Parallelwahlkampf: Alle wollen Merkel sein

Parallelwahlkampf: Alle wollen Merkel sein
Parallelwahlkampf: Alle wollen Merkel seinMontage: Die Presse
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Österreich und Deutschland wählen im September. Der Wahlkampf in Deutschland wirkt, bei aller inhaltlichen Härte, deutlich gesitteter. Ein Vergleich.

Wien/Berlin. „Och nööö“, „bitte nicht“, „was soll man da noch sagen? – die Ösis halt wieder!“: So lauten spontane Reaktionen deutscher Journalistenkollegen, wenn man sie mit halb nackten Tatsachen auf Fotos von Stronach und Strache konfrontiert. Der Wahlkampf in Deutschland wirkt, bei aller inhaltlichen Härte, deutlich gesitteter. Man trägt Hosen, und auch Angriffe unter der Gürtellinie sind selten. Aber Stilfragen sind nicht das Einzige, was den Parallelwahlkampf in Deutschland (Wahl am 22.9.) und in Österreich (am 29.9.) trennt. Ein Überblick über Unterschiede – und Ähnlichkeiten.

Der Merkel-Faktor

Angela Merkel hat die Wahl eigentlich schon gewonnen. Jedenfalls hat sich die deutsche Bundeskanzlerin einen „Popularitätspanzer“ angelegt, wie es Marktforscher und Forsa-Chef Manfred Güllner formuliert. Fast 70 Prozent sind mit ihr zufrieden. Werner Faymann erreicht in der Kanzler-Direktfrage, je nach Umfrage, hingegen nur zwischen 17 und 20 Prozent (nur Rohdaten). Der Vorsprung zu ÖVP-Chef Spindelegger ist minimal. Daher könne man auch nicht von einem Kanzlerbonus sprechen, sagt Meinungsforscher Peter Hajek. Für die Regierungsspitzen in Wien ist Merkel das große Vorbild. Auch Sozialdemokrat Faymann betont das oft und gern. Was offenbar auch Merkel hört. Im Bezug auf EU-Verhandlungen soll sie über ihn gesagt haben: „Er kommt mit keiner Meinung rein und geht mit meiner Meinung wieder raus.“

Die Koalitionen

Deutsche Parteien treffen klare Koalitionsansagen: Die Union will wieder mit den Liberalen regieren, die SPD mit den Grünen. Ein solcher Lagerwahlkampf bewirkt, dass die Wähler schon recht genau wissen, wie die Regierungsprogramme aussehen würden. In Österreich gibt es nur „Koalitionsabsagen“: Die SPÖ will etwa traditionell nicht mit der FPÖ. Sonst werden Koalitionsabsichten eher vom Gegner „unterstellt“: Die SPÖ warnt vor Schwarz-Blau, die ÖVP vor Rot-Grün. Letzten Endes wird es ohnehin meist Rot-Schwarz. Die Große Koalition, die rot-weiß-rote Normalität ist, ist in Deutschland die Ausnahme. Speziell die SPD will sie nicht, weil ihr das Bündnis mit Merkel zuletzt eine historische Wahlschlappe einbrachte. Anders sehen es die deutschen Wähler: Knapp mehr als die Hälfte von ihnen würde am liebsten von einer Großen Koalition regiert werden.

Die Themen

„Eat the rich“: SPD und Grünen wollen die Steuern für „Reiche“ erhöhen. Detto in Österreich. Der Unterschied: Die deutsche Opposition will die Mehreinnahmen für Kinderbetreuung, Bildung, Infrastruktur und den Abbau der Staatsschulden verwenden. Die Reichensteuerpläne der SPÖ hingegen sollen eine Steuerreform zur Entlastung der Arbeitseinkommen finanzieren. Stärker als hierzulande werden in Deutschland die NSA-Datenaffäre und der Euro, also die Rolle der Kanzlerin bei der EU-Krisenpolitik, diskutiert. In Österreich ist die EU bis dato eine Randnotiz.

Die Strategien

Während sich die SPD und die Grünen ihr Profil als Alternative schärfen, heißt das Markenzeichen der CDU/CSU „asymmetrische Demobilisierung“: Indem sie nach links rückt und Themen wie die Mietpreisbremse „klaut“, nimmt Merkel ihren Gegnern den Wind aus den Segel. Die ÖVP imitiert das – Stichwort: Wohnen – ein wenig. Generell konzentrieren sich ÖVP und SPÖ auf die Mobilisierung der Kernwähler. Denn die Zahl der Unentschlossenen ist mit fünfzig Prozent so groß wie nie. SPÖ und ÖVP gehen davon aus, dass jene siegen, die der Partei „nahestehende Unentschlossene“ für sich gewinnen.

Rechtspopulismus

„Wie kann es sein, dass ihr ein so großes rechtspopulistisches Lager habt?“ Diese Frage dominiert jedes Gespräch mit Deutschen über österreichische Politik. Diese Wählergruppe gibt es dort nämlich nicht. Die radikale NPD erreicht maximal ein halbes Prozent. Die eurokritische „Alternative für Deutschland“ wirbt nicht mit Stammtischparolen, sondern schickt honorige Ökonomen ins Rennen. Auf nationale Ressentiments zu setzen bleibt tabu. Wer es überschreitet, hat keinen Erfolg. Die Schuld der Vergangenheit sorgt weiter für Beißhemmung. Über Österreich lässt sich das nicht sagen. Bis Frank Stronach die Arena betrat, rechnete sich die FPÖ Chancen auf Platz eins aus. Geschwächt wurde die FPÖ aber nicht nur durch Stronach, sondern auch internen Streit und fehlende Abgrenzung zum Rechtsextremismus. Jüngst flog eine nicht öffentliche Facebook-Seite auf, wo FPÖ-nahe Personen Hasstiraden gegen Muslime und Juden austauschten.

Das Wahlsystem

In Berlin lächelt derzeit von jedem Baumstamm ein mäßig bekanntes Gesicht. Auf Miniplakaten werben die Direktkandidaten im Wahlkreis um die „Erststimme“ der Wähler. Diese könne ihre Stimme splitten – die Erststimme für eine Person, die die Zweitstimme für eine Partei, der der favorisierte Abgeordnete freilich gar nicht angehören muss. In Österreich gibt es dagegen kein derartiges „Splitting“, aber auch einen Trend zu stärkerer Personalisierung: Diesmal können Vorzugsstimmen auch für Kandidaten der Bundesliste vergeben werden.

Leider-nein-Piraten

Die Piraten in Österreich sind eigentlich ein deutsches Phänomen. Man bemerkte sie erst, als die Berliner Kollegen Wahlerfolge feierten. Auch der Abstieg der Hoffnungsträger erfolgte parallel: Da wie dort halten Meinungsforscher einen Einzug ins Parlament für unwahrscheinlich .

Die Kosten

Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Österreich für die Intensivwahlkampfphase eine Kostenobergrenze von 7 Mio. Euro. Vermutlich, weil sie nötig ist: Denn die heimischen Parteien, so Parteifinanzierungsexperte Hubert Sickinger, geben im Wahlkampf nicht viel weniger aus als die deutschen – obwohl hier zehnmal weniger Menschen leben. Laut Schätzungen geht es heuer wieder um 50 Mio. Euro. In Deutschland rechnet man mit 73 Mio. Ähnliches gelte übrigens für die staatliche Parteiförderung, sagt Sickinger: In Österreich seien das etwa 140 Mio. Euro von Bund und Land. In Deutschland waren es im Vorjahr 150,8 Mio. Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2013)

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