Seit Japan aufbereitetes Kühlwasser des AKW Fukushima ins Meer eingeleitet hat, sind viele Chinesen besorgt um ihre Gesundheit. Ein Boykott japanischer Marken sorgt für Probleme am Aktienmarkt. Und Japans Regierung appelliert an seine Bürger, sich bei Chinareisen unauffällig zu verhalten.
Chinesen schieben große Mengen Salz auf Einkaufswägen durch den Supermarkt. Es ist weder Glatteis-Gefahr noch eine neue Pandemie, die den Run auf das Salz auslöst. Es ist die Einleitung von radioaktivem Kühlwasser des AKW Fukushima in Japan, die den Chinesen Sorge berietet - obwohl das Wasser aufbereitet wurde und von allen Seiten versichert wird, dass die Maßnahme der Umwelt und den Menschen nicht schade. Das chinesische Medienunternehmen Jieman berichtet, dass seit dem 22. August auf der beliebten Onlinehandels-Seite JD.com 6,73 Millionen Bestellungen für Salz eingegangen seien.
Das Salz-Hamstern in China hat mehrere Gründe: Einerseits fürchten viele Menschen, dass das Meersalz künftig kontaminiert sein könnte, andererseits ist der Glaube weit verbreitet, dass jodiertes Salz vor radioaktiver Strahlung schützt. Schon 2011 - nach dem Erdbeben und Tsunami vor Fukushima und der Havarie des AKW in der Folge - gab es ernorme Nachfrage nach Salz in China.
Warnung vor China-Reisen: Japanisch nur leise reden
Die japanische Regierung hat ihre Bürger gewarnt, sich bei einem Besuch in China vorsichtig zu verhalten. Zuletzt hatte es mehrere Berichte über Belästigungen von Japanern in China gegeben - eine Reaktion auf die Einleitung von gereinigtem Abwasser aus dem japanischen Atomkraftwerk Fukushima ins Meer.
Das japanische Außenministerium appellierte an seine Bürger, die einen China-Besuch planen, zu vermeiden, mit lauter Stimme Japanisch zu sprechen, und beim Besuch der Botschaft oder des Konsulats genau auf ihre Umgebung achten. In einer Erklärung auf seiner Website forderte das Ministerium die Menschen dazu auf, sich von Demonstrationen gegen die Einleitung von radioaktivem Kühlwasser in Fukushima fernzuhalten. Man solle auch keine Fotos im Umfeld solcher Protestaktionen machen.
Japan: Keine erhöhte Radioaktivität im Meerwasser
Japans Umweltministerium zufolge konnte im Meerwasser in der Nähe des Atomkraftwerks Fukushima keine Radioaktivität festgestellt werden. Wie das Ministerium am Sonntag mitteilte, wurden Wasserproben an elf Stellen rund um die Anlage entnommen und getestet. Die Tests hätten eine Konzentration des radioaktiven Isotops Tritium unterhalb der unteren Nachweisgrenze - 7 bis 8 Becquerel Tritium pro Liter - ergeben.
Das Meerwasser habe deswegen keine nachteiligen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Wie ein Sprecher der Behörde gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters erklärte, soll in den nächsten drei Monaten wöchentlich getestet und die Ergebnisse dann veröffentlicht werden.
Die japanische Regierung hatte am Donnerstag damit begonnen, aufbereitetes Wasser, das zuvor zur Kühlung von Atomreaktoren verwendet worden war, in den Pazifik abzuleiten. Die Entscheidung hatte Proteste in Japan und den Nachbarländern ausgelöst und China dazu veranlasst, die Einfuhr von Meeresfrüchten aus Japan zu verbieten. Obowohl auch die Internationale Atomenergiebehörde IAEA erklärte, dass der Schritt im Einklang mit globalen Sicherheitsstandards stehe und vernachlässigbare Auswirkungen auf Mensch und Umwelt hätte.
In China ist die Wut auf Japan - traditionell ein Gegenspieler - besonders groß. Letzte Woche seien Steine auf eine japanische Schule in Qingdao geworfen worden und eine andere japanische Schule anderswo in China sei mit Eiern beworfen worden, berichtete TV Asahi unter Berufung auf diplomatische Quellen.
Lokale Regierungsbüros und Unternehmen in der Präfektur Fukushima und darüber hinaus wurden mit Anrufen von Menschen in China überschwemmt, die offensichtlich gegen die Wasserentsorgung protestierten, berichteten die Zeitung Sankei und andere Medien.
Wirtschaftliche Beziehungen in Gefahr
Abgesehen von der atmosphärischen Spannung zwischen Japan und China spitzt sich der Konflikt auch im Wirtschaftssektor zu. Die chinesischen Behörden haben letzte Woche die Einfuhr japanischer Meeresfrüchte verboten und damit der japanischen Fischereiindustrie einen schweren Schlag versetzt. Auf China entfällt rund die Hälfte der Meeresfrüchteexporte des Landes.
Die chinesischen sozialen Medien sind voll von Beiträgen besorgter Chinesen, die angeben, nun japanische Marken zu boykottieren. Ein Beitrag auf Weibo listet Dutzende japanische Marken auf, die man nicht kaufen sollte, darunter Shiseido, Panasonic, Uniqlo, Mitsubishi, Aeon und Nomura. Der Beitrag hat seit seiner Veröffentlichung am 24. August mehr als 10.000 „Likes“ erhalten.
„Ich werde nie wieder japanische Kosmetik kaufen, ganz zu schweigen von Meeresfrüchten“, identifizierte sich ein Benutzer mit einem Spitznamen, der am Montag auf Weibo gepostet wurde. „Ich werde nichts anfassen, wo die Wasserquelle verunreinigt sein könnte.“
Die Möglichkeiten für eine diplomatische Annäherung scheinen derzeit begrenzt zu sein. China hat letzte Woche einen geplanten Besuch des Junior-Koalitionsparteichefs abgesagt. Premier Kishida selbst wird nächste Woche Jakarta beim Asean-Gipfel erwartet, es ist jedoch unklar, ob es zu einem Gespräch mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang kommen wird.
Aktien brechen ein
Die Boykottaufrufe vieler Chinesen haben auch unmittelbare Auswirkungen auf die Aktienkurse japanischer Unternehmen. Besonders die Kurse jener Firmen, die auf die Nachfrage aus China angewiesen sind, brachen ein. Das in Tokio ansässige Kosmetikunternehmen Shiseido Co. fiel um bis zu 3,3 Prozent auf ein Fünfmonatstief - und das an einem Tag, an dem der Aktienmarkt generell eher zulegte. Laut der von der Nachrichtenagentur Bloomberg zusammengestellten Daten machen die Einnahmen aus China 30 Prozent des Gesamtumsatzes von Shiseido aus.
Die Boykottwelle kommt zu einer Zeit, in der viele Unternehmen in Japan eigentlich gehofft hatten, durch das Ende des Gruppenreisen-Banns Chinas wieder profitieren zu können. Doch trotz der Online-Proteste gehen einige Analysten davon aus, dass die Nachfrage nach japanischen Produkten nach einer Weile zurückkehren wird, insbesondere wenn Wechselkursschwankungen diese Waren für chinesische Käufer billiger machen. „Japans Produkte sind bei chinesischen Touristen sehr gefragt und der schwache Yen wird sie nur noch attraktiver machen“, sagte Charu Chanana, Marktstratege bei Saxo Capital Markets. (Bloomberg/APA/Red.)