Galizki: "Satte Leute neigen zum Sozialismus"

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Sergei Galizki ist laut "Forbes" auf Platz 17 der Liste der reichsten Russen. Der Staat müsse sich um Waisen, Invalide und Pensionisten kümmern, um mehr nicht, meint der Gründer der größten russischen Lebensmittelkette.

Moskau. Auch in Russland kann ein Tellerwäscher zum Multimilliardär werden. Sergej Galizki eröffnete vor eineinhalb Jahrzehnten ein kleines Geschäft. Heute ist daraus die landesweit größte Lebensmittelkette Magnit mit über 7500 Geschäften, knapp 200.000 Mitarbeitern und 4500 Lkw geworden. Und täglich kommt ein halbes Dutzend neuer Geschäfte hinzu. Galizki hat es als einziger Magnat außerhalb des Rohstoffsektors in die Topränge der russischen „Forbes“-Reichstenliste geschafft. Er liegt auf Platz 17. Seine börsenotierte Kette, von Analysten auch schon einmal „russisches Apple“ genannt, steuert der 45-Jährige von der südrussischen Stadt Krasnodar aus. Im Interview mit der „Presse“ erklärt er, was das Wesen des Unternehmertums sei, warum Europa vom Sozialismus bedroht ist und dass er ganz einfach Geld liebt.

Die Presse: Stimmt die gängige Meinung, in Russland werde die Wirtschaft von der Politik gebremst?

Sergei Galizki: In Russland fehlt eine Unternehmenskultur. Das ist verständlich, eine ganze Schicht von Unternehmern ist vernichtet worden, und wir konnten bei niemandem lernen. Unternehmen werden oft unachtsam geführt. Deswegen und wegen ihrer Verschlossenheit gegenüber Investoren sind die meisten nur mit dem Zwei- bis Dreifachen des Jahresgewinnes bewertet. Das Problem liegt nicht in der Politik. Unsere Aktien sind binnen fünf Jahren um mehr als 500 Prozent gestiegen.

Aber die Einstellung zu Unternehmern ist nicht sehr wohlwollend.

Stimmt. Aber sie ist weltweit nicht gut. Niemand liebt die Erfolgreichen. In Russland kommt dazu, dass die Unternehmer selbst ihr Image zerstört haben – durch die Art der Privatisierung und wie die Banken die Menschen betrogen haben. Es wird jetzt wohl mehr als 15, 20 Jahre brauchen, um das Image zu verbessern. Aber die Einstellung ändert sich. Das merke ich an mir.

Wie gelang es Ihnen, in den wilden 1990er-Jahren nicht von den großen Playern geschluckt zu werden?

Diese waren mit anderen Sektoren beschäftigt, die schnellen Gewinn brachten. Im Retailgeschäft gingen wir ein großes Risiko ein, weil die Kreditzinsen im Jahr bis zu 240 Prozent ausmachten. Und wir hatten keinen stabilen Gewinn. Wer keine Angst hatte, überlebte.

Sie sagten einmal, dass Sie nicht Christus seien. Wer im Haifischbecken schwimmt, muss also auch wie ein Haifisch agieren?

Man soll nicht päpstlicher als der Papst sein. Die Ethik hängt von der Gesellschaft ab, in der du lebst. Ich jedenfalls werde nichts tun, was den Aktionären schaden könnte. Und ich nehme lieber einen Verlust in Kauf, als jemals Steuern zu hinterziehen.

Kann man Unternehmertum lernen?

Nein. Oft wird ja Unternehmertum mit einem familienbetrieblichen Handwerk – etwa der Führung eines Restaurants – verwechselt. Der Unterschied liegt in der Größenordnung. Einen Konzern zu führen ist nur wenigen gegeben, die die Fähigkeiten dazu unbewusst im eigenen Leben entwickelt haben. Was die Schule leisten kann, ist, die Schüler das logische und schnelle Denken zu lehren.

Ein russischer Milliardär sagte einmal: Willst du dein Kind verderben, hinterlasse ihm eine Milliarde. Was denken Sie?

