Für die Schuldenländer zeichnet sich eine zaghafte konjunkturelle Erholung ab. Als Erstes soll Irland mit Jahresende die Intensivstation der Eurozone verlassen.
Brüssel. Ist das Glas halb voll, halb leer oder gar zerbrochen? Dieser Frage werden sich die Finanzminister der EU am heutigen Samstag stellen müssen, wenn sie bei ihrem informellen Treffen in Vilnius über die Lage an den krisengeschüttelten Rändern der Union debattieren werden. Zumindest aus der jetzigen Perspektive betrachtet trifft Letzteres nicht zu: Wie die jüngsten Konjunkturdaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung belegen – die OECD hat momentan die aktuellsten Datensätze auf dem Markt, denn die Herbstprognose der EU wird erst Anfang November veröffentlicht –, scheinen die europäischen Patienten die Sohle des Jammertals soeben durchschritten zu haben (siehe Grafik). Ob die prognostizierte zaghafte Erholung nachhaltiger Natur ist oder lediglich ein einmaliger Ausreißer (der im Englischen unter dem pietätlosen Terminus „dead cat's bounce“ [der Hüpfer einer toten Katze] bekannt ist), muss sich allerdings erst weisen.
Fünf Patienten, eine Krankheit
Doch zurück auf die Intensivstation der Eurozone: Die fünf Patienten Irland, Portugal, Griechenland, Zypern und Slowenien laborieren zwar an derselben Krankheit – einer im Zuge der internationalen Finanzkrise aufgetretenen akuten Paralyse der staatlichen Geldbeschaffung –, allerdings in unterschiedlichen Stadien. Auf dem Weg zur Genesung am weitesten fortgeschritten ist Irland, das demnächst gesundgeschrieben werden soll. Als die von den USA ausgegangenen Schockwellen die irische Immobilienblase platzen ließen und in Folge Irlands Banken (und den Staatshaushalt) in die Knie zwangen, sprang die Troika der internationalen Geldgeber (EU, EZB, IWF) mit insgesamt 67,5 Milliarden Euro ein. Dieses Hilfsprogramm läuft mit Jahresende aus, dann soll Irland wieder auf die Finanzmärkte zurückkehren. Um das Vertrauen der Investoren zu gewinnen, wünscht sich Dublin als Rückendeckung eine Kreditlinie beim europäischen Rettungsschirm ESM, die im Fall des Falles angezapft werden könnte – im Gespräch ist ein Volumen von zehn Mrd. Euro.
Portugals Ausstieg aus dem 78 Milliarden Euro schweren Hilfsprogramm wäre eigentlich für den Sommer 2014 anvisiert, doch mittlerweile bestehen erhebliche Zweifel, ob es dazu kommen wird, denn die portugiesische Regierung tut sich mit der Umsetzung der zugesagten Strukturreformen zunehmend schwer. Das Verfassungsgericht kassierte seit Jahresbeginn bereits zwei Mal Teile des beschlossenen Sparpakets – Ende August wurden neue Regeln zur Versetzung und Kündigung von Staatsbeamten für nichtig erklärt. Am kommenden Montag treffen Experten der Troika in Lissabon ein, um die Reformfortschritte – bzw. Rückschritte – zu begutachten. Portugal hatte seinen Helfern zugesagt, die Finanzierungslücke im Staatshaushalt heuer auf 5,5Prozent des BIPs nach 6,4 Prozent 2012 zu reduzieren.
Für Zypern, dessen aufgeblähter und überschuldeter Bankensektor beinahe einen Staatsbankrott verursacht hatte und das auf Kosten seiner Gläubiger saniert werden musste, geht es in erster Linie um die schrittweise Aufhebung der Kapitalkontrollen – die Barrieren wurden Ende März aufgestellt, um die Flucht der für den Schuldenschnitt vorgesehenen vermögenden Kontoinhaber zu verhindern, und sollen bis Sommer 2015 in insgesamt vier Schritten abgebaut werden. Der jüngste Bericht der Troika-Aufseher, der von den Finanzministern der Eurozone gestern erörtert wurde, stellt der zypriotischen Regierung ein gutes Reformzeugnis aus – die nächste, 1,5 Mrd. Euro schwere Tranche des Hilfskredits von insgesamt zehn Mrd. Euro wird voraussichtlich noch im September nach Nikosia überwiesen.
Auch Slowenien laboriert an seinen Banken, die Schulden von rund sieben Mrd. Euro in ihren Büchern haben – die enthusiastische Investitionstätigkeit der slowenischen Großunternehmen hatte einen Berg fauler Kredite hinterlassen. Einen offiziellen Hilferuf gibt es zwar noch nicht, doch nachdem die Summe rund 20 Prozent der slowenischen Wirtschaftsleistung entspricht, ist es fraglich, ob Ljubljana im Alleingang das Problem in den Griff kriegen kann. Zwei kleinere Banken wurden bereits abgewickelt, die Ergebnisse eines Stresstests der zehn wichtigsten slowenischen Institute sollen nach Auskunft des Euro-Gruppen-Chefs, Jeroen Dijsselbloem, bis Ende November vorliegen.
Bleibt zu guter Letzt der griechische Patient, der bereits zwei Transfusionen von insgesamt 240 Mrd. Euro erhalten hat. Ein drittes Hilfspaket lässt sich allerdings kaum vermeiden, denn in der Zwischenzeit hat sich für die kommenden zwei Jahre eine weitere Finanzlücke von elf Mrd. Euro aufgetan. Vermutlich werden die EU-Mitglieder auch eine Antwort auf die Frage finden müssen, was mit der griechischen Staatsschuld von knapp 180 Prozent des BIPs passieren soll – daran, dass Athen die Schulden aus eigener Kraft tilgen kann, glauben mittlerweile nur noch die hartnäckigsten Optimisten. Diese Frage dürfte allerdings erst nach der deutschen Bundestagswahl beantwortet werden. Die Euro-Gruppe wird jedenfalls am 22.November die Budgets ihrer Mitglieder begutachten.
Auf einen Blick
Die Finanzminister der Eurozone haben ein außerordentliches Treffen für den 22.November anberaumt. Auf der Agenda steht die erste Einschätzung der EU-Kommission zu den Budgetplänen für 2014. Bereits im Oktober soll die Situation in Portugal erörtert werden. Am kommenden Montag treffen Experten der Troika in Lissabon ein, um sich ein Bild der Lage zu machen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2013)