Dass die grenzüberschreitenden Telefongebühren sinken, haben Europas Konsumenten vor allem zwei Kommissarinnen zu verdanken: Neelie Kroes und Viviane Reding.
Brüssel. Unter den unzähligen regulatorischen und materiellen Annehmlichkeiten, die der europäische Binnenmarkt den EU-Bürgern durch seine Existenz beschert, gibt es drei Elemente, die auf den ersten Blick zu erkennen sind und keinerlei Erklärungen bedürfen: die schrankenlose Reisefreiheit innerhalb der Schengenzone, die Annehmlichkeiten einer gemeinsamen Währung (die im Zuge der Eurokrise allerdings etwas in den Hintergrund geraten sind) – sowie billiges Telefonieren im Urlaub. Den Kampf gegen die Roaminggebühren haben sich in Brüssel zwei Frauen auf ihre Fahnen geschrieben: die für den Telekommunikationssektor zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes sowie ihre Vorgängerin Viviane Reding, die mittlerweile das Justizressort leitet.
Am Donnerstag stellte Kroes das Maßnahmenpaket vor, mit dem die Brüsseler Behörde den Binnenmarkt für Telekommunikation vervollständigen will. Die aus der Perspektive der Konsumenten wohl wichtigste Maßnahme ist die Abschaffung von Aufschlägen für Auslandsgespräche innerhalb der Union („Die Presse“ berichtete in ihrer gestrigen Ausgabe). Die Neuerungen in Kürze: Ab dem 1.Juli 2014 – also pünktlich zum Beginn der Urlaubssaison, sofern Europaparlament und Rat zustimmen – soll es den Handynetzbetreibern untersagt sein, Gebühren für im Ausland angenommene Telefonate (Passivroaming) zu verlangen. Die Unternehmen haben ab dem kommenden Sommer die Wahl, ihren Kunden entweder EU-weit geltende Tarife anzubieten oder die Nutzung eines günstigeren Roamingtarifs eines Konkurrenten zu gestatten – also den Handyvertrag zu entkoppeln. „Wir müssen Roaming ein Ende bereiten und nicht nur die Gebühren reduzieren“, sagte Kroes gestern. Ziel ist, dass Roaminggebühren bis spätestens 2015 verschwinden. Ebenfalls Teil des Kommissionsvorschlags sind Rahmenbedingungen für die Nutzung des Internets – die sogenannte Netzneutralität, die aber umstritten ist (siehe unten.)
Reding in Champagnerlaune
Der Vorstoß der Kommissarin baut auf einer Reihe von Maßnahmen auf, die von ihrer Vorgängerin Viviane Reding zwischen 2007 und 2009 gegen den Widerstand der Telekombranche durchgeboxt wurden. Aufgeschreckt durch Horrorberichte von Urlaubern, denen nach der Rückkehr in die Heimat Telefonrechnungen in vierstelliger Höhe ins Haus flatterten, zog die Brüsseler Behörde 2007 die Notbremse und beschloss verpflichtende Obergrenzen von zunächst 0,49 Euro je Minute für Telefongespräche im EU-Ausland. Zwei Jahre später wurden in einem weiteren Schritt die Tarife für SMS und mobiles Internet gedeckelt.
„2007 hatte ich mich dazu entschlossen, der Wegelagerei im Telekombereich ein Ende zu bereiten“, sagte Reding gestern zur „Presse“. Der Brüsseler Mythologie zufolge soll die damalige Medienkommissarin eine Flasche Champagner geköpft haben, als sie die frohe Kunde von der Zustimmung des Europaparlaments zu ihrem Vorschlag vernommen hatte.
Gänzlich ohne Widerstände ging es dann aber doch nicht, denn die Telekomunternehmen Vodafone, Telefonica O2, T-Mobile und Orange klagten umgehend vor dem Europäischen Gerichtshof gegen den Eingriff der Brüsseler Behörde – 2009 wies der EuGH die Klage schlussendlich ab.
Für die Telekombranche sind Roaminggebühren ein lukratives Geschäft – insofern verwundert es nicht, dass auch der jüngste Vorstoß heftig kritisiert wurde. Die Handynetzbetreiber argumentieren mit dem anstehenden Investitionsbedarf in neue, schnellere Netze. „Die Netzbetreiber sind auf die Erlöse aus dem Roaming dringend angewiesen“, warnt der Branchenverband Bitkom. Die Unternehmen hätten in Folge keine andere Wahl, als die Tarife im Inland zu erhöhen und Subventionen für Handys zu kappen, um diese Finanzlücke zu stopfen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2013)