Chronik des Scheiterns: Die Neinsager in Nahost

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In Camp David schien ein Friedensvertrag in Reichweite. Israels Premier machte Konzessionen, doch nach zweiwöchigen Verhandlungen platzte eine Einigung.

Im Laufe seiner rund 60-jährigen Politkarriere hat Schimon Peres eine ganze Menge an Friedensinitiativen im Nahen Osten dahinscheiden sehen – und meist war er in irgendeiner Funktion daran federführend involviert. Seinen Optimismus hat er sich davon nicht austreiben lassen. Erst neulich bekundete der israelische Präsident, der vor zwei Wochen seinen 90. Geburtstag feierte: Er sei voller Hoffnung, denn es gebe „keine Alternative zum Frieden“. Seine Stimme hebt sich vom Chor der Pessimisten auf beiden Seiten ab, die sich zu oft schon nahe am Ziel wähnten.

Im Juli 2000 schien ein detailliert ausgehandelter Friedensvertrag bereits in Griffweite. Bill Clinton hatte den israelischen Premier Ehud Barak und PLO-Chef Jassir Arafat in Camp David, dem Refugium der US-Präsidenten außerhalb Washingtons, gleichsam kaserniert. Zwei Wochen lang diskutierten sie in der Abgeschiedenheit des Catoctin-Naturparks, in der rustikalen Atmosphäre von Blockhütten und Kaminfeuer, die Streitpunkte. Bill Clinton stand ein Vorbild vor Augen: 1978 hatte Jimmy Carter just hier, in den Wäldern Marylands, die Erzrivalen Israel und Ägypten zu einem bahnbrechenden Friedensschluss bewogen. Israels Premier Menachem Begin und Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat teilten sich hernach die Ehre des Friedensnobelpreises, Carter fielen die Lorbeeren 2002 zu.

Mythenumwobenes Treffen

Ein halbes Jahr vor Ende seiner zweiten Amtszeit ging es Clinton unter anderem darum, als Friedensfürst in die Annalen einzugehen – und einen Kreis zu schließen, indem er das Werk vollendete, das sein Vorgänger George Bush sen. einleitete. Denn Bush, der Ältere setzte einen Prozess in Gang, der in Geheimverhandlungen in Oslo mündete und in einem historischen Handschlag im Rosengarten des Weißen Hauses zwischen dem israelischen Premier Jitzhak Rabin und Arafat, bei dem Bill Clinton als Gastgeber den Zeremonienmeister spielte. Im Sommer 2000 sah der US-Präsident nach einer Reihe von Rückschlägen nun endlich den Zeitpunkt für einen Durchbruch gekommen – Kritiker meinen für einen über den Daumen gebrochenen Frieden.

Um Camp David II, das Treffen Barak/Arafat, ranken sich zahlreiche Mythen. Bei Ex-Generalstabschef Barak war die Abneigung gegenüber Palästinenserführer Arafat ähnlich stark ausgeprägt wie beim Ex-Topmilitär Rabin, der sich anno 1993 nur widerwillig zum Handshake mit dem langjährigen Todfeind durchgerungen hatte. Insgesamt nur eineinhalb Stunden sollen Barak und Arafat in den 14 Tagen in Camp David direkt miteinander verhandelt haben – eine Brüskierung Arafats.

Dabei war der israelische Premier zu weitreichenden Konzessionen bereit: Die Palästinenser sollten 96 Prozent der von Israel besetzten Gebiete erhalten – und als Ausgleich für Male Adumim und Ariel, die beiden eminenten israelischen Siedlungen im Westjordanland, einen Teil der Negev-Wüste. Selbst die Jerusalem-Frage schien geklärt, nur beim Rückkehrrecht für die Palästinenserflüchtlinge spießte es sich. Für die Israelis ist dies eine existenzielle Frage, für die Palästinenser eine mehr oder weniger symbolische. Die Rückkehr von fünf Millionen Flüchtlingen würde das Ende des Judenstaats besiegeln. Arafat konnte es sich wiederum nicht leisten, ohne zumindest einen zählbaren Erfolg in dem heiklen Streitpunkt heimzukehren.

„Arafat ist kein Staatsmann“

Die Israelis schäumten, als Arafat nach zweiwöchigem Ringen den Deal platzen ließ. „Arafat ist kein Staatsmann“, zürnte Barak, und daheim in Israel machte wieder ein Bonmot die Runde: „Arafat verpasst keine Gelegenheit, eine Gelegenheit zu verpassen.“ Clinton, der eine Teilung über die Hoheit des Tempelbergs vorgeschlagen hatte, schleuderte Arafat ins Gesicht: „Sie sind 14 Tage hier gewesen, und Sie haben zu allem Nein gesagt.“ Israelische Insider wie der Diplomat Avi Primor warfen dem US-Präsidenten indes vor, zu wenig Druck ausgeübt zu haben. Und selbst die Saudis gingen mit dem PLO-Chef hart ins Gericht.

Drei Monate später brach nach einem provokativen Besuch des damaligen Oppositionsführers Ariel Scharon auf dem Tempelberg eine neue Intifada aus. Und ein paar Monate danach gewann der Veteran Scharon die Wahl in Israel – nachdem wenige Tage zuvor die Hoffnung auf Frieden nochmals kurz aufgekeimt war. In einem hastigen Versuch im ägyptischen Grenzort Taba auf der Sinai-Halbinsel beeilten sich die Streitparteien im Jänner 2001, an die Verhandlungen in Camp David anzuknüpfen. Angeblich war eine Einigung noch näher gerückt als im US-Präsidentendomizil, doch die Deadline der Israel-Wahl machte jeden Erfolg auf absehbare Zeit zunichte.

Unter der Ägide George W. Bushs entwarf die US-Diplomatie eine sogenannte „roadmap“, und ein Nahost-Quartett (USA, UNO, EU und Russland) machte sich daran, diesen Stufenplan im Nahen Osten schmackhaft zu machen. Unter Kronprinz Abdullah forcierten die Saudis eine Friedensinitiative, israelische und palästinensische Politiker lancierten ein halb offizielles „Genfer Abkommen“, im US-Städtchen Annapolis unternahm die Bush-Regierung 2007 in einer Mammutkonferenz einen neuen Anlauf. Über einen Anfang kam jedoch keine Initiative hinaus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2013)

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