Russland: Die misslungene Moskauer Wahlshow

Sergej Sobjanin
Sergej Sobjanin(c) REUTERS (STRINGER)
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Nur ganz knapp konnte Moskaus wiedergewählter Bürgermeister Sobjanin einer Stichwahl entgehen. Oppositionskandidat Nawalny, der ein Viertel der Stimmen erhielt, spricht von Betrug und ruft zu Protesten auf.

Sergej Sobjanin konnte nach der Veröffentlichung der ersten Resultate nur mit Mühe die Miene eines Siegers aufsetzen. Es war wahrlich keine besonders erfolgreiche Wahl, nach der der Kandidat des Kreml nun für die nächsten fünf Jahre im Sessel des Moskauer Oberbürgermeisters Platz nehmen darf. „Er hat gesiegt!“ – das war Euphorie genug angesichts des knappen Ergebnisses von 51,37 Prozent, dank dem Sobjanin eine Stichwahl erspart bleibt. Oppositionsaktivist Alexej Nawalny hatte überraschend mehr als ein Viertel der Stimmen (27,24 Prozent) erlangt, die Kandidaten der Kreml-nahen Opposition sind dagegen weit abgeschlagen.

Gepriesen wurde die von der russischen Führung selbst initiierte vorzeitige Wahl, die anstatt eines leichten Sieges knapp an einem zweiten Wahlgang vorbeischrammte, mit anderen Worten: Frei, fair, transparent, ruhig, korrekt und „demokratisch wie noch nie“ sei der Urnengang gewesen, werden Experten und Politiker seit Sonntagabend in den russischen Fernsehkanälen nicht müde zu betonen. Das hat einen Grund: Parallelen zu den Parlamentswahlen im Dezember 2011, als massiver Wahlbetrug viele Bürger auf die Straße trieb, sollen erst gar nicht gezogen werden. Jeglichen Zweifel am Ergebnis zerstreute auch Valentin Gorbunov, Vorsitzender der Moskauer Wahlkommission, der erklärte, ein zweiter Wahlgang sei nicht notwendig.

Protestkundgebung im Herzen Moskaus

Nawalny selbst sieht das anders. Er werde die Wahl nicht anerkennen, schrieb er in seinem Blog. Der 37-Jährige spricht von Stimmenklau und fordert eine Neuauszählung, Sobjanin habe die 50-Prozent-Grenze nur mit Manipulationen erreicht. Seine Anhänger rief der Oppositionelle für Montagabend zu einer Kundgebung ins Zentrum von Moskau, an den Bolotnaja-Platz, symbolträchtiger Ort früherer Protestmeetings.

Für Nawalny, der mit einer Truppe Freiwilliger und einem frischen Wahlkampf seine Anhänger scharenweise an die Urnen holte, ist das Ergebnis ein Überraschungserfolg, wenngleich einer mit Einschränkungen: Die Wahlbeteiligung lag bei niedrigen 35 Prozent, 1,7-mal niedriger als bei der Parlamentswahl Ende 2011 und 1,9-mal niedriger als bei der Präsidentenwahl im Vorjahr.

Urteil nur vorübergehend ausgesetzt

Für den Kreml hingegen ist das orchestrierte Demokratie-Experiment nicht so ausgegangen wie gewünscht. Für die Führung war die Bürgermeisterwahl ein weiterer Versuch in einer langen Testreihe, wie eine kontrollierte Öffnung politischer Prozesse zur Steigerung der eigenen Legitimität aussehen könnte. Das Ergebnis ist mittelmäßig. Sobjanin blieb eine starke Bestätigung versagt.

Natürlich, über Nawalny hängt drohend eine Verurteilung zu einer fünfjährigen Haftstrafe, ein Richterspruch, der nur vorübergehend ausgesetzt worden ist. Andererseits ist eine Verhaftung Nawalnys nach diesem Ergebnis nur schwer vorstellbar. Die Eigendynamik politischer Prozesse dürfte den Moskauer Politstrategen in diesen Tagen ein wenig zu denken geben.

Während in den meisten russischen Städten, in denen am Sonntag Bürgermeister, Stadtparlamente und Gouverneure gewählt wurden, die Kandidaten der Regierungspartei „Einiges Russland“ vorne lagen, gab es auch außerhalb Moskaus vereinzelt Überraschungen. Etwa in der viertgrößten Stadt des Landes, Jekaterinburg. Da siegte der Kandidat der Opposition Jewgenij Roisman knapp über den von der Regierungspartei unterstützten Jakow Silin.

Sieg trotz nur eines Wahlplakates?

Der Antidrogen-Kämpfer mit umstrittenen Methoden stand auf der Liste des Multimillionärs Mihail Prochorow, dem der Kreml bei den letzten Präsidentschaftswahlen den Kandidatenstatus gewährte. Roisman gilt als Mann der Tat, auch er hatte in der Vergangenheit immer wieder Ärger mit der Justiz. Vielleicht ist er der wahre Gewinner dieser Bürgermeisterwahlen. Glaubt man ihm, dann hat in ganz Jekaterinburg nur ein Plakat für ihn geworben.

Auf einen Blick

Bei der Bürgermeisterwahl in Moskausiegte am Wochenende der Amtsinhaber Sergej Sobjanin. Der Kandidat des Kreml erhielt laut offiziellen Angaben 51,37 Prozent der Stimmen und muss sich damit nicht einer Stichwahl stellen. Zweitstärkster wurde mit mehr als einem Viertel der Stimmen der Oppositionsaktivist Alexej Nawalny. Er bezweifelt, dass Sobjanin schon im ersten Durchgang mehr als 50 Prozent bekommen hat und spricht von Wahlbetrug. Nawalny erkennt das Ergebnis der Abstimmung nicht an und fordert eine Neuauszählung der Stimmen. Für Montagabend rief er seine Anhänger zu einer Protestkundgebung auf dem Bolotnaja-Platz im Zentrum der russischen Hauptstadt auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2013)

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