Vatikan: Die neue tolerante Welt des Papsts Franziskus

Rüttelt Kirche mit seinen radikalen Ideen auf: Papst Franziskus.
Rüttelt Kirche mit seinen radikalen Ideen auf: Papst Franziskus.(c) REUTERS (STEFANO RELLANDINI)
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In einem langen und persönlichen Interview skizziert Papst Franziskus seine Ideen von Amt und Moral. Er will sich nicht mehr auf Themen wie Abtreibung und Homo-Ehe fixieren.

Rom. Einfach nur Franziskus: Das „pp“ für „Papst“ lässt er, wenn er unterschreibt, meistens weg. Seit seiner Wahl vor sechs Monaten nahm Jorge Mario Bergoglio zwar noch keine Kirchenreform vor, aber er durchbrach Verkrustungen in unrömischer Dynamik und brachte einen neuen Ton in die Verkündigung. Sein „Wer bin ich, dass ich über einen Homosexuellen urteile?“ ließ auch die aufhorchen, die zur Kirche kein Verhältnis mehr haben. Die Gedankenwelt, die er da, auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Brasilien, skizzierte, hat er jetzt in einem langen, persönlichen Interview für eine Reihe von Jesuiten-Zeitschriften ausgebreitet.

Moralfragen waren nur ein Aspekt. „Wir können nicht nur auf Fragen der Abtreibung, der Homosexuellen-Ehen, der Verhütungsmethoden bestehen“, sagt er. „Ich habe nicht viel zu diesen Fragen gesagt, das hat man mir vorgehalten. Aber wenn man darüber spricht, braucht es einen Kontext. Die Ansichten der Kirche kennt man, ich bin ein Sohn der Kirche. Man muss nicht unausgesetzt über diese Fragen reden.“ Auch wenn „die Religion das Recht hat, die eigene Überzeugung im Dienst am Menschen auszudrücken“, so habe „Gott uns in der Schöpfung frei gemacht: Eine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben ist nicht möglich.“

Franziskus will demgegenüber eine „missionarische Verkündigung, die nicht davon besessen ist, ohne Unterscheidung eine Menge von Lehren aufzudrängen“. Gepredigt werden müsse „das Nötige, das Wesentliche, was das Herz glühen lässt“. Nötig sei „ein neues Gleichgewicht, sonst fällt auch das moralische Gebäude der Kirche wie ein Kartenhaus zusammen, droht, seine Frische und den Duft des Evangeliums zu verlieren“. Eine statische Kirche ist Franziskus ein Gräuel: „Wir müssen eher Prozesse in Gang bringen als Räume zu besetzen.“ Statt „nur eine Kirche zu sein, die mit offenen Türen aufnimmt, versucht sie, neue Wege aus sich heraus und zu denen zu gehen, die nicht zu ihr kommen. Es braucht Mut und Kühnheit.“ Und: „Gott findet man im Gehen, auf dem Weg.“ Die Kirche sei nicht nur „ein Haus für alle“, sondern auch – das hat Franziskus schon häufig gesagt – „Mama“. Was „Mama“ ist, formuliert er jetzt direkter: „Wir dürfen (aber) den Busen der Universalkirche nicht auf ein schützendes Nest unserer Mittelmäßigkeit reduzieren.“ Die offizielle deutsche Übersetzung lässt „Busen“ weg.

„Der weibliche Genius ist nötig“

Was er in der Kirche zur Rolle der Frau höre, sei „oft von einer Männlichkeitsideologie inspiriert“. Die „Räume einer einschneidenden weiblichen Präsenz in der Kirche müssen weiter werden. Der weibliche Genius ist nötig, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden.“ Theologisch formuliert: „Maria ist wichtiger als die Bischöfe.“ Zu Kirchenreformen sagt Franziskus, sie brauchten Zeit, sie brauchten „die Kunst der Unterscheidung“, sie brauchten Beratungen. Aber echte, „nicht nur formelle“ – zum Beispiel dann, wenn Anfang Oktober die acht Kardinäle aus der Weltkirche zusammentreten, „diese Outsider-Kommission“, die er um Hilfe bat.

Und er selbst? „Ich bin ein Sünder. Ja, gut, ich bin etwas gewieft/schlau, ich weiß mich zu bewegen, aber es ist wahr, ich bin auch naiv. Die beste Zusammenfassung, die aus meinem Innersten kommt, lautet: Ich bin ein Sünder, den der Herr angeschaut hat.“ Und dann erzählt Franziskus aus seiner persönlichen Welt. Dass er Dostojewski und Hölderlin „überaus“ liebt, Caravaggio und Chagall bewundert, „Mozart, natürlich“, und dann, „aber auf nicht gleich innerlichem Niveau, Richard Wagner“. Und er erzählt, was ihn geistlich hält: „Ich weiß, dass der Herr sich meiner erinnert. Ich könnte ihn sogar vergessen. Aber ich weiß, dass Er mich nie, nie vergisst.“

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www.stimmen-der-zeit.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2013)

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