Der Einstieg der OMV in der Nordsee ist ein strategisch ziemlich wichtiger Schritt zur Verringerung der Energieabhängigkeit vom Mittleren Osten und von Russland.
Nach größeren Fehlschlägen wie dem gescheiterten Nabucco-Pipelineprojekt kommt jetzt wieder einmal eine positive Nachricht vom heimischen Öl- und Gasriesen OMV: Der börsenotierte österreichisch-arabische Staatskonzern (die Staatsholdings ÖIAG aus Österreich und IPIC aus Abu Dhabi halten zusammen mit 56,4 Prozent eine durch Syndikatsverträge wasserdicht abgesicherte stabile Mehrheit) kauft sich in Nordsee-Öl- und Gasfelder des norwegischen Staatskonzerns Statoil (67 Prozent Staatsbesitz) ein und baut damit seine Nordeuropa-Aktivitäten massiv aus.
Ob das kommerziell ein richtiger Schritt ist, wird man sehen. Die Börse zweifelt vorerst daran: Unmittelbar nach Bekanntgabe der größten Einzelinvestition in der heimischen Industriegeschichte sackte der Kurs der OMV-Aktie recht deutlich ab. Wohl aus der Befürchtung heraus, die Österreicher könnten den Norwegern einen überhöhten Preis bezahlt haben. Einige internationale Analysten sind offenbar dieser Meinung.
Strategisch ergibt das Engagement aber jedenfalls Sinn: Die Nordsee ist nicht nur eine öl- und gasreiche Region, sondern auch eine politisch stabile. Das ist im Ölbusiness leider nicht die Regel: Ein relativ großer Teil der Weltreserven liegt im Mittleren Osten und in Nordafrika. Also in Weltgegenden, die derzeit von Bürgerkriegen, Revolutionen und einem wachsenden, aggressiv antiwestlichen politischen Islamismus heimgesucht werden. Das ist kein Umfeld, in dem man gern investiert und von dem man abhängig sein möchte.
Die OMV kann ein Lied davon singen: Ihre relativ große Libyen-Beteiligung stand in letzter Zeit krisenbedingt mehr still, als sie in Betrieb war.
Aber auch von anderer Seite bläst dem heimischen Energiekonzern ein eiskalter Wind entgegen: Die russische Gazprom, fast schon Monopolist bei der Belieferung Österreichs mit Erdgas, hat der OMV via langfristige Lieferverträge Gaspreise aufgedrückt, die höher sind als jene, die der Energiekonzern beim Weiterverkauf erzielen kann.
Ist halt ungesund, wenn man sich so weitgehend von einem einzigen Lieferanten abhängig macht. In dieser Situation ist jede Diversifikation, die die Abhängigkeit verringert, positiv zu bewerten. Die Frage ist hier eher, wieso sich die Österreicher nicht schon längst stärker nach freundlicheren Lieferanten umsehen beziehungsweise die Sache, wie jetzt in der Nordsee, selbst in die Hand nehmen.
Energiepolitisch gesehen ist der Deal jedenfalls ein (wenn auch vergleichsweise kleiner) Befreiungsschlag aus der übergroßen Abhängigkeit vom Mittleren Osten (Öl) und Russland (Gas). Einer, der notwendig ist. Denn trotz aller Euphorie in Sachen erneuerbare Energien werden Erdöl und Erdgas, nüchtern betrachtet, noch jahrzehntelang das Rückgrat der Energieversorgung bilden.
Und sie werden das auch können. Fossile Energieträger sind zwar zweifellos endlich, dank verbesserter Fördertechnologien aber trotz aller Endzeitprognosen (nach dem legendären Club-of-Rome-Report aus den Siebzigerjahren müssten wir derzeit ja schon die letzten Tropfen aus der Erde quetschen) noch sehr lange nicht ausgeschöpft. Ein Industrieland, das das ignoriert, sägt an seiner Zukunft.
Die Ausweitung der OMV-eigenen Produktion ergibt also sowohl für das Unternehmen OMV wie auch für das Land Sinn. Aus energiepolitischer Sicht wäre es sogar wünschenswert, die Abhängigkeit von politisch instabilen beziehungsweise unzuverlässigen Regionen noch viel stärker zu reduzieren.
Das wäre rein technisch auch durchaus möglich. Sogar im Inland. Im niederösterreichischen Weinviertel beispielsweise gibt es ja vergleichsweise riesige Schiefergasvorkommen. Hier betritt man aber sehr schnell ein gewaltiges umweltpolitisches Minenfeld: Die zur Hebung dieser Schätze notwendige Fördermethode – Fracking – wird ja gerade zum umweltpolitischen Gottseibeiuns aufgebaut.
Dann schon lieber „Restlverwertung“ in der Nordsee. Auch wenn die Amerikaner, die da weniger Skrupel haben, sich mit dieser Methode vom Großimporteur gerade zum Gas-Nettoexporteur „hochfracken“.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2013)