Aufgabenliste: 11 Problemfelder – 11 Lösungen

Vier Tage vor der Wahl verlagert sich der Wahlkampf am 25. September bei einer Sondersitzung nochmals ins Hohe Haus. Auf die Abgeordneten warten nach der Nationalratswahl jede Menge Herausforderungen.
Vier Tage vor der Wahl verlagert sich der Wahlkampf am 25. September bei einer Sondersitzung nochmals ins Hohe Haus. Auf die Abgeordneten warten nach der Nationalratswahl jede Menge Herausforderungen.(c) Clemens Fabry
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Nach der Nationalratswahl am 29. September geht es erst richtig los: Eine neue Regierung hat, wie immer diese aussehen mag, eine umfangreiche Aufgabenliste vor sich. Die Ausgangslage.

Problemfeld Nr. 1: Finanzen/Steuern

► Die Steuer- und Abgabenquote in Österreich ist mit 44,6 Prozent des BIPs im internationalen Vergleich sehr hoch. Die Steuern zu senken wird aber schwierig: Denn das würde das Budgetdefizit (heuer 6,3 Milliarden Euro) und den Schuldenstand des Staates (derzeit 232 Milliarden Euro) weiter erhöhen. Dabei sind aber die Kosten des Hypo-Debakels noch gar nicht eingerechnet – diese werden die Probleme weiter verschärfen.

Lösung: Steuern senken: Nur wenn der Staat spart

Wenn Parteien in der Schlussphase des Wahlkampfes plötzlich ein Steuerreformkonzept präsentieren, kann man davon ausgehen, dass da noch schnell Wahlzuckerln verteilt werden sollen. Aber der Befund ist klar: Im Bereich der Staatseinnahmen herrscht Handlungsbedarf. Denn erstens hat Österreich eine im internationalen Vergleich extrem hohe Steuer- und Abgabenquote von 44,6 Prozent. Zweitens ist aber eine Steuersenkung nicht so einfach machbar, weil derzeit ein Budgetdefizit von 6,3 Milliarden Euro verzeichnet wird – das sind rund zehn Prozent der Staatseinnahmen. Und drittens bestätigen internationale Studien, dass die Steuerlast ungerecht verteilt ist: Arbeit wird zu hoch, Vermögen zu niedrig besteuert.

Der dritte Punkt wäre am einfachsten zu lösen: Eine aufkommensneutrale Steuerreform wäre jederzeit umsetzbar. Die von SPÖ und Grünen forcierte Besteuerung von Finanzvermögen ist dabei nicht so sinnvoll, weil große Vermögen dann rasch aus Österreich abgezogen würden. Aber eine Erhöhung der Grundsteuern und eine Wiedereinführung der Erbschaftssteuer ließen sich bei gleichzeitiger Entlastung von Erwerbseinkommen argumentieren.

Schwieriger ist die an sich notwendige generelle Steuerentlastung. Auf eine Gegenfinanzierung durch Ankurbelung der Wirtschaft sollte man sich nicht zu sehr verlassen – die Prognosen, auf die sich die Regierungsparteien derzeit berufen, sind viel zu optimistisch. Echte Steuersenkungen sind nur möglich, wenn der Staat im Gegenzug seine Ausgaben reduziert. Möglichkeiten dafür gibt es – etwa im Förderwesen. 2600 Förderprogramme des Bundes und weitere 3100 der Länder sollten dafür genug Spielraum bieten. Beginnen kann man mit einem Vorschlag von Finanzministerin Maria Fekter: Jede Förderung muss dahingehend evaluiert werden, ob die Ziele auch erreicht werden. maf

Problemfeld Nr. 2: Verwaltung

► Insgesamt rund 345.000 Mitarbeiter, Beamte sowie Vertragsbedienstete, sind im öffentlichen Dienst beschäftigt. Der Personalstand des Bundes umfasst davon rund 132.000 Bedienstete, jener der Bundesländer rund 140.000, jener der Gemeinden (ohne Wien) rund 74.000.

