Der Staatsschutz beobachtet Personen, die in Syrien für al-Qaida kämpften und zurückkehrten. Experten befürchten, dass sie ihr Wissen über Ideologie, Waffen und Sprengstoff hier nun weitergeben.
Wien. Wie soll ein Staat mit Personen umgehen, die in Kriegsgebieten, etwa in Syrien, für al-Qaida-nahe Gruppen kämpften, sich dort Wissen über Waffen, Sprengstoff und Ideologie aneigneten und nun in ihr westliches Heimatland zurückkommen? Mit dieser Fragestellung beschäftigen sich derzeit Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste in ganz Europa.
Vergangene Woche berichtete „Die Presse“ über die ersten dieser sogenannten Rückkehrer. Der gestern, Dienstag, veröffentlichte Jahresbericht und weitere, nicht öffentlich zugängliche Analysen des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) zeigen, welches Bedrohungspotenzial von dieser kleinen Personengruppe aus Sicht des Staatsschutzes ausgeht. Internationale Experten glauben sogar, dass in den nächsten Jahren mit öffentlichkeitswirksamen Anschlägen und Aktionen zu rechnen ist.
Dabei nennen die Analysten des BVT zwei unterschiedliche Gefährdungsszenarien, für die die nun heimgekehrten Kämpfer verantwortlich sind. Ein aktives und ein passives.
Variante eins geht davon aus, dass die – je nach Quelle – neun bis zehn aktenkundigen Kämpfer hierzulande selbst aktiv werden und Taten setzen könnten. Variante zwei hingegen sieht die Rückkehrer als Personen, die den Keim des Jihadismus nach Österreich tragen und ihn in interessierten Kreisen weiterverbreiten. BVT-Direktor Peter Gridling spricht in diesem Zusammenhang von „Home grown“-Terrorismus bzw. Jihadismus. Gemeint sind also potenzielle Täter, die alle Mittel zur Ausbildung vor der Haustüre finden.
Ausbildung in den Alpen
Die Berichte und Analysen des Staatsschutzes zu diesem Thema lesen sich mit kritischer Distanz betrachtet wie die Rechtfertigung für den unausgesprochenen Wunsch nach mehr Überwachungsbefugnissen. Tatsächlich erlaubt der Rechtsstaat nämlich nur maximal neun Monate lange Observationen von Rückkehrern. Prozesse sind überhaupt nur dann möglich, wenn der Staatsschutz die Teilnahme an konkret benennbaren Aktionen nachweisen kann. Angesichts der chaotischen Bürgerkriegssituation in Syrien fast ein Ding der Unmöglichkeit. Denkt man die Details jedoch durch, dürfte die Gefahr, die von diesen Personen ausgeht, tatsächlich außergewöhnlich hoch sein.
Wörtlich heißt es in einem Bericht: „Die religiöse Indoktrinierung während der Ausbildung und ein möglicherweise erlernter Umgang mit Waffen und Sprengmitteln spielen dabei eine zentrale Rolle.“ Und weiter: „Ein Rückkehrer steigt im Ansehen innerhalb des islamistisch-extremistischen Spektrums und besitzt dadurch auch die notwendige Autorität und Anerkennung, um Radikalisierungs- und Rekrutierungsaktivitäten fortzusetzen und erworbenes Wissen weiterzugeben.“ Kurzum: Aufwendige, schwer zu organisierende und zugleich riskante Fernreisen in Ausbildungslager sind ab sofort überflüssig. Wer sich zum Jihadisten ausbilden lassen will, kann das nun auch in Österreich tun. Die Zeiten, als der als Austro-Islamist bekannt gewordene Mohammed Mahmoud mit Internetbotschaften für Aufsehen sorgte, sind vorbei. Die neuen Kämpfer sind keine Internet-Jihadisten mehr, sie sind Männer der Tat.
Und dass es zu Taten kommen wird, davon ist Wolfgang Würz überzeugt. Bis vor einem Jahr leitete er die Abteilung für internationalen islamistischen Terrorismus im Terrorismusabwehrzentrum der deutschen Bundesregierung in Berlin. Vor einigen Wochen hielt er im Innenministerium vor zahlreichen Staatsschützern einen Vortrag zum Thema. Im Zusammenhang mit der öffentlichen Hinrichtung eines britischen Soldaten in London durch zwei islamistische Extremisten sagte er: „In Europa ist künftig verstärkt mit öffentlich inszenierten Hinrichtungen zu rechnen.“ Als Basis der Einschätzung nannte er aktuelle Berichte der deutschen Geheimdienste.
Projekt gegen Radikalisierung
Um die Verbreitung der al-Qaida-Ideologie (und anderer Extremismen) zu erschweren, plant das Innenministerium bis Mitte 2014 die Schaffung einer Zentralstelle für Deradikalisierung. Ziel ist es, durch Vernetzung mit NGOs, religiösen Organisationen und letztendlich Personen aus dem privaten Umfeld von Betroffenen rechtzeitig vom Abdriften in ein radikalisiertes Milieu zu erfahren und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Umgesetzt werden soll das Projekt von den Präventionsbeamten des Bundeskriminalamts. Die dafür nötigen Schulungen führen die Extremismusexperten des BVT durch.
Auf einen Blick
Neun bis zehn Österreicher, die in Syrien aufseiten von al-Qaida an Kampfhandlungen teilgenommen haben sollen, sind inzwischen wieder zurückgekehrt. „Die Presse“ machte das Problem vergangene Woche öffentlich. Das BVT bestätigte das Problem am Dienstag offiziell.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2013)