Ukraine: Auf der Flucht vor Viktor Janukowitsch

Ukraine Flucht Viktor Janukowitsch
Ukraine Flucht Viktor Janukowitsch(c) Sommerbauer
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Der ukrainische Präsident könnte demnächst seine Gegenspielerin Julia Timoschenko auf Druck der EU freilassen. Die Gefolgsleute der Ex-Premierministerin dürfen indes nicht mit Gnade rechnen.

Mihail Pozhiwanows Geschichte klingt zunächst wie die eines ganz normalen Geschäftsmannes. Der Ukrainer arbeitet seit 2010 in Wien für einen Immobilienentwickler. Seine Frau und ein Sohn sind an seiner Seite. Er hat Freunde gefunden. Ukrainische Politiker treffen ihn, wenn sie in Wien zu tun haben. Dann fragen sie ihn: „Mischa, wann kommst du wieder nach Kiew?“ Das ist der Moment, in dem Pozhiwanow den Kopf schüttelt und die Saga vom Unternehmer kippt. Er kann sie nicht in Kiew treffen und einen grünen Tee im Café bestellen, wie er es hier tut. Als seine Mutter vor zwei Jahren starb, konnte er sie nicht zu Grabe tragen. Mihail Pozhiwanow kann nicht zurück in die Ukraine. Würde er die Grenze überschreiten, würde er verhaftet.

Ermittlungen gegen Ex-Regierung. Als Flüchtiger, gar als Flüchtling will sich der 53-Jährige nicht sehen. Er sei zur Arbeit nach Österreich eingeladen worden, sagt er. 2011 habe er dann erfahren, dass er per Haftbefehl gesucht werde. Vielleicht ahnte Pozhiwanow einfach, was kommen würde. Schließlich war er ein hoher Beamter unter der Ex-Premierministerin Julia Timoschenko. Er war nicht der Einzige, gegen den die ukrainische Justiz nach Timoschenkos Abschied von der Macht Strafverfahren einleitete.

Bald nach dem Amtsantritt von Präsident Viktor Janukowitsch 2010 ergoss sich eine Welle von Ermittlungen über Timoschenkos Gefolgsleute. So viele waren betroffen, dass es schwerfällt, nur an individuelle Verfehlungen zu glauben. Es schien, als sollte die Politik von starken Oppositionsfiguren gereinigt werden. Timoschenkos Ex-Innenminister Jurij Lutsenko wurde im Dezember 2010 in U-Haft genommen, Timoschenko selbst zu täglichen Einvernahmen genötigt. Die, die ukrainische Gefängnisse nicht von innen sehen wollten, flohen ins Ausland. Sie sehen sich als politisch Verfolgte. Und sie sagen, die Vorwürfe – meist geht es um Amtsmissbrauch und Hinterziehung von Geldern – seien fabriziert.

Asyl in EU. Europäische Staaten hielten ihre Argumente für glaubwürdig. Bogdan Danilischin, früher Wirtschaftsminister, hat in Tschechien politisches Asyl erhalten. Ebenfalls in Tschechien hat Timoschenkos Ehemann Alexander Zuflucht gefunden. Dänemark gab Ex-Verteidigungsminister Valerij Iwaschtschenko im Februar Asyl. Der Ex-Abgeordnete Andrej Schkil hat in Frankreich um Bleiberecht angesucht.

Timoschenko blieb. Sie wurde im August 2011 zu sieben Jahren Haft verurteilt. Um die Lösung ihres Falls, der dem Abschluss des EU-Assoziierungsabkommens im November im Weg steht, zerren derzeit Brüssel und Kiew. Von einer Reise nach Berlin zur medizinischen Behandlung der gesundheitlich Angeschlagenen ist häufig zu hören. Aber auch bei diesem Exitplan gibt es gesetzliche Hindernisse – und nicht nur das. Nicht alle in Präsident Janukowitschs Kreis wollen die kompromisslose Oppositionspolitikerin gehen lassen; man fürchtet ihre Rückkehr – und Rache. „Es sind rechtliche, politische und psychologische Faktoren im Spiel“, sagt ein westlicher Diplomat, der anonym bleiben will. Schließlich kann man die verurteilte Timoschenko nicht einfach so ziehen lassen. Eine Lösung kann sich bis kurz vor dem Summit auftun. Oder auch nicht.