Lösung: Kleinere Regierung, Abspecken bei Beamten

Die Österreicher werden sich nach der Wahl daran erinnern. Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger haben für die kommende Legislaturperiode eine Verkleinerung der Regierung zugesagt. Finanziell fällt das zwar überhaupt nicht ins Gewicht, aber es ist ein Signal an die Bevölkerung und den öffentlichen Dienst, dass die künftige Regierung sich bei den Ämtern auch selbst einschränkt. Die Zusammenlegung des Unterrichts- und Wissenschaftsministeriums böte sich an, ebenso beispielsweise die Abschaffung des Staatssekretariats im Kanzleramt, dessen Agenden das derzeit schon im Haus bestehende (Beamten-)Ministerium übernehmen könnte.
Ähnliches gilt für die Landesebene: Eine Verkleinerung der neun Landtage und der Landesregierungen – sowie in der Folge auch der jeweils notwendigen Personalstäbe – bleibt auch in den kommenden Jahren Thema. Auf Ebene der Gemeinden wird die vielfach sehr angespannte finanzielle Situation zumindest die Überlegungen über die verstärkte Zusammenarbeit zwischen mehreren Kommunen vorantreiben.

In der Verwaltung reicht die zuletzt von der Regierung fixierte Abschaffung der Bezirksschulräte nicht aus. Ausnahmen vom Aufnahmestopp im Bundesdienst (Lehrer) wird es aber weiterhin geben müssen. Eine Voraussetzung für ein weiteres sinnvolles Abspecken bei Beamten und Vertragsbediensteten in Teilen des Staatsdienstes ist auch, dass der Gesetzgeber mehr Möglichkeiten für Versetzungen einräumt. Auch nach dem Einzementieren der Wehrpflicht könnte Verwaltungspersonal etwa aus dem Bereich der Landesverteidigung in andere Sektoren des öffentlichen Dienstes wechseln. Lehrer müssten rasch von administrativen Tätigkeiten entlastet werden, um sich verstärkt dem Unterricht der Schüler widmen zu können. ett

Problemfeld Nr. 3: Pensionen/Soziales

► Das im internationalen Vergleich besonders niedrige Pensionsantrittsalter – für ASVG-Versicherte, Bauern und Gewerbetreibende liegt es bei 58,2 Jahren, für Bundesbeamte bei 60,6 Jahren – ist eines der Hauptprobleme, warum trotz Sparmaßnahmen der Regierung die Pensionsausgaben und Zuschüsse des Bundes noch steigen. Der Anteil derjenigen, die mit einer Invaliditätspension krankheitsbedingt vorzeitig in den Ruhestand gehen, ist mit einem Drittel hoch.

► Lösung 3: Hinauf mit dem Pensionsalter

Für die Österreicher wird ab 2104 der Zugang zur Hacklerfrühpension erschwert, bei den Invaliditätspensionen sind ebenfalls Änderungen vorgesehen: Mit diesen Beschlüssen hat die noch amtierende Bundesregierung den richtigen Hebel bei den Pensionen angesetzt. Beide Maßnahmen dienen dazu, das in Österreich im internationalen Vergleich besonders niedrige durchschnittliche Pensionsantrittsalter anzuheben.

Das Rezept lautet: Hinauf mit dem praktischen Pensionsantrittsalter; das hilft bei der Pensionsfinanzierung doppelt: durch längere Beitragszahlungen von Aktiven und durch einen dann kürzeren Bezugszeitraum der Pensionisten.
Allerdings wird das angesichts der nach wie vor steigenden Lebenserwartung und der deswegen längeren Pensionszeiten nicht reichen. Gerade für sozialdemokratische Politiker ist Schweden ein Vorbild. Das könnte auch für das dortige Pensionsmodell mit einem flexiblen Pensionsantrittsalter mit höheren individuellen Zu– und Abschlägen gelten. Längeres Arbeiten müsste sich dann allerdings in Österreich im Gegensatz zu bisher auch entsprechend bei der Pensionsleistung lohnen.
ASVG-Versicherte beklagen freilich zu Recht, dass es nicht nur in ihrem Bereich Änderungen kann geben. Aus Gründen der Gerechtigkeit sind deswegen noch bestehende Sonderpensionsrechte, wie etwa jene für Wiener Beamte, aber auch bei der Nationalbank abzubauen.

Unterschiede bestehen bereits seit Jahren beim Zuerwerb im Ruhestand. Die bestehende Benachteiligung von ASVG-Frühpensionisten gegenüber den Beamten im Ruhestand ist auf Dauer nicht haltbar.

