Lehmann-Pleite: Der Tag, an dem die Krise begann

Sonnig Grad Krise begann
Sonnig Grad Krise begann(c) EPA (PETER FOLEY)
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Am 15. September 2008 meldete die Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz an und stürzte die Welt in die schwerste Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren. Die Anatomie einer Katastrophe.

Der Tag, an dem die Finanzwelt unterging, war ausgesprochen schön. Über New York schien die Sonne, das Thermometer zeigte angenehme 25 Grad Celsius, im Bryant Park an der 6thAvenue sonnten sich an diesem 14.September 2008 Menschen in T-Shirts auf den Parkbänken. Von dem Drama, das sich weiter südlich abspielte und das die ganze Welt in die Krise reißen sollte, wussten nur wenige.

„Das war das größte Pokerspiel der Welt“, beschrieb ein Mitarbeiter der US-Notenbank im deutschen Magazin „Der Spiegel“ das Treffen zwischen den Chefs der größten US-Banken und der US-Regierung. Es ging darum, wie man die Investmentfirma Lehman Brothers vor dem Ruin retten kann.

Der damalige Finanzminister Henry Paulson machte klar, dass diesmal die öffentliche Hand nicht einspringen wird. Paulson wollte laut Protokollen der Sitzung nach der teuren Rettung der Investmentbank Bear Stearns ein halbes Jahr früher und der 200-Mrd.-Dollar-Hilfe für Fannie Mae und Freddie Mac ein Exempel statuieren. Viele andere Institute seien finanzschwach, die Autoindustrie leide – diese würden alle den Staat um Hilfe bitten, wenn man jetzt Lehman aus der Krise helfe.

„Es geht nicht nur um eine Bank, es geht um die ganze Industrie“, warnte Timothy Geithner, damals Fed-Chef in New York, später bis Jänner 2013 US-Finanzminister, die anwesenden Banker. „Wenn Lehman der erste Dominostein ist, dann sind alle hier am Tisch die nächsten.“

Es nützt nichts. Der Versuch, Lehman zu retten, scheiterte angeblich an zwölf Milliarden Dollar, über die man sich nicht einigen konnte. Am Montag, den 15.September 2008, meldete die Investmentbank die Insolvenz an – und die Folgen waren weitaus dramatischer, als Geithners Prophezeiung: Nicht nur die US-Banken gerieten in Schwierigkeiten und mussten am Ende mit Milliardenkrediten der Regierung gerettet werden. Lehman riss die ganze Welt in die schwerste Wirtschaftskrise seit 80 Jahren.


Das Vertrauen war verloren. Es wurde viel darüber diskutiert, ob eine Rettung von Lehman Brothers eine Finanzkrise verhindert hätte. Oder ob die Sache vielleicht anders ausgegangen wäre, hätten die USA gleich den ersten Hilfesuchenden, dem das Geld ausging, Bear Stearns, in die Pleite geschickt. Stattdessen rettete man Bear Stearns mit Geldgarantien und der Vermittlung einer Übernahme durch JP Morgan. Die Finanzinstitute vertrauten von dem Tag an darauf, dass sie der Staat in der Not schon retten würde. Als er das bei Lehman nicht tat, war das ein Schock. Das Rettungsnetz öffentliche Hand war weg, und die Banken selbst trauten sich untereinander nicht mehr. Niemand lieh dem anderen Geld, und das beschleunigte den Niedergang.

Die Gründe dafür, dass es überhaupt so weit kam, sind relativ einfach erklärt: Nach den Anschlägen vom 11.September 2001 überschüttete die US-Regierung die Wirtschaft aus Angst vor einer Krise mit billigem Geld. Banken gaben das Geld in Form von großzügigen Krediten an ihre Kunden weiter, die sich damit den amerikanischsten aller amerikanischen Träume erfüllten: den vom eigenen Haus.

Wegen der starken Nachfrage stiegen die Immobilienpreise, jährliche Steigerungsraten im zweistelligen Prozentbereich waren keine Seltenheit. Da man also nur verdienen konnte, bekamen plötzlich auch Menschen Geld, die vor einigen Jahren nicht einmal eine Kreditkarte erhielten (der Subprime-Markt). Eine Anzahlung für den Hauskauf? Nicht notwendig! Sogenannte „Interest-Only Loans“ garantierten, dass man nur die Zinsen bezahlen musste, die Rückzahlung war erst am Ende der Laufzeit fällig. Und diese war sicher kein Problem, weil doch die Immobilienpreise stetig stiegen.

Die Banken sicherten sich dadurch ab, dass sie ihre Immobilienkredite an Investmentfirmen weiter gaben, die daraus gemeinsam mit anderen Krediten Collateralized Debt Obligations (CDOs) machten. Die Investmentfirmen bezahlten Ratingagenturen dafür, diese CDOs zu bewerten. Da die Agenturen gute Ratings vergaben (meist AAA), kauften weltweit Kunden diese CDOs. Früher hatte eine einzelne Bank ein Problem, wenn ein Kredit ausfiel, mit diesem Konstrukt wurde es zu einem weltweiten Problem.

Am Ende kümmerten sich die Banken nicht mehr darum, ob der Kreditnehmer den Kredit auch tatsächlich bezahlen konnte, weil sie die Ausstände ohnehin weiter gaben. Die Investmentbanken interessierte die Seriosität der CDOs nicht, weil sie Geld mit deren Verkauf verdienten. Die Ratingagenturen kümmerten sich nicht um ihre Ratings, weil sie für die Bewertungen nicht hafteten. Alle waren zufrieden und tanzten – bis die Musik aufhörte zu spielen.


10.000 Milliarden Dollar. Als sie das 2008 tat, hatte es weltweit verheerende Auswirkungen. Die ersten Kreditnehmer konnten ihre Kredite nicht mehr bedienen, die Immobilienpreise gaben nach. Menschen, die sich ihren Lebensstil mit dem theoretischen Wert ihres Hauses finanzierten, gerieten in Probleme. Immer schneller brach das Kreditkartenhaus zusammen.

Und alle Banken und Investmentfirmen hatten stark in den Häusermarkt investiert und verloren Milliarden. Lehman Brothers beispielsweise 2,8Mrd. Dollar allein im zweiten Quartal 2008, im dritten waren es schon 3,9Mrd. Dollar. Ein viertes Quartal gab es für die Investmentfirma nicht mehr.

Wie viel Geld insgesamt vernichtet wurde, lässt sich nur schwer sagen. Nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds mussten allein die Banken in den USA und Europa 3000Milliarden Dollar an Krediten abschreiben. Insgesamt dürfte die Finanzkrise, je nach Berechnung, die Welt zwischen 10.000 und 50.000 Milliarden Dollar gekostet haben.

Für eine 67-jährige Frau aus Saarbrücken waren es 6000 Dollar, die sie in Lehman Brothers investiert hatte. Nach dem Zusammenbruch waren ihre Ersparnisse weg. Wochenlang stand Ingrid Deutsch vor ihrer Bank in Saarbrücken und hielt ein Schild hoch: „Ich will mein Geld zurück.“ (Eine Version dieses Textes erschien im „Presse“-Magazin „Benchmark“).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2013)

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