Das Geld erhalten ja meist schon die Enkel und nicht die Kinder. Wenn du 70 wirst, ist dein Kind 40. Und wenn du es bis dahin den Umgang mit Geld nicht gelehrt hast, dann gute Nacht.

Was bedeutet für Sie Geld?

Alle sagen, dass ihnen Geld nicht wichtig ist. Mir aber gefällt es, Geld zu verdienen. Ich habe nie genug davon.

Wie verwalten Sie es?

Ich versuche, weniger auszugeben, damit mein Anteil an der Firma nicht schrumpft. Das gelingt nicht immer. Derzeit baue ich ein Fußballstadion für 200 bis 300 Millionen Dollar. Also muss ich mehr verdienen.

Warum haben Sie im Unterschied zu vielen Russen keine Immobilien im Ausland?

Man kann nicht in zwei Häusern wohnen. Hätte ich ein Bedürfnis, ein Schloss in Österreich zu kaufen, würde ich es tun. Aber ich habe das Bedürfnis nicht.

Im Juni etwa haben Sie 170 Geschäfte mit je 300 Quadratmetern eröffnet. Wie kann man sich so ein Tempo vorstellen?

Gar nicht, wenn ich Ihnen nicht stundenlang die Geschichte des Unternehmens erkläre. Alles passiert evolutionär.

Magnit plant 10.000 neue Geschäfte bis 2017. Analysten meinen, das ginge sich höchstens bis 2020 aus.

Analysten sind wie die Wetterprognose – sie irren nur ein Mal, aber jeden Tag. Andererseits gibt es ein Sprichwort: Willst du Gott erheitern, erzähl ihm deine Pläne. Wir wissen nicht, was morgen ist. Aber wir denken, dass es möglich ist.

Als sich der Kurs der Magnit-Aktie vervielfachte, kommentierten Sie das mit dem Satz: Die Investoren müssen verrückt geworden sein. Denken auch Sie, dass Magnit überbewertet ist?

Es gibt ein Sprichwort: Um nicht enttäuscht zu sein, soll man sich auch nicht bezaubern lassen. Ich möchte, dass man sich ruhiger und gelassener zu uns verhält. Ja, wir sagen, dass wir bis 2017 10.000 neue Geschäfte haben werden, aber wir kennen ihre Rentabilität noch nicht. Wir sagen, dass wir langfristig sehr große Perspektiven sehen. Aber der Weg dorthin wird zickzackförmig sein. Zumindest in den kommenden zehn Jahren sehen wir Möglichkeiten für Retail in Russland.

Ihr Kurs-Gewinn-Verhältnis ist im Vergleich mit Ihren Konkurrenten sehr hoch.

Vielleicht arbeite ja nicht ich gut, sondern die anderen schlecht?

Ladenschlusszeiten sind in Russland kein Thema. Im Westen sind sie beschränkt. Was halten Sie von dieser Diskussion?

Ich hielt westliche Staaten für den Maßstab der Demokratie. Aber als ich erfahren habe, dass der norwegische Massenmörder Anders Breivik prinzipiell vom Gefängnis aus studieren dürfte, dachte ich mir, da wird der Bogen überspannt. Gleichzeitig sehe ich demokratische Grundpfeiler verletzt, wenn verboten wird, Geschäfte am Wochenende offen zu halten. Da beginnt der Staat übermächtig zu werden. Ich denke, ich sollte meine Waren verkaufen können, wann ich will.

Russen kaufen gern: Wie tickt der russische Kunde?

Während die Deutschen Qualitätsprodukte wollen, sind die Russen immer noch auf Marken aus. Und sie wollen ständig Neues, weil sie noch nicht satt sind. Die Deutschen und die Europäer sind Calvinisten, arbeiten viel und sparen. Die Russen sagen sich: Wir sind zum letzten Mal geboren. Was wir verdient haben, wollen wir ausgeben. Es ist eine Folge der vergangenen 500 bis 700 Jahre, als die Russen immer wieder ihren Besitz verloren haben.

Sie sagten einmal, dass den Russen die Selbstverantwortung fehlt.

