreieinhalb Jahre vor dem Ende seiner Ära im Weißen Haus das Fundament für seinen späteren Ruhm zu legen.
„John Kerry mag der Vorbereiter sein, der die Brücken zwischen Israelis und Palästinensern baut“, schreibt Aaron David Miller, der 1988 bis 2003 sechs US-Außenminister bei Nahost-Verhandlungen beraten hat, in einem aktuellen Beitrag für den Weblog des „Foreign Policy”-Magazins. „Aber Barack Obama muss im Finale selbst Hand anlegen, und zwar rund um die Uhr. Wenn er sich seinen Nobelpreis verdienen will, hätte ich eine ziemlich gute Idee dafür, wie er das anfangen könnte.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2013)