Geld der Krankenkassen für die Pflege

Im Sozialbereich wurde die Finanzierung der Pflege nur provisorisch bis 2016 gelöst. Statt der Einführung einer eigenen Pflegeversicherung (die politisch derzeit ohnehin keine Mehrheit findet) müssten Prozentteile der jetzigen Krankenversicherung, wie schon bei der Einführung Mitte 1993 vorgesehen, verpflichtend für die Pflegeausgaben eingesetzt werden. Sinnvoll wäre daher auch, die Kompetenzen für die Sozialversicherung inklusive jener für die Krankenkassen (wie früher) in einem Ministerium zu vereinen. Steirer dürfen nicht benachteiligt werden: Der Pflegeregress für Angehörige sollte auch dort abgeschafft werden. ett

Problemfeld Nr. 4: Wirtschaft/Arbeitsmarkt

Lösung: Lasst die Wirtschaft Wirtschaft sein

Es macht einen Unterschied, ob man die Bedingungen der Wirtschaft akzeptiert und sich bemüht, eine sozial verträgliche Politik zu machen – oder ob man eine Politik gegen die Wirtschaft macht. Nehmen wir die Debatte um die Reichensteuer: Dass es diese „Reichen“ sind, die mit ihrem Geld für Arbeitsplätze sorgen, wird in der Diskussion fast immer ignoriert. Ebenso, dass sie ihren Reichtum oft selbst erarbeitet haben – und dieser ohnehin schon versteuert wurde.

Das gipfelt dann in Wahlplakaten, die Arbeitsplätze versprechen – dabei kann ein Politiker nur einen Arbeitsplatz schaffen, wenn er das Gehalt des neu Angestellten vorher vom Steuerzahler abschöpft – was praktisch in einem Nullsummenspiel endet. Was Wunder, dass viele Bürger inzwischen bei den geringsten Problemen nach dem Staat rufen – und sich gar nicht mehr die Frage stellen, ob sie dieses oder jenes Problem vielleicht selbst in die Hand nehmen könnten.

Das 21. Jahrhundert gehört nicht dem Staat

Die Konsequenzen dessen werden aber jene tragen müssen, die heute unter 40 sind. Sie werden sich mühsam ein Bewusstsein dafür erarbeiten müssen, dass staatliche Eingriffe sehr oft zu unvorhergesehenen Konsequenzen führen, die dann als „Probleme“ diskutiert werden und durch weitere staatliche Eingriffe „gelöst“ werden – bis die neuen „Lösungen“ Probleme verursachen – und so weiter.

Teilen der Ökonomie sind die Gefahren dieser Interventionsspirale durchaus bekannt. Aber der Flügel der Staatsfreunde hat sie in einer unheiligen Allianz mit kurzfristig denkenden Politikern in den vergangenen Jahrzehnten an den Rand gedrückt. Die Folge dessen kann man heute in Form von Staatsschulden durchaus messen.
Natürlich ist nicht alles schlecht. Tatsächlich ist die relativ angenehme Lage Österreichs auch während der Krise vielen liberalen Ökonomen durchaus ein Rätsel. Aber wer genau hinsieht, kann die ersten Anzeichen einer Trendwende bereits erkennen. So hat EZB-Chef Mario Draghi das Europäische Sozialstaatmodell schon als gescheitert bezeichnet – und zuletzt sagte auch der holländische König, dass der Wohlfahrtsstaat am Ende sei. Dass man sich im 21. Jahrhundert nicht mehr auf den Staat wird verlassen können.

Man kann diese Statements ignorieren, die Personen abqualifizieren und so weitermachen wie bisher. Oder man nimmt in Kauf, dass Männer wie Draghi oder Willem-Alexander solche Sachen nicht bloß sagen, weil sie sich unbeliebt machen möchten. Auch Österreich würde es gut anstehen, die Augen zu öffnen – und der Realität ins Gesicht zu blicken. Wir werden uns nicht ewig vor ihr verstecken können. jil

Problemfeld Nr. 5: Bildung

► Die bislang letzte PISA-Studie hat in der heimischen Bildungspolitik für Wirbel gesorgt. Österreich stürzte beim Schwerpunkt Lesen auf den viertletzten Platz ab. Auch im Bereich Naturwissenschaften lagen Österreichs Schüler weit unter dem OECD-Durchschnitt.

