Die neue "Sofie": Das wilde Leben ist vorbei

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neue Sofie wilde Leben(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Clean, chic und modern: So eröffnen die Sofiensäle neu. Einst waren sie Orte dampfender Bäder, nobler Bälle, großer Konzerte und wilder Clubbings. Ein Rückblick auf Legenden, kleine Skandale und den großen Brand.

Der Countdown zählt sogar die Sekunden bis zur Eröffnung. 66 Tage sind es heute, Sonntag, noch, bis der letzte Arbeiter die Baustelle in der Marxergasse verlassen hat und die Sofiensäle zwölf Jahre nach dem Brand wieder aufsperren. Und auch Veranstaltungen lassen sich über die jüngst online gegangenen Website Sofiensaele.com schon planen. Dort wirbt die Ifa AG, ein Teil der Soravia Gruppe, für eine große Zukunft des alten Areals in Wien-Landstraße: Der Ballsaal wird gerade fertiggebaut, 68 Wohnungen sind es schon, demnächst ziehen die ersten Bewohner ein. Im November sperrt das Restaurant „Room“ auf, das Hotel Ruby Sofie – ein „schlankes Luxushotel“ – öffnet nächsten Frühling, zeitgleich mit dem Fitnessklub, der dort gebaut wird, wo einst das historische Becken war. Darunter entstehen 128 Tiefgaragenplätze. 50 Millionen Euro hat die Ifa in die Immobilie gesteckt.

Es sind schlichte, schicke und recht moderne Räume, die die Bauherren da unlängst gezeigt haben. Wiewohl oft vom Erhalt der historischen Substanz, von originalgetreuer Restaurierung des Saales – derzeit wird er mit einer Glas-Stahl-Konstruktion überdacht – die Rede ist. Oder von einer „Ära, die noch lange nicht zu Ende ist“.


Firmenfeiern statt großer Partys. Aber das dampfende, das pulsierende Leben der „Sofie“ oder „Sofies“, wie die Wiener sie nannten, das dürfte vorbei sein. Nichts mehr, bei dem die Polizei kommen muss, soll in der Marxergasse fortan stattfinden, betonte Erich Hohenberger, Bezirksvorsteher des Dritten, jüngst. Keine Partys, keine Feste, keine Konzerte, die Legenden bilden. Lieber Firmenfeiern, Ausstellungen, akustische Konzerte. Das Kulturkonzept soll Mitte Oktober vorliegen. Ruhig, elegant und nüchtern, so schauen Visualisierungen und das, was von dem Gebäude schon zu sehen ist, aus. Die Bauherren sprechen von einem „Baujuwel“, zu dem der „Schandfleck“, wie man das Areal in der Bezirksverwaltung sah, geworden sei. Aber, das neue Leben ist auch das Ende einer Ära.

Das Ende einer Geschichte, die 1826 begann. Damals kam der Tuscherer (Textilhandwerker) Franz Morawetz nach Wien und begann in der Marxergasse 17 mit dem Bau eines russischen Dampfbades, das 1838 schließlich eröffnet wurde. Einer der ersten Kurgäste war eine Kammerfrau der Erzherzogin Sophie, der Erfolg ihrer Kur sprach sich herum, das Bad erlebte einen Aufschwung und Morawetz holte sich die Erlaubnis, es Sofienbad zu nennen.


Wo Karl May zum letzten Mal vortrug. Von 1845 bis 1849 wurde schließlich ein Hallenbad nach den Plänen der späteren Staatsopern-Architekten Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg errichtet, im Sommer war das Bassin mit Donauwasser gefüllt, im Winter ließ Morawetz es abdecken und die Wiener darauf Walzer tanzen. Keine ungewöhnliche Idee: Auch das Dianabad war im Winter Konzert– und Ballsaal. Wie dort waren im Sofienbad die Großen dieser Zeit aktiv: Neben Josef, Eduard und Johann Strauß spielten im Saal alle prominenten Kapellmeister auf. Das Bad und der Saal, kurz Sofie genannt, erlebten eine goldene Ära. Das Jahr 1886 gilt schließlich als Geburtsstunde der „Sofiensäle“, der Westtrakt wurde erweitert, der „Kleine Saal“ ausgebaut. Schnitzler-Stücke wurden hier uraufgeführt, die Sofiensäle waren Zentrum der Wiener Gesellschaft: Concordiaball oder Technikerball fanden dort statt, der erste Ballonflug Österreichs startete in den Gärten der Sofiensäle, 1912 hielt Karl May seinen letzten öffentlichen Vortrag in der „Sofie“, 1913 wurde dort der erste Tonfilm Wiens gezeigt.


Gründungsort der NSDAP. Nicht nur als Kultur-Location sind die Sofiensäle in die Geschichte eingegangen: Am 4. Mai 1926 wurde dort die österreichische NSDAP gegründet. Ab den Novemberpogromen 1938 diente der Bau als Sammelstelle für jüdische Wiener, die von dort aus deportiert wurden.

