Leitartikel: Österreich, politisch abgesandelt: Wie sich ein System selbst kippt

Die Justiz erzwingt einen Reinigungsprozess der politischen Parteien. Er kommt spät, ist aber auch für die Gesellschaft dieses Landes unausweichlich.

Manche sehen bei der Rückkehr aus dem Urlaub die Zeit der Vorbereitungen auf den nächsten Urlaub angebrochen. Im besseren Fall kehrt der Urlauber jedenfalls ein Stück verändert zurück. Mit geschärften Sinnen. Einem anderen Blick auf den Alltag – auch auf den politischen, gesellschaftlichen Österreichs. In den ersten Tagen danach irritiert sie daher kurz, die Frage in einem Restaurant, ob eine Rechnung benötigt werde. Was das mit den nicht ganz neuen Vorwürfen der Existenz schwarzer Parteikassen zu tun hat, die sich nach dem Öffentlichmachen neuer Dokumente bestätigen könnten? Gar nicht so wenig.

Österreich ist nicht ein Land der Korruptionisten, in Wien muss man nicht unbedingt den Balkan beginnen lassen (obwohl nicht alles dagegenspricht). Aber Österreich ist gewiss ein Land vieler Graubereiche. Freund- und Seilschaften, die zu gegenseitigen Gefälligkeiten und Abhängigkeiten führen, sind allgegenwärtig. Das alles wird überlagert von einem besonders österreichspezifischen, schier undurchdringlichen Gespinst aus personellen und finanziellen Verquickungen politischer Parteien mit gesetzlichen Interessenvertretungen und staatsnahen Unternehmen. In diesem Biotop sind jene groß geworden, die nun medial am Prager stehen und gegen die die Justiz ermittelt. Ob Österreich als Wirtschaftsstandort abgesandelt ist, darüber wurde viel debattiert. Jetzt zeigt sich, dass das Land politisch abgesandelt ist. Eine Erneuerung in mehreren Schritten scheint unumgänglich:
1. Die Parteienfinanzierung sollte reformiert werden mit dem Ziel, Parteikassen vollständig transparent zu machen. Es muss auch in Österreich zumutbar sein, dass jene, die Parteien Geld spenden, dies nicht verschämt, im Verborgenen, gleichsam mit schuldbewusst eingezogenem Kopf tun, sondern sich gegebenenfalls offen dazu bekennen. Einer Partei anzugehören oder ihr zu spenden darf nichts Verpöntes sein.
2. Es könnte sich als notwendig erweisen, nach der Wahl den von den Koalitionsparteien relativ abrupt abgedrehten Untersuchungsausschuss wieder aufzunehmen. Im Idealfall nicht parallel zu den Justizermittlungen, sondern nach Abschluss der Erhebungen und dem Vorliegen allfälliger Urteile. Politische Verantwortung muss weiter gefasst werden als die Buchstaben des Strafrechts.
3. Der bisher eher halbherzige Rückzug des Staates aus Unternehmen muss neu gestartet werden. Nur so kann die Wahrscheinlichkeit für schmutzige politische Geschäfte auf ein einigermaßen verträgliches Maß verringert werden.

In erster Linie richtet sich nun die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Verdacht, die ÖVP habe Parteiaktivitäten – euphemistisch gesagt – sehr kreativ finanzieren lassen. Das mag ungerecht sein, weil trotz aller Dementis auch SPÖ, FPÖ und BZÖ „part of the game“ gewesen sein könnten. Es wird aber für die ÖVP nicht reichen, sich auf die „rote“ Wiener Staatsanwaltschaft für das Herausspielen eines Gutachtens knapp vor der Wahl einzuschießen. Oder nur von alten Hüten, bösen linken Medien und Gräuelpropaganda zu sprechen.


Dass Skandale knapp vor Wahlen nicht immer den von Konkurrenten erwünschten Effekt erzielen, zeigt die Geschichte. Als der Bawag-Skandal die rote Bank und die halbe Gewerkschaftsspitze zerbröselte, wähnte sich die ÖVP in Sicherheit. Das Ergebnis des 1.Oktober 2006 ist bekannt. Ein gewisser Alfred Gusenbauer verlor mit seiner SPÖ zwar Stimmen, überholte aber die ÖVP und drängte Wolfgang Schüssel aus dem Kanzleramt.

Der Niederösterreicher Spindelegger wird sich auch an die Landtagswahl des 16. Oktober 1983 erinnern. Damals erlebte er als Student mit, wie gegen „seinen“ Landeshauptmann, Siegfried Ludwig, gerichtliche Voruntersuchungen wegen eines Bauskandals (WBO) eingeleitet wurden – wenige Tage vor der Wahl. Später wurde das Verfahren eingestellt. Ach ja, und was brachte der Wahlabend? Der sah eine triumphierende ÖVP mit einem Plus von fünf Prozentpunkten.

Das ist lange her und kein wirklicher Trost für Michael Spindelegger – schon gar nicht ist er es für die Wähler. Der Wahlkampf könnte auf sein alten Tage jetzt doch noch einmal richtig spannend werden.

E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2013)

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