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Jazzfestival Saalfelden: Afrobeat und Irrwitz

Wadada Leo Smith spielte sein Instrument am liebsten so, dass es aussah, als wäre der Bühnenboden sein Ansprechpartner.
Wadada Leo Smith spielte sein Instrument am liebsten so, dass es aussah, als wäre der Bühnenboden sein Ansprechpartner.(c) APA/Jazzfestival Saalfelden
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Die Jacob Fred Jazz Odyssey, Jon Madof, Franz Hautzinger und Uri Caine bewiesen in Saalfelden, dass Rückbesinnung durchaus progressiv tönen kann.

Der Zwang zur permanenten Neuerung ist längst auch in der freien Musik zu einer Art Fluch geworden. Die blitzartig einfahrende Idee, sie ist auch in der extemporierenden Zunft eine rare Angelegenheit. Obwohl die Assoziationsgeschwindigkeit des Jazzmusikers in der Regel der Trägheit des durchschnittlichen Ohres deutlich voraus ist, bleibt das Wunder des jähen, originellen Einfalls die Ausnahme. Umso wichtiger wird da eine Strategie des Andockens. Die famose Jacob Fred Jazz Odyssey hielt sich für ihre nachmittägliche Aufführung der „Race Riot Suite“ an dunkle Ereignisse der jüngeren Stadtchronik von Tulsa, Oklahoma. Dort ging es nicht immer so entspannt zu, wie in den Songs von J. J. Cale, dem berühmten Sohn der Stadt. 1921 verstiegen sich die dortigen Wirtschaftsgranden dazu, Greenwood, das Viertel der armen, afroamerikanischen Bewohner, räumen zu lassen, weil sie dort Erdöl vermuteten. Am Ende waren mehrere hundert Bewohner tot, der Rest obdachlos. Die katastrophalen Konsequenzen waren Ausgangspunkt für ein intensives Konzeptalbum, das nun in Saalfelden auf die Bühne gebracht wurde.

Fideler Country, zorniger Free Jazz

Die von Pianist Brian Haas und dem Lapsteel-Gitarristen Chris Combs geführte Band war um Trompeter Steven Bernstein und die Saxofonisten Peter Apfelbaum und Skerik verstärkt. Mit Passion sorgten sie dafür, dass man es stets mit einem Blend von Stimmungen zu tun hatte. Der Reiz von Stücken wie „Black Wall Street“ und „Lost in the Battle of Greenwood“ lag in den emotionalen Ambivalenzen. In der mächtig aufwallenden Musik waren das Betrübliche und das Gemütsaufhellende gleichberechtigte Entitäten. Die stolze Ästhetik des New-Orleans-Trauermarsches verband sich charmant mit der Fidelität des Country und dem Zorn des Free Jazz. Brian Haas dirigierte souverän vom Klavier aus, während sich Chris Combs, der Komponist dieser aufwühlenden Suite, als bescheidener Instrumentalist tarnte.

Unbescheidener dann Trompeter Wadada Leo Smith, der sich wie der Großneffe von Miles Davis inszenierte. Dabei hatte auch er viel Message im Gepäck. Er spielte einen Auszug aus seinem 1977 begonnenen, noch unabgeschlossenen Konzeptalbum „Ten Freedom Summers“. Mit musikalischen Mitteln, die auch traditionelle Klänge einschlossen, wurde Figuren der US-Bürgerrechtsbewegung nachgesonnen. Etwa dem Sklaven Dred Scott, der 1846 versuchte, seine Freiheit gerichtlich zu erzwingen. Oder dem 14-jährig erschossenen Emmett Till, dem schon Bob Dylan einen Song zugeeignet hatte. Das Spektrum reicht von Malcom X bis Rosa Parks, die sich 1955 weigerte, ihren Sitzplatz im Bus einem Weißen zu überlassen. Letztlich erwies sich das künstlerische Wollen Smiths als zu ehrgeizig, die Klangschichtungen muteten oft zerfahren an.

Gebet zu den Göttern des Lärms

Erstaunlich gelungen dann die vielleicht wüsteste Musikerkombination des Festivals. Der österreichische Trompeter Franz Hautzinger tat sich mit dem japanischen Noise-Gitarristen Keji Haino zusammen. Gemeinsam betete man sehr wirkungsvoll, letztlich aber auch in den Furchen einer Tradition, zu den Göttern des Lärms. Absolutes Highlight am Samstag war aber Jon Madof, ein New Yorker Gitarrist aus dem kreativen Umfeld von John Zorn. Sein Projekt „Zion 80 – Jewish Afro Beat“ verquirlte auf spektakuläre Weise melodisches Beutegut von Shlomo Carlebach mit dem Afrobeat von Fela Kuti. Madof pimpte Carlebachs sehr emotionale Melodien mit treibenden Afrobeat-Rhythmen und freien Ausbrüchen auf. „Pischu LI“ und Madofs Komposition „Holy Brother“ lösten besonderen Jubel aus.

Auch der Schlusstag erfreute mit spannender Programmierung von Michaela Mayer und Mario Steidl. Apologeten des Tumultarischen wie Angels 10 (mit dem Saxofonisten Martin Küchen) stand ein luxuriös tönendes Schlusskonzert von Uri Caine an. Der formidable Pianist interpretierte George Gershwin auf gewohnt fürwitzige Art. In seiner glänzenden Adaption von „Rhapsody in Blue“ klangen Ragtime, Swing und Latin beredt an. Barbara Walker und Theo Bleckmann verwöhnten mit lautmalerischen, irrwitzigen Gesängen. Weitere wesentliche Akzente setzte eine maunzende Klarinette und eine sehnsüchtig seufzende Geige. Solch edle Patina liebt der Saalfeldner Nervenadel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2013)

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