Biologie: Wann und warum die Wölfe heulen

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Die Tiere reagieren mit ihren Rufen nicht einfach auf Stress: Sie setzen ihr Geheul gezielt ein, um Kontakt zu halten. Forscherinnen der Vet-Med Wien zeigen es.

Können Tiere miteinander reden, können sie vokal zumindest rudimentäre Botschaften übermitteln, oder können sie nur heulen und brüllen, getrieben von Angst, Wut und anderen Emotionen? Das ist eine alte Streitfrage, und so reden wie wir können sie natürlich nicht, das hat schon Darwin notiert: „Wenn die Sinne stark erregt werden, werden die Muskeln des Körpers in gewalttätige Aktion geworfen, und als Konsequenz werden laute Töne geäußert... obwohl sie keinen Nutzen haben mögen.“ So steht es in „The Expression of the Emotions in Man And Animals“. Aber zwei Seiten später steht noch etwas: „Was den Menschen von den niederen Tieren unterscheidet, ist nicht das Verstehen artikulierter Laute, denn, wie jeder weiß, verstehen Hunde viele Wörter und Sätze. Es ist auch nicht die Fähigkeit, bestimmte Töne und Ideen zu verbinden, denn es ist sicher, dass einige Papageien, die man das Sprechen gelehrt hat, unfehlbar Wörter mit Dingen und Personen mit Ereignissen verbinden.“

Beim Hören kann Information entstehen

So feinhörig war Darwin, dass er den Bogen in aller Breite aufspannte, von der vergleichsweise geringen Fähigkeit der Tiere, unterschiedliche Laute zu produzieren – bei den meisten ist das Repertoire sehr schmal –, bis hin zur Fähigkeit, im Übermitteln (vonseiten des Senders) und Verstehen (vonseiten des Empfängers) etwas Inhaltliches daraus zu machen. Auf Letzteres verstehen sich die Tiere am besten, möglicherweise wurde von diesem Ende her auch unsere Sprache entwickelt: Wenn etwa ein Affe schreit, weil er ein Raubtier entdeckt hat, und wenn er das nur aus reinem Schrecken tut, dann können die anderen Affen doch die Gefahr hören – und insofern den Schrei, der überhaupt nichts bedeutet, verstehen, aus gar nicht vorhandener Information eine machen.

Oft ist aber eine vorhanden: Viele Affen schreien nicht einfach vor Schreck, sondern differenziert, sie schreien etwa ganz anders, wenn sie eine Schlange entdecken oder wenn sie einen Leoparden entdecken. (Diese zwei Warnrufe haben sie, mehr nicht, aber sie können sie so kombinieren, dass sie auch gezielt vor anderen Gefahren warnen können.) Und viele Tiere richten sich danach, ob überhaupt potenzielle Zuhörer in der Gegend sind – so halten es etwa die Hühner –, oder ob die richtigen Zuhörer in der Gegend sind: Schimpansen etwa machen nur enge soziale Partner akustisch auf gefundenes Futter aufmerksam. Und sie rufen, wenn sie in Kämpfen mit Artgenossen zu unterliegen drohen, nur dann Hilfe herbei, wenn sie wissen, dass einer es hören kann, der stark genug ist, ihnen beizustehen.

Zudem denken die Schimpansen mit: Wenn sie eine Schlange sehen, dann alarmieren sie nur die Gruppenmitglieder, die zu weit weg sind, um die Schlange selbst zu sehen. Und wenn später noch einer kommt, der zu weit weg war, um die Warnung zu hören, wird sie für ihn wiederholt.

Aber all das spielt sich im Dunkel der Regenwälder ab, man kann es beobachten, man kann aber nicht zugleich erheben, was gerade im Körper des Tieres vor sich geht, ob und wie sich etwa der Ausstoß der Stresshormone verändert. Das kann man natürlich bei Experimenten mit domestizierten Tieren – wie den von Darwin erwähnten –, aber bei diesen ist wieder nicht klar, ob sie ihre Kommunikationsfähigkeiten von Natur aus haben, oder von den Menschen im alltäglichen Umgang erlernt.

Wölfe werden an der Leine ausgeführt

Man bräuchte also Tiere, die noch wild genug sind, aber mit Menschen so vertraut, dass sie sich anfassen und etwa Speichelproben nehmen lassen. Solche Tiere gibt es, in Ernstbrunn in Niederösterreich, wo eine Gruppe um Friederike Range und Zsófia Viráni (Messerli Research Institute, Vet-Med Wien) das „Wolf Science Center“ aufgebaut hat. Dort experimentiert man mit händisch aufgezogenen Wölfen (und Hunden). Und man führt sie periodisch aus, immer je einen, an der Leine. Dann beginnen manche der anderen zu heulen. Machen sie das einfach aus Stress, weil vom Rudel einer fehlt? Oder steckt in dem Heulen eine Botschaft an den Rudelgenossen, mit dem kein Kontakt über die Augen oder den Geruch mehr möglich ist, akustischer aber schon?

Range hat es an neun Tieren in zwei Rudeln getestet (Current Biology, 22.8.). Sie hat zum einen den Stress gemessen – an den Hormonen im Speichel –, sie hat zum anderen gelauscht bzw. aufgezeichnet, wer wie heult, wenn bestimmte Mitglieder des Rudels weg sind, die Alphatiere etwa oder besonders enge „Freunde“, Verbündete jeweiliger Wölfe. Stress kam immer – aber er hatte keinerlei Einfluss auf die Intensität des Heulens. Diese war bei den Alphatieren groß – Wolfsrudel werden von Pärchen geführt –, aber sie war noch viel größer, wenn ein enger Verbündeter fehlte. Offenbar ging an ihn eine Botschaft, etwa in dem Sinne: „Wir sind schon noch in Kontakt.“ „Das Heulen ist nicht schlicht eine Stressantwort auf die Trennung“, schließt Range, „das unterstützt die Hypothese, dass das Heulen eine strategisch eingesetzte Vokalisierung mit dem Ziel des Kontakthaltens mit wichtigen Individuen ist.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2013)

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