Goldene Raute am Himmel

Surrealistisch und stilistisch anspruchsvoll: die Erzählungen des Salzburgers Liko. "Nach einem langen Sommer in den böhmischen Wäldern, wo ich Familienforschung betrieben hatte, kam ich im Oktober abgebrannt wieder nach S., meine Heimatstadt."

"Nach einem langen Sommer in den böhmischen Wäldern, wo ich Familienforschung betrieben hatte, kam ich im Oktober abgebrannt wieder nach S., meine Heimatstadt." – Ein Text, der so beginnt, hört sich ein wenig nach Stifter an, nach bürgerlich-beschaulichem Pathos. Aber erste Sätze können täuschen. Und es täte Literatur wie dieser gut, wenn damit auch eine Methode, ein Programm verbunden wäre, schließlich vermag sprachliche Reminiszenz allein noch nicht zu tragen.

Doch es geht ohnehin ganz anders weiter. Oben zitiertes Ich – ein Landvermesser – hat mit Stifters Welt nichts zu tun, mit der Kafkas übrigens auch nicht. Zu viel an surrealistisch anmutenden Verläufen konstruieren die Erzählung: Der Landvermesser bewirbt sich um die Stelle eines „Beobachters“ und gerät dabei in ein geradezu existenzialistisches Vorstellungsgespräch, bei dem ihm ein Bewerbungsbogen mit nur einer einzigen Frage hingeschoben wird: „Wer sind Sie?“ Das noch Schwierigere: Die Frage ist in Prozenten zu beantworten. Der Bewerber, von einer Raumkamera überwacht und von den Anweisungen eines Lautsprechers begleitet, ist so ratlos, dass er im letzten Augenblick „0 Prozent“ hinschreibt. Dann fällt in dem verschlossenen Raum – eigentlich eine Zelle – das Licht aus.

Irgendwann, erst viel später, als die Tür wieder aufgeht, setzt der Chef persönlich das Bewerbungsgespräch fort. Der wird im Laufe der Unterredung nicht nur zu einem einäugigen Riesen, er erkennt im Bewerber auch seinen Sohn und ist entzückt: „Ein Nullprozentiger! Auf dich hab ich all die Jahre gewartet!“ Die „Null“ ist wie in der Odyssee der vermeintliche „Niemand“, dem es am Ende gelingt, Polyphem zu blenden. So gelingt es auch dem Bewerber, sich aus der Umklammerung zu lösen: Die Feuerleiter hinunter zum Fluss, in einem kleinen Kahn hinaus aufs offene Meer, während der Zyklop „gigantische Bohrkerne“ nach ihm schleudert.

Visionen der heiligen Hildegard

Nächste Geschichte. Ein „Mann um die vierzig“, der seine Nachmittage in der Klosterbibliothek von St. Peter verbringt, entdeckt in einem alten Folianten Visionen der heiligen Hildegard von Bingen abgebildet, darunter eine goldene Raute am Himmel, die ihn erst zu einem keltischen Kultplatz an den Stadtrand von Salzburg, schließlich nach Nepal führt. Ein bisschen Schamanismus und Esoterik, und schon schwebt er über dem Himalaya, und nicht nur das: Er schwebt nach Salzburg zurück und erkennt im Firmament über der Stadt plötzlich eine rautenförmige Öffnung.

Der Protagonist der nächsten Geschichte macht überhaupt gleich eine Zeitreise in die 1930er-Jahre zurück, als ungeborene Seele durch die Wirren der Zeit.

Um es abzukürzen: Keine der sechs Geschichten funktioniert als realistische Abbildung des Lebens. Der Salzburger Autor Liko, mit bürgerlichem Namen Wolfgang Seidelbast, Jahrgang 1959, liebt es offenbar, am Zeitgeist vorbei in eine Art Paralleluniversum einzutauchen, in dem alles nur nicht so ist, wie sich das ein Leser von heute erwartet. So etwas mag man oder mag man nicht.

Man muss diesen Texten aber eines zugestehen: Es handelt sich um stilistische Qualitätsarbeit, die wiederum den oft schnoddrig erzählten Geschichten mancher junger und zeitgeistiger Autoren so mangelt. ■

Liko

Bergers Kugel

Erzählungen. 142S., geb., €19 (Müry Salzmann Verlag, Salzburg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2013)

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