Traum von Rückkehr in die Politik.
Mihail Pozhiwanows persönliche Deadline ist der 30.September. Wenn er bis dahin kein Signal aus Kiew erhalte, „dann will Janukowitsch nicht, dass ich zurückkomme“. Von 2008 bis 2009 war er Direktor der Staatsreserve. Davor Vizewirtschaftsminister unter dem flüchtigen Danilischin. Als Chef der Staatsreserve wird Pozhiwanow der Diebstahl von 35 Millionen Griwen, 3,2 Millionen Euro, vorgeworfen. Er streitet die Vorwürfe vehement ab. Eigenartig ist jedenfalls, dass sein Verfahren seit 2012 auf Eis liegt, angeblich, weil sein Aufenthaltsort unbekannt sei. Pozhiwanows Anwälte haben aber mit der Generalstaatsanwaltschaft Kontakt aufgenommen. Er sei zur Aussage in Österreich bereit, sagt er. Doch aus Kiew kommt keine Antwort. Auch ein internationaler Haftbefehl wurde nie ausgestellt. Pozhiwanow wartet weiter in Wien ab und träumt von der Rückkehr, auch in die Politik.

Zurück nach Kiew hat sich bisher nur einer gewagt. Mit einer Methode, über die man streiten kann: unter dem Schutz seiner Immunität als Abgeordneter. Ledersofas, gestärkte Tischtücher, gedämpftes Licht, gedämpfte Stimmen. Das Café im zweiten Stock des Hotels Kiew ist Treffpunkt für ukrainische Parlamentarier. Die Werchowna Rada liegt nur ein paar Schritte entfernt, hier besprechen Anzugträger die großen Kleinigkeiten des zu Ende gegangenen Arbeitstages. Arsen Awakow ist einer von ihnen. Erst seit Kurzem kann er hier wieder unter Seinesgleichen sitzen und vom Tee nippen. Er kann hier sein, weil er Immunität vor Strafverfolgung besitzt. Bei der Parlamentswahl im Oktober hat er genug Stimmen für ein Mandat bekommen.

Awakow hat einen längeren Auslandsaufenthalt in Italien hinter sich. Anders als Pozhiwanow nennt er sich einen Politflüchtling – ein Politflüchtling im feinen grauen Anzug, mit akkurat geschnittenem Haar, selbstsicherem Auftreten. Awakow ist ehemaliger Gouverneur des Gebiets Charkiw, einer knapp drei Millionen zählenden Region in der Nordostukraine. Die Justiz ermittelte gegen ihn wegen Amtsmissbrauchs, Strafandrohung sieben bis zehn Jahre. Awakow wurde die illegale Weitergabe von Grundstücken vorgeworfen, Ende Jänner 2012 wurde er zum gesuchten Mann. Da war er schon in Italien. „Mir drohte eine Verhaftung aus politischen Motiven, das wurde mit einer angeblichen kriminellen Tat zugedeckt“, sagt er dazu. Auch in Italien war er kurzzeitig hinter Gittern, wurde wieder entlassen, auch einem Auslieferungsantrag gab Rom nicht statt.

Awakow ist kein naiver Mensch. Im Dezember 2012 reiste er dann ein, empfangen auf dem Kiewer Flughafen von Freunden von Timoschenkos Vaterlandspartei. „Ich bin bei der ersten Gelegenheit zurückgekehrt“, sagt Awakow. Garantien hat er vor der Rückkehr keine bekommen. „Wenn man dieser Regierung glauben würde, wäre man ein sehr naiver Mensch“, sagt er. Und der ist Awakow sicher nicht.Ukrainische Politik erinnert mitunter an einen verbissenen Kampfauf Leben und Tod. Wer an der Macht ist, dem gehört alles, und wer verliert, der verliert alles. Zur Selbstverteidigung scheint jedes Mittel recht. Skrupel, seine Immunität für seine persönliche Verteidigung zu nutzen, hat Awakow keine. Erst jetzt könne er sich adäquat verteidigen – in einem Verfahren, „das sowieso bald eingestellt“ würde. Dass er auch Vorsitzender eines Unterausschusses ist, der sich mit der Ethik der Abgeordneten befasst, verwundert da nicht mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2013)

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