Es ist nicht Aufgabe von Medien, ihre Kunden auf den Tugendpfad zu drängen

Einem Journalismus, der seinen Lesern und Usern verschweigt, dass ein gewalttätiger Asylwerber ein gewalttätiger Asylwerber ist, misstrauen diese Leser und User ganz zu Recht.

Es war ein alltäglicher Fall von häuslicher Gewalt, über den der Online-„Standard“ unter der Überschrift „Grazer attackierte Kind mit Messer“ jüngst berichtete. „Eine 28-jährige Frau hat am Montag ihrem Ehemann lebensbedrohliche Stichverletzungen mit einem Messer zugefügt. Der 24-Jährige war zuvor mit der Waffe auf seine eigene sechs Monate alte Tochter losgegangen. Die Mutter ging dazwischen und stach dann auf ihren Mann ein“, beschrieb das Medium den Tathergang soweit korrekt.

Nicht erfuhren die User vorerst freilich, dass es sich bei dem vermeintlichen „Grazer“ in Wahrheit um einen Nigerianer handelte, der in Österreich Antrag auf Asyl gestellt hatte. Der Wiener Fotograf und Autor Manfred Klimek, dem das aufgefallen war, nachdem andere Medien den Nigerianer als solchen benannten, machte daraufhin binnen Minuten seinem Ärger via Facebook zornig Luft:

„In Österreich darf man bei liberalen Zeitungen nicht schreiben, dass der vermeintliche Täter nigerianischer Herkunft und Asylwerber ist. Und kein ,Grazer‘. Dass sich die Tat in Gesamtheit unter Migranten ereignet hat, darf dort auch nicht berichtet werden. (...) Und so wird das Gegenteil erreicht: Genau solches Verschweigen bestätigt jene, die glauben, der Staat und gewisse Medien verheimlichen die Kriminalität der Zuwandernden. Und so wird es weiterhin eine große rechtsextremistische Partei geben.“

Nun wird Klimeks Vorwurf, man „dürfe“ das beim „Standard“ nicht schreiben, wohl überzogen sein, im Kern hat er mit seiner Kritik freilich weitgehend recht. Journalismus neigt in diesem Lande gelegentlich dazu, im Wege einer vom Gebot der politischen Korrektheit getriebenen Selbstzensur als unerfreulich empfundene Zusammenhänge in der Berichterstattung auszublenden, das geschieht gerade im linksliberalen publizistischen Milieu oberhalb des Boulevards.

In vielen Fällen erfolgt das vermutlich sogar aus guten Absichten heraus: etwa, um einer hierzulande ja durchaus real existierenden Fremdenfeindlichkeit und jener Partei, deren Geschäftsgrundlage dergleichen ist, nicht weiter Stoff zu liefern, aus dem deren Triumphe gemacht wurden.

Aber wie so häufig war auch in diesem Falle gut gemeint das Gegenteil von gut gemacht. Denn gerade in der Welt der Onlinemedien und der sozialen Netzwerke setzten sich die Fakten schneller durch, als ein wohlmeinender Redakteur per Mausklick aus einem Nigerianer einen „Grazer“ machen kann (was nach dem aufkommenden Shitstorm übrigens auch korrigiert wurde).

Zeitungen, die Derartiges betreiben, werden von der Bevölkerung in der Folge sofort als Teil einer polit-medialen Verschwörung wahrgenommen – mit dem Ziel, ihnen die Wahrheit (etwa über die Kriminalität von Asylwerbern) vorzuenthalten. Das ist verständlich, auch wenn es eine derartige Verschwörung nicht gibt und auch gar nicht braucht, weil eine gemeinsame Gesinnung der politischen wie journalistischen Player völlig reicht.

Den Lesern oder Usern in der Pose des Sozialingenieurs entgegenzutreten, der ihnen politisch korrekt arrangierte Wirklichkeitsausschnitte verpasst, um sie auf den Pfad der „Alle-Menschen-werden-Brüder“-Tugendhaftigkeit zu drängen, wird freilich die bekannten ökonomischen Probleme der heutigen Medienindustrie eher nicht lösen können.


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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2013)

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