Gastbeitrag

Vom richtigen Umgang mit dem zivilen Ungehorsam

Während der Klimaschutz von vielen positiv beurteilt wird, sehen ebenso viele das Kleben an öffentliche Straßen kritisch.

Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten und ihre Aktivitäten werden vermehrt kontrovers diskutiert. Häufig ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen dem Warum und dem Wie der Aktionen. Während ihre Anliegen, das heißt der Klimaschutz und die Senkung der Treibhausgase, von vielen Menschen positiv aufgenommen werden, werden das Kleben an öffentliche Straßen und das Beschmutzen von Museen kritisch gesehen.

Man sieht: Das Warum verträgt sich nicht immer mit dem Wie. Also: Wie weit darf ziviler Ungehorsam überhaupt gehen? Keine einfache Frage und eine Frage, die die Rechtswissenschaft und die Philosophie gleichermaßen beschäftigt.

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Es ist der 7. August 2023, Innsbruck, frühmorgens. Auf dem Weg zur Bibliothek sehe ich eine Schar friedlicher Klima-Aktivisten der Gruppierung Letzte Generation. Eine Dame auf der gegenüberliegenden Seite hält eine Tafel mit der Aufschrift „Ziviler Ungehorsam! Jetzt!“ in die Luft. Eine Frau neben mir ruft den Aktivisten energisch zu: „Ja nicht auf die Straße kleben! Geht doch lieber mal arbeiten!“

Ich ziehe weiter. Als Wissenschaftler beschäftigen mich solche Phänomene trotzdem, speziell die Frage nach dem Nutzen und der Berechtigung des zivilen Ungehorsams. Dann kommen mir Jürgen Habermas, der im zivilen Ungehorsam einen öffentlichen Akt sieht, und Hannah Arendt in den Sinn. Beide haben sich auf akademischer Ebene intensiv mit dem Terminus der zivilen Ungehorsams beschäftigt. Der Begriff erlebt gegenwärtig jedenfalls eine Renaissance. Wie kann dieses Phänomen bewertet werden?

Konfrontation mit dem Recht

Das bloße Spazierengehen der Aktivisten ist jedenfalls nicht als Akt des zivilen Ungehorsams zu bewerten, weil hier keine direkte Konfrontation mit geltendem Recht erfolgt. Werden jedoch öffentliche Straßen blockiert oder Museen beschmiert, liegt die Möglichkeit einer (straf-)rechtlichen Verfolgung aufgrund eines Rechtsbruchs vor, die von den Aktivistinnen auch weitestgehend akzeptiert wird.

Dieses In-Kauf-Nehmen kann somit als Form des zivilen Ungehorsam klassifiziert werden, sofern es auf dem Grundsatz der Gewaltlosigkeit basiert und die Beteiligten den Rechtsstaat grund­sätzlich anerkennen. Gewalt­losigkeit der Durchführung, also ohne Eintritt eines Schadens oder einer Verletzung, und prinzipielle Bekennung zum Staat sind nämlich Grundvoraussetzungen dafür, dass überhaupt erst von zivilem Ungehorsam gesprochen werden kann. Dadurch lässt sich ziviler Ungehorsam vom klassischen Widerstandsrecht differenzieren.

Kein neues Phänomen

Ziviler Ungehorsam ist kein neues Phänomen, im Gegenteil. Es kann attestiert werden, dass zahlreiche politische Entscheidungen auf Akte zivilen Ungehorsams zurückgeführt werden können (z. B. in den USA), wenngleich solche Praktiken und ihre Legitimität bis heute umstritten sind.

Speziell in Österreich wird ziviler Ungehorsam meist dann als Mittel eingesetzt, wenn es um wesentliche gesellschaftliche Fragen geht. Immer mehr zeigt sich, dass sich gerade jüngere Menschen an solchen Formen beteiligen, was durch die Klimakrise deutlich wird. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, weil sich auch für ihn neue Fragestellungen hinsichtlich der Rechtssicherheit, etwa in Bezug auf Fragen der Versammlungsfreiheit und des gerechtfertigten Notstands, ergeben. Philosophisch betrachtet, ist die Eigenheit des zivilen Ungehorsams auch von Interesse, da sich in seinem Vollzug ein Widerspruch feststellen lässt.

Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten wollen mit ihren Aktionen zwar einerseits das Wohl aller fördern, andererseits jedoch missachten sie dabei jene rechtlichen Normen, die demokratisch legitimiert sind. So wird auch eine philosophische Rechtfertigung zunehmend zum Problem, wenngleich aufgezeigt werden kann, dass ziviler Ungehorsam prinzipiell nur in jenen Staaten akzeptiert wird, die auf demokratischen Aspekten basieren.

Primär bestehen zwei Rechtfertigungsmöglichkeiten zivilen Ungehorsams: Einerseits eine juristische, andererseits eine moralische Begründung unter dem Element der Legitimation. Ziviler Ungehorsam kann nicht die Lösung aller Dinge sein. Das Auf-die-Straße-Kleben wird auch keine bleibende Methode darstellen, um auf den Gesetzgeber einzuwirken. Herausfordernd für demokratische Rechtsstaaten wird auch sein, die Balance zwischen Ungehorsam und Gehorsam zu finden.

Nichtstun ändert nichts

Es steht unzweifelhaft fest, dass wir uns in einer Welt vieler kritischer Umstände, ich nenne sie Diffizilitäten, befinden. So wie von einer Gesellschaft nicht gewollt werden kann, dass ziviler Ungehorsam in allem das letzte Mittel ist, so darf auch nicht gewollt werden, dass die jungen Menschen die „letzte Generation“ sind, denen der Planet Erde in dieser Form erhalten bleibt. Und gerade deshalb müssen sie vielleicht laut sein, beunruhigen und störend wirken.

Nur wer wirklich versteht, was die juristischen und philosophischen Quintessenzen des zivilen Ungehorsams sind, kann aktuelle Phänomene richtig einordnen. Vom Nichtstun wird sich jedenfalls auch unser Klima nicht verändern. Wie in so vielen Dingen kommt es wieder auf einen Mittelweg und auf jeden Einzelnen an.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Dr. Marlon Possard (*1995 in Innsbruck) ist Dozent, Habilitand und Präsident a. D. des Akademischen Börsenvereins Innsbruck. Er lehrt und forscht unter anderem an der Fachhochschule Campus Wien. Die Rechtsphilosophie bildet einen seiner Lehr- und Forschungsschwerpunkte.

Privat

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