Nach dem Krieg wurden in den Sälen wieder Operetten, Theater und Konzerte veranstaltet, sorgte das Becken im Souterrain doch als riesiger Resonanzkörper für unvergleichliche Akustik. 1948 wurde renoviert, in den Fünfzigern installierte das Label Decca ein Studio, in dem etwa die Philharmoniker bis in die Siebzigerjahre ihre Platten aufnahmen. Und zugleich, ab den 1970er-Jahren, zog der Pop in die alten „Sophies“ ein. Über die exakte Bezeichnung der noblen Location gingen die Meinungen damals auseinander. Die Konzertveranstalter „Stimmen der Welt“ druckte „Sofiensaal“ auf Tickets, die Konzertdirektion Schröder präferierte in den Siebzigerjahren die Mehrzahl. Egal, die mit luxuriösen Parketten ausgestattete Räumlichkeit war trotz ihrer Größe tontechnisch gut in den Griff zu kriegen. Das prädestinierte sie zu höheren popkulturellen Aufgaben.


Artig aufgereiht für Randy Newman. Am 20. Mai 1978 zelebrierte etwa US-Songwriter Randy Newman dort sein Österreich-Debüt. Wie bei Kongressen waren die hübsch verschnörkelten Sessel artig in Reih und Glied aufgefädelt. Konvenierte der Sitznachbar nicht, konnte man ein wenig wegrücken.

Newman, damals mit seinem für einen Amerikaner erstaunlich zynischen Hit „Short People“ in aller Munde, erstaunte nicht nur mit seinen superben Songs. Unerschrocken führte er eine heute vergessene Mode vor Augen: abgewetzte Glockenhosen, Blue Jeans mit Bügelfalte. Im Herbst desselben Jahres rockte dann die britische Formation The Kinks ab. Fünfzehn Jahre nach dem Durchbruch war Ray Davies immer noch zu wüten in der Lage, das Konzert wurde zu einer unvergesslichen Weihestunde für Fans der Working-Class-Revoluzzer. Schon bei der Anreise schien das „Marx“ im Gassennamen ein besonderes Leuchten auszustrahlen. Die Kinks gaben ihre einfühlsamen sozialromantischen Vignetten wie „Slum Kids“, „Alcohol“ und „Misfits“ zum Besten.

In den Achtzigern sorgte der Jazzfrühling für unvergessliche Konzert-Events. Don Cherry konzertierte mit den Watts Prophets und Fela Anikulapo Kuti trat mit 38 Musikern an, um Wien zu zeigen, was Afrobeat ist. Auch für profane Firmenfeste standen die schönen Säle zur Verfügung. Anfang der Neunzigerjahre lud Gulet Tourismus zu einem Jubiläum – und zu einem Konzert des Smooth-Jazz-Saxofonisten Boney James und der Burt-Bacharach-Interpretin Dionne Warwick. Warwick aber wollte niemand zuhören, das Konzert wurde zum Debakel. Der Geräuschpegel war so hoch, dass Warwick aufhörte zu singen, um zu schauen, ob ihr die Menschen zuhören. Die aber plauderten ungerührt weiter. Warwick drohte mit Abgang, erfüllte zähneknirschend dann doch ihren Vertrag, sang mit viel Groll Lieder wie „Raindrops Keep Falling On My Head“ und „Don't Make Me Over“.

Einen wärmeren Empfang konnte Bobby Womack für sich verbuchen, die Soul-Legende gastierte 1985 in den Sofiensälen. Allerdings war Soul damals Minderheitenprogramm in Wien. Das änderte die von Alexander Hirschenhauser etablierte Soul Seduction im Volksgarten, das erste Clubbing in der Stadt. Einige Jahre später übertrug sich dieses Tanzclub-Virus, das vorher das Technische Museum, das Palais Auersperg und das Moulin Rouge befiel, auf die ehrwürdigen Sofiensäle. Hannes Jagerhofer brachte jene Clubbings, mit denen er sich in Wien einen Namen gemacht hatte, ab 1994 in die Sofiensäle. Und damit zogen Laserblitze, Plateausohlen, die Nylonmode der Techno-Ära und Debatten um Ecstasy-Konsum auf den Toiletten in die altehrwürdigen Räume ein. Und sorgten für Aufregung der Anrainer, für Skandälchen im Bezirk.


Mickey Rourke kam, als er schön war. Aber auch, als die Temptations in den Neunzigerjahren mit einer Revue antraten, wurde drumherum eine große Tanzsause organisiert. Johnny Depp spielte 1997 mit der Band „P“, einem Projekt der „Butthole Surfers“. Der Auftritt wurde zum Eklat, angeblich, weil Manager der Sofiensäle den Strom abdrehten. Auch Mickey Rourke war in den Sälen zu Gast, als er (fast) noch aussah wie in neuneinhalb Wochen, Falco war dort Stammgast, 1997 gab er sein letztes Konzert in den Sofiensälen. In der Saison vor dem Großbrand lockte das Jazzfest Wien zu Konzertmeilensteinen von Tricky und Maceo Parker.

Am 14. August 2001 schließlich lösten Flämmarbeiten den verheerenden Brand auf dem Dach aus. Hunderte Feuerwehrleute waren tagelang im Einsatz. Übrig blieb eine Ruine. Und zehn Jahre Streit, Hickhack um die Nutzung, um einen Abriss. Mehrere Besitzerwechsel und viele Pläne, die scheiterten. Bis sich schließlich die Soravia Gruppe der alten Mauern annahm und im November 2011 die ersten Bauarbeiter in die alten „Sofies“ schickte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2013)

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