Die Lektion aus dem Irak-Krieg

Zuerst die Beweise vorlegen, dann losschlagen. Das Prozedere zwingt die Allianz vorerst zur Zurückhaltung.

Was ist in jene resoluten Kriegsführer gefahren, die noch vor wenigen Tagen wild entschlossen zur Strafaktion gegen das Assad-Regime schienen? Haben sie Angst vor der eigenen Courage bekommen, haben sich Zweifel eingeschlichen? Ihr Kriegsgeheul klingt plötzlich recht schaumgebremst. In einem TV-Interview wollte sich Barack Obama nicht zu einer Spontanreaktion hinreißen lassen – zumal an einem Tag, an dem der US-Präsident seinen persönlichen Helden Martin Luther King in einer weihevollen Zeremonie feierte.

David Cameron, sein eifrigster Mitstreiter, lieferte sich derweil im Londoner Unterhaus ein rhetorisches Gefecht mit der Labour-Opposition. Die hat ihre Lektion aus dem Irak-Krieg inzwischen gelernt. Im Hurra des moralischen Impetus führte einst Tony Blair die Briten in den Krieg an Euphrat und Tigris und stürzte so seine eigene Partei in schwere Kalamitäten. Wohl oder übel beugte sich Premier Cameron dem Druck der Parlamentarier, mit dem Militärschlag noch zuzuwarten und dafür den Sanktus der Abgeordnetenkammer einzuholen.

Zugleich arbeiteten die Geheimdienste unter Hochdruck daran, die „smoking gun“ zu präsentieren, die vor dem Irak-Krieg nur Nebelschwaden produzierte – den schlüssigen Beweis für den Giftgasangriff der Assad-Armee. Hochrangige US-Politiker vom Schlage eines John Kerry oder Joe Biden ließen daran zwar keinen Zweifel, doch es soll kein Funke Skepsis übrig bleiben. Darum gestanden die Alliierten den UN-Inspektoren notgedrungen mehr Zeit für ihre heikle Mission in Damaskus zu.

Für UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und sein oft zerzaustes Weltparlament ist dies ein kleiner Sieg. Der freundliche Diplomat sagte seinen Besuch im Tiroler Bergdorf Alpbach ab, um am Wochenende die Indizien zu prüfen. Für den Westen schließt sich indes das Fenster für eine Militäroperation. Obama geht nächste Woche auf Reisen – und ein Oberbefehlshaber hat im Kriegsfall an der Heimatfront im Weißen Haus die Stellung zu halten. Womöglich war alles also doch nur ein Sturm im Wasserglas.

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2013)

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