Lösung:  Schule von Ideologien befreien

Österreichs bildungspolitische Debatte muss von ideologischen Versatzstücken befreit werden. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu der oft propagierten Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine deutliche Ausweitung des Angebots von Schulen mit einer Betreuungsmöglichkeit am Nachmittag. Aber eben als Angebot, ohne Zwang – das gilt auch für das heiße Thema Gesamtschule. Eltern (und auch Schülern) muss eine Wahlfreiheit zugestanden werden. Wie wohl es reichlich früh ist, eine Entscheidung über den weiteren Bildungsweg im Alter von zehn Jahren treffen zu müssen. Dennoch: Statt die funktionierenden Gymnasien zu zerstören, sollen alternative Modelle (etwa die Neue Mittelschule) überzeugen. Abgesehen davon ist verstärkt Augenmerk auf die Neuausrichtung der Lehrpläne zu legen.

Entscheidend ist auch die Umsetzung der bereits beschlossenen neuen Lehrerausbildung. Dass Volks- und Hauptschullehrer als Pädagogen zweiter Klasse gesehen und fachlich weniger gut ausgebildet werden, ist nicht tragbar. Die Gräben zwischen Unis und Pädagogischen Hochschulen (PH) müssen überwunden und an einer besseren, gemeinsamen Ausbildung für alle Lehrer gearbeitet werden. Wie gut Schüler ausgebildet werden, hängt vor allem von der Lehrperson ab. Insofern ist eine sorgfältige Auswahl der künftigen Pädagogen entscheidend. Es gilt Aufnahmeverfahren zu entwickeln, die nicht nur fachliche, sondern auch persönliche Kompetenzen erfassen. Um aus einem vielfältigen Bewerberpool auswählen zu können, ist es ausschlaggebend, den Lehrberuf zu attraktiveren.

Zugangsbeschränkungen klar definieren

Apropos Aufnahmetests: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass der freie Uni-Zugang kaum aufrechtzuerhalten ist. Was noch nicht gelungen ist: entsprechende Zugangsregeln zu definieren. An den derzeit gültigen Halblösungen, die die Überfüllung der Hörsäle in gewissen Fächern sogar noch fortschreiben, darf nicht festgehalten werden. Man muss sich trauen, die Zahl der angebotenen Plätze an die tatsächlichen Kapazitäten anzupassen. Diese gilt es allerdings auszubauen.

Eine Lösung braucht es auch bei den Studiengebühren. Dass diese in der auslaufenden Legislaturperiode drei Mal beim Verfassungsgerichtshof landeten, ist ein Armutszeugnis für die Regierung. Es muss für Klarheit gesorgt und ein Schlusspunkt in der Diskussion gesetzt werden.   no/red.

Problemfeld Nr. 6: Gesundheit

Die Ausgaben sind im vergangenen Jahrzehnt stark gestiegen, in manchen Jahren sogar stärker als die Wirtschaftsleistung. Das lag nicht nur am demografischen Wandel, sondern auch an den ineffizienten Strukturen. Die sektorale Trennung zwischen Spitälern (Verantwortung bei Ländern) und niedergelassenen Ärzten (Kassen) führte nicht nur zu teuren Doppelgleisigkeiten, sondern auch zu einem permanenten Wettstreit um die Finanzmittel und einem Hin- und Herschieben der Patienten.

► Lösung: Weniger Planwirtschaft, mehr Service

Immerhin: Es gibt eine Lösung für das finanzielle Problem des Gesundheitswesens, wenn auch nur die zweit- oder drittbeste: Ab 2014 werden sich Länder und Sozialversicherungen die Verantwortung für die Spitäler und den niedergelassenen Bereich teilen, überwacht von der Regierung, die Mitspracherechte hat. Das ist durchaus ein Fortschritt zum Status quo. Besser wäre es freilich gewesen, hätte man die Steuerungshoheit einer einzigen, im Bund angesiedelten Stelle übertragen, im besten Fall der Regierung selbst. Dazu hätte man jedoch die Verfassung ändern und den Ländern die Verantwortung für die Krankenhäuser entziehen müssen. Was realpolitisch wohl sehr schwierig gewesen wäre, um es einmal vorsichtig zu formulieren.


