Börsen: Die Angst ist noch stärker als die Gier

Boersen Angst noch staerker
Boersen Angst noch staerker(c) REUTERS (YURIKO NAKAO)
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Fünf Jahre sind seit der Lehman-Pleite vergangen. Das Verhalten der Anleger wird noch immer davon bestimmt. Bis die Vorsicht der Risikofreudigkeit weicht, dürfte es noch einige Jahre dauern.

Wien. Vor fünf Jahren meldete die US-Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz an, was die Finanzkrise auslöste. Die Börsen stürzten weltweit ab. Der Schock sitzt tief: Trotz teilweise wieder erzielter Höchststände gelten Aktien seither als riskantes Investment. Da nimmt man lieber sichere reale Verluste auf dem Sparbuch in Kauf.

Die Finanzkrise hatte viele Anleger kalt erwischt, weil die Warnzeichen keineswegs so deutlich waren wie vor dem Platzen der New-Economy-Blase um die Jahrtausendwende: Anders als vor 13 Jahren schienen die Aktienpreise im Vorfeld der Lehman-Pleite (etwa gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis) nicht so hoch. Dass sie tatsächlich zu hoch waren, zeigte sich erst im Nachhinein.

„Die Übertreibung gab es primär im Finanzbereich und im Rohstoffsektor“, stellt Robert Karas, Leiter des Asset-Managements bei der Schoellerbank, fest. Als die Gewinne dieser Firmen wegbrachen, rutschten die Aktienkurse ab.

Momentan ist seiner Meinung nach keine Übertreibung in Sicht– obwohl einige Indizes wie der DAX oder der Dow Jones inzwischen neue Allzeithochs aufgestellt haben. Im ersten Halbjahr hätten sich teilweise Übertreibungstendenzen bei Dividendenaktien, Konsumtiteln, High-Yield-Anleihen und Emerging-Market-Bonds gezeigt. Im Juni hätten die Märkte gedreht, und die Luft sei wieder draußen.

Krise noch nicht vergessen

Die Vorsicht ist noch groß: Wallstreet-Strategen empfehlen im Schnitt eine Aktienquote von 52,9 Prozent, wie der Sell-Side-Consensus-Indikator zeigt. Der Wert liegt zwar über dem Tief des Vorjahres, aber weit unter dem langjährigen Durchschnitt von 60 bis 65 Prozent. Von einem starken Optimismus, wie er sich meist auf dem Höhepunkt eines Hypes zeigt, sei nichts zu bemerken, sagt Karas.

„Eine Faustregel besagt, dass es sieben Jahre dauert, bis eine Krise so weit in Vergessenheit geraten ist, dass der nächste Boom möglich wird.“ Die letzte große Krise liegt erst fünf Jahre zurück, und vor allem in Europa gab es seither immer wieder Turbulenzen: So ging es etwa im Sommer 2011 steil nach unten.

Auch Privatanleger gehen noch vorsichtig zu Werke, stellt Erika Karitnig, Aktienteam-Leiterin bei der Bawag PSK Invest, fest. Nach dem tiefen Absturz infolge der Finanzkrise habe es zunächst eine steile Erholung gegeben, während der die Anleger querbeet fast alles gekauft hätten. Dann habe man zu differenzieren begonnen. US-Aktien und globale Player hätten sich weiter erholt, während die europäischen Märkte erst jetzt in eine Phase kämen, in der sie die anderen Märkte übertreffen könnten. Für die Schwellenländer sei die Stimmung dagegen noch immer schlecht. Auch zwischen den Branchen wurde differenziert, stellt Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek fest: Während die Anleger zu Konsumgüterherstellern, Health-Care-Unternehmen, IT-Formen sowie US-amerikanischen Banken griffen, ließen sie die Aktien von Versorgern, Grundstoffen und europäischen Finanztiteln links liegen.

Auch die Aktienmärkte der verschiedenen Regionen entwickelten sich höchst unterschiedlich: Starke Zugewinne gab es in Teilen der Schwellenländer (Philippinen, Indonesien, Thailand, Indien), den USA und Deutschland. Schlecht entwickelten sich die meisten osteuropäischen Börsen, die europäischen Peripherieländer wie Spanien, Italien, Griechenland– und Österreich.

Dabei habe es 2011 eine Trendwende gegeben, sagt Brezinschek: Bis dahin hätten die Emerging Markets eine starke Erholung verzeichnen können, seither hätten aber die etablierten Märkte die Nase vorn. Doch sei die gegenwärtige Phase kaum mit der Zeit vor Lehman vergleichbar. „Ähnlich ist nur die Geldpolitik der Notenbanken, die noch expansiver ist als zwischen 2003 und 2008“, sagt Brezinschek. Doch hätten die Staaten seither Reformen durchgeführt und seien nun für weitere Krisen besser gerüstet. Auch sei keine Immobilienkrise wie seinerzeit in den USA oder in Spanien in Sicht.

Aktien nicht mehr billig

Aktien seien zudem billiger bewertet als in der Zeit vor Lehman. „Dabei muss man berücksichtigen, dass vor Lehman auch die Wachstumsaussichten besser waren als jetzt“, schränkt Brezinschek ein. Doch auch wenn man das berücksichtige, seien europäische Aktien noch immer günstig, US-amerikanische zumindest nicht viel teurer. „Die Gewinnrendite von Aktien dürfte noch länger unter zehn Prozent pro Jahr bleiben“, meint der Raiffeisen-Analyst. Das wäre aber mehr als die durchschnittliche Anleihenrendite. Fazit: Auch wenn einige Indizes (etwa der Dow Jones oder der DAX) ihre Höchststände vor der Krise überschritten hätten, sei es „nicht ratsam, sich von Aktien zu verabschieden“, sagt Brezinschek.

Eine Euphorie wie vor der Finanzkrise ist bei Weitem nicht feststellbar, meint Karitnig. „Vor der Finanzkrise ist es exorbitant nach oben gegangen– nicht unbedingt mit Aktien, aber etwa mit dem Ölpreis“, stellt die Expertin fest. „Fast jeder hatte Aktien, bei uns waren es die Immobilienaktien.“

Viele, die sich damals mit Aktien die Finger verbrannt haben, setzen nun lieber auf Anlageformen wie das Sparbuch, auch wenn sie damit sicher Geld verlieren. „Von einer neuen Euphoriephase sind wir noch mindestens ein bis zwei Jahre entfernt“, schätzt Karitnig.

Schwieriges Timing

Auch gebe es preislich noch Potenzial nach oben. „Aktien sind zwar nicht mehr billig, aber fair gepreist. Auf eine Untertreibung folgt meist eine Übertreibung, und die steht noch aus.“ Auch Übertreibungsphasen können mitunter lange andauern. Karitnig rät Anlegern davon ab, antizyklisch investieren zu wollen. Das richtige Timing sei extrem schwierig. Sich weder von Euphorie noch von Panik mitreißen zu lassen, sei schon Herausforderung genug. Am sichersten fahre man, wenn man die gängigen Faustregeln befolge: regelmäßig investieren, die langfristigen Aussichten im Blick haben und breit streuen.

Wenn in den nächsten Jahren die Investitionsgüterindustrie wieder anspringt, könnten jene Branchen die Nase vorn haben, die in den vergangenen Jahren nachgehinkt sind, meint Brezinschek: Industrie, Grundstoffe, Chemie, Papier und Stahl. „Ich kann mir auch vorstellen, dass Versorger in den nächsten fünf Jahren wieder ein lohnendes Investment sind.“

Boersen Angst noch staerker
Boersen Angst noch staerker(c) Die Presse / GK

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2013)

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