Aus den Sechzigerjahren: Da wohnt niemand mehr

Ein Einfamilienbau aus den Sechzigerjahren hat's heute nicht leicht. Einsam ist er auf dem weiten Land, eine Chance hat es im Speckgürtel.

Betritt man das Haus, steht man in einem langen Gang mit vielen Türen. Schon der Grundriss sagt: Sechzigerjahre. Ein Werk der Wiederaufbaupragmatik, so manchen Ziegel haben die Eigentümer selbst vermauert. Und später Eternitplatten angebracht. Aber vielleicht hat Friedrich Achleitner über die Siedlung, in der es steht, in seinen Bänden über die „Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert“ geschrieben. Er hat zumindest das ästhetische Potenzial der Sechzigerjahre-Satteldachlandschaften gesehen.

Doch damals erfüllten sie ihren Zweck ganz gut, als moderner, günstiger Wohnraum gefragt war, überall zwischen Liesing, Klagenfurt und Bludenz. Der einstige Hausbauboom hat starken Anteil daran, dass heute in Österreich zu 75 Prozent Einfamilienhäuser und 25 Prozent Wohnungen existieren, wobei sich die Nachfrage aber ganz umgekehrt verhält: Die Wohnung im städtischen Raum ist gesucht, nicht das gebrauchte Einfamilienhaus in einer ländlichen Region. Und je weiter von Verkehrsanbindungen und städtischen Zentren entfernt, desto seltener kommt es infrage. Diese zunehmende Abwanderung spiegelt sich auch ganz deutlich in den Preisen, wie Wolfgang Feilmayr, Stadt- und Regionalforschung der TU Wien, mit regionalen Immobilienindizes für kleinste Räume bei der Veranstaltung „Landflucht – leere ländliche Räume“ vor Kurzem in Wien belegt. Von 1999 bis 2013 erfassen diese die feinsten Unterschiede zwischen Abwanderungsgemeinden und Wiennahen Nobeladressen. Wurden in Klosterneuburg etwa Häuser doppelt so teuer, blieb der Preis in den agrarischen Gemeinden gleich.

Wenn das Autofahren nicht mehr geht

Fast ident wiederholt sich die Raumaufteilung in Keller und Obergeschoß. Die Balkone tragen dünne Metallgitter, darüber ein steiles Satteldach, auch so eine Charakteristik der Zeit, bevor der Häuslbauer das Folkloristische entdeckt hat. Gaupen holen Licht herein, durch die Dachbodenluke konnte man an Nationalfeiertagen die Fahne hängen. Das Haus ist einsam. Die alte Frau, die es zuletzt allein bewohnte, gab es auf, weil es und sich zu erhalten beschwerlich war. Und für die Betreuer sind diese Häuser oft unpraktisch – ein weites Feld, mit dem sich Tatjana Fischer, Wissenschaftlerin für Raumplanung und ländliche Neuordnung an der Boku, befasst. Funktioniert die Versorgung mit dem Auto nicht mehr, stellte sie fest, war das meist der Grund, das Objekt aufzugeben.

Solche Häuser würden heute nicht mehr gebaut. Weil sich die Grundrisse geändert haben, Weil viele kleine Räume gegen das Konzept des offenen Wohnens sprechen. Und wurde nicht in der Zwischenzeit thermisch nachjustiert, sind die Energiewerte schlecht. Die Nachbarn haben noch ein Auge darauf, zumindest so lange, bis die Erben wissen, was sie damit tun sollen. Dass sie ganz zurückkommen, ist unwahrscheinlich. Das hinge von der Arbeit ab, denn entgegen der Meinung, der Österreicher ziehe nur widerwillig um, sagt die aktuelle Umfrage von Immobilienscout24 anderes: „Mit dem richtigen Job würde sich der Österreicher verändern“, erklärt dessen Geschäftsführer Patrick Schenner. Und ein Hauptmotivator sei ein besserer Verdienst. Was in einem neuen Umfeld ebenso vorhanden sein muss, sei eine „Perspektive für die Familie“, so Schenner.

Doch was, wenn durch Abwanderung die Gemeindekasse leer ist, um zu finanzieren, was Familien brauchen? Dann schreitet die „Entsolidarisierung von Stadt und Land“ noch weiter voran, wie Martin Heintel, Univ.-Prof. für Geografie und Regionalforschung an der Uni Wien beschreibt. Welche Chancen so ein Haus hat, hängt allerdings davon ab, wo es steht. Lebensverlängernd könnte mehreres sein: gute Verkehrsanbindung, auch Tourismus. Und die Lage: Speckgürtel, städtische Außenbezirke, Agglomerationen.

Hinziehen, wegziehen

55 Prozent der Österreicher wohnen in Gemeinden unter 10.000 Einwohnern. Was als ländliche Region gilt, wird ganz unterschiedlich definiert. Das Problem der Landflucht hat ein Ost-West-Gefälle: Die alpinen Regionen (die touristisch genutzt werden) haben wenig mit Abwanderung zu kämpfen.
Im Gegensatz zu Regionen wie dem Wald- und Weinviertel, dem südlichen und dem mittleren Burgenland, Teilen der Obersteiermark. Hier steigt der Leerstand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2013)

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