Aus Sicht des Patienten ist die neue Verwaltungsstruktur ohnehin zweitrangig, solange sie nur dafür sorgt, dass die nötigen Reformen eingeleitet werden. Zunächst sollten die Öffnungszeiten in den Arztpraxen flexibilisiert werden. Abends bzw. an Wochenenden findet man derzeit kein breites medizinisches Angebot vor. Überhaupt sollte der niedergelassene Bereich ausgebaut werden, um die Spitäler zu entlasten. Das wäre auch für den Steuerzahler eine gute Nachricht, denn viele Eingriffe könnten auch tagesklinisch und daher billiger durchgeführt werden.

Regelmäßige Qualitätsberichte über einzelne Ärzte und Krankenanstalten wären eine Serviceleistung bzw. eine Orientierungshilfe für den Patienten. Andere Schwerpunkte in der Abrechnung könnten außerdem dazu führen, dass sich die Mediziner mehr Zeit für eine Behandlung nehmen (können). Derzeit wird ein Honorar fällig, sobald der Patient die E-Card gesteckt hat. Das fördert Quantität, aber nicht unbedingt Qualität.

Der Ärztemangel ist hausgemacht

Reformbedarf gibt es auch aus ärztlicher Sicht. Studien warnen vor einem Ärztemangel, der sich in den nächsten Jahrzehnten einstellen könnte. Auf dem Feld der Allgemeinmedizin ist er – zumindest im ländlichen Raum – bereits eingetreten. Gegensteuern sollte man mit Anreizen und besseren Arbeitsbedingungen. Viele Jungärzte wandern nach Deutschland aus, weil der österreichische Turnus wohl zu Recht im Ruf steht, weniger eine Ausbildung als ein Systemerhalterdienst im Krankenhaus zu sein.

Generell würde dem eher planwirtschaftlich organisierten Gesundheitssystem mehr Wettbewerb gut anstehen. Der Österreicher kann sich seine Krankenversicherung etwa nicht aussuchen – er wird seinem Beruf entsprechend einer Kasse zugeteilt. In Deutschland, Holland und der Schweiz gibt es hingegen eine Versicherungspflicht, keine Pflichtversicherung: Man kann sich den Anbieter selbst aussuchen. Dem Jahr 2013 scheint dieser Zugang wohl eher zu entsprechen.  pri

Problemfeld Nr. 7: Justiz

Da sich die Regierung im Zivilrecht (etwa bei Mietsangelegenheiten) nicht einigen kann, bleiben unklare Gesetze über. Politische Entscheidungen werden auf die Gerichte abgeschoben. Das Strafrecht ist nicht fit für neue Herausforderungen.

► Lösung: Klare Zivilgesetze, modernes Strafrecht

Wer muss zahlen, wenn in der Wohnung etwas kaputt ist, der Mieter oder der Vermieter? Klare Lösungen auf diese Fragen bietet das Gesetz nicht. Denn SPÖ (auf Mieterseite) und ÖVP, die auch Vermieter zu ihrer Klientel zählt, können sich seit vielen Jahren nicht einigen. Abhilfe in Form eines klaren Mietrechtsgesetzes täte dringend not, damit wichtige Entscheidungen nicht auf die Gerichte abgeschoben werden. Zudem muss eine faire Lösung für billige Altmieten gefunden werden.

Das Strafrecht muss sich neuen Herausforderungen stellen: So ist es momentan etwa straffrei, die Identität eines anderen im Internet anzunehmen. Auch die Frage, ob das Verhältnis der Strafdrohungen zwischen Vermögens- und Körperverletzungsdelikten passt, ist ein Dauerbrenner. Die Politik hat bis 2015 eine Überarbeitung des Strafgesetzes versprochen. Versprochen hat sie allerdings auch schon lange die Gruppenklage: Sie würde es erleichtern, wenn viele geschädigte Konsumenten gleichzeitig ein Unternehmen klagen wollen.

