"Ich bin eine Frau": Bradley Mannings Metamorphose

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eine Frau Bradley Mannings(c) Reuters (HANDOUT)
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Dem strengen Urteil gegen den Ex-Soldaten und Aufdecker folgte ein Knalleffekt. In einem Outing bezeichnete sich der 25-Jährige als Chelsea. Er hofft auf Begnadigung – ein frommer Wunsch.

In einem offenherzigen Internetplausch mit dem Hacker Adrian Lamo, der ihm später zum Verhängnis werden sollte, gab Bradley Manning vor mehr als drei Jahren Einblick in seine Psyche: „Mir würde es nichts ausmachen, für den Rest meines Lebens ins Gefängnis zu wandern oder sogar hingerichtet zu werden – wenn nur die Weltpresse nicht vollgepflastert wäre mit meinen Fotos.“ Die Notiz in dem Online-Chat mit dem kalifornischen Blogger, der ihn schließlich ans Messer des Geheimdiensts lieferte, liest sich beinahe prophetisch, wie sich nach seiner Verurteilung zu einer 35-jährigen Haftstrafe wegen Geheimnisverrats durch ein Militärgericht in Fort Meade herausstellte.

Denn der 25-jährige Exsoldat, der sich im Laufe des Prozesses mustergültig und zum Teil auch als reumütiger Täter präsentiert hatte, hob sich den Coup für den Tag nach der Urteilsverkündung auf. Aus einem Schreiben, signiert mit Chelsea Manning, zitierte dessen Anwalt David Coombs live in der NBC-Frühsendung „Today“: „Jetzt, da ich in diese nächste Phase meines Lebens eintrete, möchte ich, dass jeder mein wahres Ich kennt. Ich bin eine Frau.“ Von Kindheit an fühle er sich unwohl in seiner Haut, er werde sich künftig Chelsea nennen und sich einer Hormontherapie unterziehen, ließ er via Coombs der Öffentlichkeit mitteilen.

Völlig überraschend kommt das Outing Mannings indes nicht. In Frauenkleider gehüllt, mit blonder Perücke und roten Lippen schockte er einst bereits Militärvorgesetzte. Prompt tauchten diese Fotos auch während des Beweisverfahrens auf. Der offen mit seiner Homosexualität kokettierende Soldat hätte nie in die US-Streitkräfte aufgenommen werden dürfen, argumentierte Coombs.

Zeit seines Lebens haderte der schmächtige Bub, in der Schule als Außenseiter verschmäht und verhöhnt, mit seiner Homosexualität. Er war hin- und hergerissen zwischen seinem Vater Brian – einem Militärangehörigen – in Oklahoma und seiner Mutter – einer Alkoholikerin – in Wales. Der Vater schmiss ihn schließlich aus dem Haus.

Manning schlug sich mit Aushilfsjobs durch, ehe er sich 2007 der Armee anschloss, wo er jedoch bald durch jähzornige Anfälle auffällig wurde. Demonstrativ trug er eine Hundemarke mit der Inschrift „Humanist“. Erst als er durch einen Liebhaber Zugang fand zu einer Clique vom Computer-Nerds am renommierten Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, stieß er auf seine Berufung. Und als er als Informationsanalyst der US-Armee in Bagdad die Sicherheitscodes knackte, lieferte er 700.000 Daten an WikiLeaks-Gründer Julian Assange – vom Video eines Hubschrauberangriffs über Details aus dem Afghanistan- und Irak-Krieg bis zu teils hochbrisanten diplomatischen Depeschen, die Washington bloßstellten.

Held oder Verräter

Vielen gilt er als Held und Idealist. 100.000 Unterschriften sammelte eine Petition, die ihn für den Friedensnobelpreis vorschlägt. Hollywoodstars drehten ein Solidaritätsvideo: „Ich bin Bradley Manning.“ Die Bürgerrechtsbewegung und Amnesty International, die schon die Haftschikanen gegen Manning angeprangert hatten, kritisierten das Urteil, die Gruppe Reporter ohne Grenzen urgierte ein Gesetz zum Informationsschutz.

Die Justiz sprach mit ihrem Urteil indessen die bei Weitem gravierendste Strafe gegen einen Whistleblower aus. Der Pentagon-Mitarbeiter Daniel Ellsberg, der 1971 die „Vietnam Papers“ lanciert hatte, ging noch straffrei aus. Auch spätere Aufdecker kamen relativ glimpflich davon, Bill Clinton begnadigte einen von ihnen. Auf Milde durch den Präsidenten hofft nun auch Manning. Doch die Obama-Regierung verfolgt Whistleblower härter als je zuvor. Wer auch nur Insiderkenntnisse ausplaudert, muss mit scharfen Konsequenzen rechnen.

Auf einen Blick

Bradley Manning will künftig als Chelsea Manning durchs Leben gehen. „Ich bin eine Frau“, ließ der verurteilte 25-jährige Exsoldat verlauten. Das Militär hatte bereits Fotos von ihm in Perücke und mit Lippenstift zirkulieren lassen. [Reuters]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2013)

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