Die Russen sind noch nicht so lange frei. Sie wollen, dass jemand für sie denkt. Der Staat muss Waisen, Invalide und Pensionäre unterstützen. Aber der Rest muss sich um sich selbst kümmern.

Im Westen wird gerade die Reichensteuer eifrig diskutiert.

Ich halte das für schlecht. Reiche stimulieren die Produktion und schöpfen Wert. Reichensteuern werden gemacht, damit das Volk sieht, dass man die Reichen an die Brust nimmt. Dann ist dem Volk leichter. Das sehe ich gelassen, aber nicht sehr positiv. Ein großes Verdienst der Regierung in Russland ist, dass die Steuern niedrig sind. Niemand geht besser mit Geld um als die Unternehmer. Man muss es ihnen daher lassen, und sie werden es im Land investieren.

Sowohl im Westen wie in Russland heißt es gern, man brauche mehr Sozialismus. Braucht man nicht mehr Liberalismus?

Wenn man in Russland vom großen Staatssektor absieht, dann ist die Wirtschaft liberaler als im Westen – vor allem bei Steuern. Im ewigen Kampf zwischen Sozialismus und Liberalismus wird immer der Sozialismus siegen, weil die Politik sich nach dem Volk richtet. Leute wie Margaret Thatcher, die die Kritik aushalten und etwas für die Wirtschaft tun, sind rar. Russland leidet am Sozialismus. Mein Wunsch ist, dass er wenigstens nicht zunimmt.

Wie schafft Russland Wachstum?

Wie jedes Land über den Menschen, denn er ist der Konsument. Das 21. und 22. Jahrhundert werden Jahrhunderte der Bevölkerung sein. Wer mehr davon hat, mit dem wird zu rechnen sein. Und ich bin dafür, dass der staatliche Reservefonds in die Infrastruktur investiert und nicht für die nächsten Generationen spart. Ich will nämlich jetzt gute Straßen. Meine Enkel können dann selbst das Geld für ihre guten Straßen verdienen.

Wie sieht ein russischer Multimilliardär das gegenwärtige Europa?

Zuerst einmal als eines der globalen Flaggschiffe – in der Kultur, im Geschäft und bei fortschrittlichen Ideen. Aber wenn Leute satt werden, neigen sie zum Sozialismus. Und Sozialismus trägt immer die Fäulnis in sich: Die Arbeitswochen werden verkürzt, das Arbeitslosengeld erhöht. Der Sozialismus kann Europa zugrunde richten. Sobald der Unternehmergeist, der Geist des freien Marktes, aus Europa verschwindet, müsst ihr euch auf den Sozialismus einstellen. Und dann werden nicht wirtschaftliche Regeln die Verteilung vornehmen, sondern einzelne Leute. Und sie regeln sicher schlechter als die unsichtbare Hand Adam Smiths. Europa muss hager sein, nicht dick. Sonst verliert es die geistige Führerschaft.

Zur Person

Sergej Galizki (45) wurde in der südrussischen Stadt Krasnodar geboren. Nach einer kurzzeitigen Arbeit während des Studiums in einer Bank ging er schon bald in den Lebensmittelhandel. Seine Discount-Kette Magnit, an der er 42,1 Prozent der Anteile hält, gilt heute als größte Lebensmittel-Handelskette in Russland und als landesweit größter privater Arbeitgeber. Das Unternehmen beschäftigt 200.000 Mitarbeiter in 7500 Filialen.

Galizkis Vermögen wird von „Forbes“ auf 8,2 Milliarden Dollar (6,17 Mrd. Euro) geschätzt. Er nimmt in der russischen „Forbes“-Liste Platz 17 ein.

Seine Leidenschaft gilt dem Fußball. Den Fußballklub Krasnodar hat er in die erste Liga gehievt. Für den Aufbau der Fußballakademie, in der 3700 Jugendliche trainieren, legte er 60 Mio. Dollar aus. Ein modernes Stadion ist in Bau. Galizki ist verheiratet und Vater einer Tochter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2013)

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