Im Urheberrecht benötigt man eine Lösung, damit Künstler nicht im Internetzeitalter um Rechte umfallen. Die Leerkassettenvergütung wirkt anno 2013 wie ein schlechter Witz. Auch eine Modernisierung des Erbrechts ist anzugehen. Unternehmen sollen nicht in Gefahr sein, weil der Erbe anderen sofort ihren Pflichtteil zahlen muss. Eine Stundungsmöglichkeit wäre sinnvoll. aich

Problemfeld Nr. 8: Integration

► Lösung: Die Schule als Schlüssel für bessere Integration

Der Umgang mit Migranten ist kein Randthema mehr – immerhin 1,5 Millionen Österreicher, das sind 19 Prozent der Bevölkerung, haben Migrationshintergrund. Das heißt, sie selbst oder ihre Eltern sind zugewandert. Aus einer Reihe von Problemen, die sich daraus ergeben, sollte vor allem eines vorrangig angegangen werden: der Umgang mit der zweiten Generation. Denn diese schafft in vielen Fällen den sozialen Aufstieg nicht, oft erreicht sie nicht einmal den Bildungsabschluss ihrer Eltern.

Schlüssel dafür ist zweifellos die Bildungspolitik. Wie die PISA-Ergebnisse zeigen, hinken Migrantenkinder nicht nur hinter den anderen her, sie schneiden auch deutlich schlechter ab, als Migranten in anderen Ländern. Anzusetzen wäre aber nicht nur in der Schule, in der spezielle Förderprogramme notwendig wären, sondern schon im Kindergarten. Das verpflichtende Gratiskindergartenjahr war ein Schritt in die richtige Richtung. Ein zweites Gratiskindergartenjahr – das besucht werden kann, aber nicht muss – wäre eine logische Fortsetzung.

Handlungsbedarf besteht aber auch bei der Staatsbürgerschaft: Dass Zuwanderer eine „Integrationsleistung“ erbringen müssen, um die Staatsbürgerschaft zu erhalten, ist argumentierbar – nicht aber, dass dies auch für Kinder gilt, die in Österreich geboren und aufgewachsen sind. Da wäre eine Neuregelung notwendig. maf

Problemfeld Nr. 9: Sicherheitspolitik

Traditionelle militärische Bedrohungsszenarien für Österreich existieren nicht mehr – zumindest auf absehbare Zeit. Dafür gibt es neue Bedrohungen: internationale Konflikte mit Auswirkungen nach Österreich, terroristische Angriffe, Cyber-Attacken oder Naturkatastrophen in Folge des Klimawandels. Entsprechende Instrumente, um diese Bedrohungen abwehren zu können, fehlen vielfach noch.

► Lösung: Neue Lösungen für neue Bedrohungen

Theoretisch wissen alle Bescheid: Die Bedrohungsszenarien haben sich geändert, konventionelle militärische Bedrohungen sind heute sehr unwahrscheinlich geworden. Stattdessen gibt es neue Bedrohungen, von Terrorismus über Migrationsbewegungen bis hin zu Naturkatastrophen infolge des Klimawandels. So steht es auch in der Sicherheitsstrategie, die vom Parlament verabschiedet wurde.

Aber die Konsequenzen daraus? Hat die Verteidigungspolitik aus dieser theoretischen Erkenntnis tatsächlich schon die Konsequenzen gezogen? Da ist ganz offensichtlich noch ein weiter Weg zu gehen. Am ehesten funktioniert es noch dort, wo traditionelles militärisches Denken gefragt ist: Bei der Beteiligung an internationalen Einsätzen. Österreich leistet da einen durchaus beachtlichen Beitrag – etwa auf dem Balkan.

In anderen Bereichen ist die Umstellung der Verteidigungspolitik aber überhaupt noch nicht angegangen worden. Das betrifft beispielsweise die Abwehr von Cyber-Attacken: Das Bundesheer hat einfach nicht das Personal, um sich dieser Bedrohung ernsthaft stellen zu können. Oder aber die Lahmlegung von Infrastruktureinrichtungen: Einem Blackout, also einem länger dauernden Ausfall des Stromnetzes, wäre das Land ziemlich hilflos ausgeliefert.

Die Volksbefragung um die Wehrpflicht hat die Debatte um die wahren Probleme der Sicherheitspolitik überlagert – jetzt ist es an der Zeit, sie anzugehen.  maf

Problemfeld Nr. 10: EU-Politik

Österreich kann sich in der Europäischen Union bis heute nicht wirklich ausreichend artikulieren. Da die EU-Entscheidungen nicht kommuniziert werden, wächst in der österreichischen Bevölkerung das Gefühl, die Bundesregierung trage jede auch noch so unnötige Entscheidung in Brüssel mit. Mit einigen wenigen Ausnahmen fehlt es der österreichischen Regierung in der Europäischen Union an Verbündeten.

