Standortfrage: Büro-Location profitiert vom Grätzel

Park, Geschäfte, Lokale am besten um die Ecke. Die Dienstleistungsbranche lässt sich gern in urbanem Umfeld nieder – wenn Infrastruktur und Ausstattung passen.

Die Beziehung gilt als sehr innig: die des Wieners zu seinem Grätzel. Nicht selten geht diese Verbundenheit so weit, dass er sein Viertel nur verlässt, wenn es unbedingt sein muss – etwa für den Gang in die Arbeit. Diesem Bedürfnis kommt eine Entwicklung entgegen, die Stefan Höffinger von der Unternehmensberatung Höffinger Solutions so skizziert: „Urbanität wird zu einer immer wichtigeren Komponente bei der Standortwahl von Unternehmen. Heute will man nicht mehr abgeschieden am Stadtrand, sondern auf einem modernen Standort arbeiten, wo der Wohlfühlfaktor im Vordergrund steht.“

Doch was versteht man unter einem Grätzel? Für Michael Ehlmaier von EHL Immobilien handelt es sich um ein gewachsenes Stadtviertel mit einem Nutzungsmix aus Wohnungen, Büros, Lokalen, Geschäften und Sozialeinrichtungen: „Die bunte Mischung sorgt für ein vitales und urbanes Umfeld.“ So würden etwa die Grätzel der Innenstadt und der angrenzenden Bereiche mit ihrer geschichtsträchtiger Substanz, mit Gastronomie und Geschäften punkten. Durch das von einem starken Nutzungsmix geprägte Umfeld würden sich dort auch Synergieeffekte für die Unternehmen ergeben.

Wie in der Wiener Innenstadt handelt es sich auch bei den meisten Büroobjekten in anderen Vierteln um klassische Altbauten. „Das liegt daran, dass das Umfeld in einem typischen Grätzel mit der Zeit gewachsen ist“, sagt ÖRAG-Geschäftsführer Stefan Brezovich, verweist gleichzeitig darauf, dass dies Neubauten nicht ausschließen muss. Ob ein Altbauobjekt wirklich funktioniert, hängt für Höffinger letztlich davon ab, ob es gelingt, den Geist der alten Bausubstanz ins 21. Jahrhundert zu übertragen – sprich, entsprechend den Bedürfnissen der Mieter zu adaptieren. „Wichtig ist da eine hochwertige Sanierung“, erklärt er. Das ist vielleicht nicht immer der Fall, tut aber dem Trend zum Arbeiten im Grätzel keinen Abbruch, wie Martin Müller von JP Immobilien bestätigt – im Gegenteil: „Für die richtige Lage werden auch Abstriche bei der Qualität in Kauf genommen.“

Was die Mieter betrifft, grenzt das überschaubare Flächenangebot die Nutzungsmöglichkeiten ein. Großunternehmen, die einen Bedarf von mehreren 10.000 Quadratmetern haben, sind auf andere Standorte angewiesen. Experten schätzen, dass im durchschnittlichen Büro innerhalb des Gürtels zwischen fünf und 30 Personen arbeiten. Überwiegend handle es sich da um Dienstleistungsunternehmen. Die Innere Stadt würden Anwalts- und Steuerberatungskanzleien, Versicherungen und Personalberater schätzen, so Ehlmaier, „aufgrund ihrer repräsentativen Adresse und des eleganten Umfelds“. Dafür wären sie bereit, bis zu 27 Euro/m2(Spitzenmiete) auf den Tisch zu legen.

Neunter Bezirk als Vorbild

Beispiele für gelungene Büro-Locations, die vom Grätzelflair profitieren, gibt es zur Genüge. Gemeinsam ist ihnen, dass sie durch Grünflächen geprägt sind, meint Brezovich. „Es muss nicht gleich der Prater sein, auch ein kleiner Park kann schon dazu beitragen, eine gewisse Wohlfühlatmosphäre zu schaffen.“ Als Beispiel nennt er den neunten Bezirk rund um Kolinstraße, Liechtensteinstraße und Porzellangasse. Höffinger hält das ebenfalls im neunten Bezirk, zwischen Lazarettgasse und Mariannengasse, gelegene Vienna Policenter für gelungen. Wo er sich im Übrigen selbst eingemietet hat. Der Standort punkte mit hochwertig sanierten hohen Räumen und der Nähe zum Alten AKH. Aber es müssen nicht immer nur aufwendig hergerichtete Altbauten sein. Als durchwegs gelungen sehen Experten auch das neu gebaute Viertel Zwei im Prater, einen Mix aus Büro, Hotel und Freizeit. „Nah an einer Grätzelsituation“ befinde sich auch Lände 3, ein Projekt der CA Immo in Erdberg, so Brezovich: „Dort entsteht in einem historisch gewachsenen Bereich eine interessante Symbiose.“ Dem gegenüber stünden Business-Locations, die auf dem Reißbrett entstanden sind. Standorte wie dem Wienerberg oder der Donaucity fehle der Grätzelcharakter, da ihre Entstehung stark vom Bürothema geprägt ist – auch wenn so einiges für sie spreche. Sorgen müsse man sich um diese Standorte trotz des Grätzeltrends nicht machen, meint Müller: „Sie haben schließlich eine völlig andere Zielgruppe.“ So habe es für ein kleines Start-up keinen Sinn, sich im DC Tower einzumieten, für einen Großkonzern aber sehr wohl.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2013)

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