Lösung: Aktive Europapolitik ist dringend nötig

Die Unzufriedenheit mit der EU nimmt zu und in der Wählerschaft wächst der Eindruck, dass die Regierung in Brüssel alles mitträgt – ob notwendig oder unsinnig. Dies liegt zum einen daran, dass die heimischen Vertreter im Rat der EU ihre Entscheidungen daheim nicht erklären. Eine Abhilfe wäre mehr Transparenz. Zum anderen müsste die Regierung die EU-Politik weit mehr mitgestalten, als sie es in der Vergangenheit getan hat. Wie dies möglich ist, hat das Außenministerium in der Westbalkan-Politik vorgezeigt. Durch Engagement, Vermittlung und aktive Positionierung hat Österreich hier nicht nur eine glaubwürdige Rolle übernommen, sondern kann auch die wirtschaftlichen Früchte daraus ernten.

Eine aktive Europapolitik verlangt Engagement auch bei Fragen, von denen unser Land nicht direkt profitiert – etwa in der Vermittlung einer gemeinsamen Asyl- und Zuwanderungspolitik, bei der Reform der EU-Agrarpolitik oder derzeit aktuell beim Datenschutz. Bei einem Abwägen von nationalen Interessen und Gemeinschaftsinteressen können hier glaubwürdigere Positionen eingenommen werden als durch eine schlichte Veto-Politik wie etwa in der Frage des Bankgeheimnisses für Ausländer. Eine solche aktive Haltung bringt außerdem neuen Spielraum bei anderen Fragen, die sehr wohl im ureigenen nationalen Interesse Österreichs liegen. Ein Vorbild für diese Politik ist Luxemburg, das in seiner Europapolitik stets über den eigenen Tellerrand geblickt hat.

Problemfeld Nr. 11: Außenpolitik

► Österreich ist von Exporten abhängig. Doch Außenpolitik nimmt mittlerweile einen geringen Stellenwert innerhalb der Parteien, im Parlament und in der Öffentlichkeit ein. Das zwölftreichste Land der Welt fällt international kaum auf, agiert lediglich auf dem Balkan stark. Zuletzt setzte die Bundesregierung ein negatives Ausrufezeichen: mit dem übereilten Abzug der UN-Blauhelme von den syrischen Golanhöhen.

Lösung: Mehr Mut, Kreativität und Leidenschaft, bitte

Die Debatte über die österreichische Außenpolitik erschöpft sich in der wiederkehrenden Klage, dass es keine österreichische Außenpolitik (mehr) gibt. Diese Form der Fundamentalkritik ist etwas unfair und auch nicht produktiv. Vor allem aber verdeutlicht sie, dass es keinen Diskurs über die österreichische Außenpolitik gibt. Verbessern würde sich die Qualität der Diskussion und dadurch vielleicht letztlich auch der politischen Performance nur, wenn in Parteien, Parlament und Medien außenpolitische Themen einen höheren Stellenwert einnähmen als bisher. Hilfreich wären auch Denkfabriken, die relevante Anstöße geben. Doch das ist vermutlich schon zu viel verlangt.

Ein exportorientiertes Land wie Österreich, das zu den zwölf reichsten Volkswirtschaften der Welt zählt, sollte sich eine deutlich aktivere Außenpolitik leisten. Auch im Ministerium am Minoritenplatz werden die Ressourcen knapper. Deshalb sind klare strategische Ziel- und Schwerpunktsetzungen nötig. Das klappt derzeit nur zum Teil, nämlich auf dem Balkan, wo Österreich kontinuierlich Flagge gezeigt hat. Angekündigte diplomatische Offensiven im Kaukasus und der Schwarzmeer-Region haben sich als wenig nachhaltig herausgestellt. Im Nahen Osten und auch in der UNO enttäuschte die Republik zuletzt durch den Abzug der Blauhelme von den Golan-Höhen. Um weiter als verlässlicher Partner zu gelten, muss Österreich dringend wieder Boden gut machen. Daran schließt sich die Frage, wie (angesichts der schwächelnden Unido) der UN-Standort in Wien zu stärken ist, möglicherweise als Plattform für Energiefragen.

Österreich kann nicht überall gleichermaßen präsent sein. Es müsste sich Nischen suchen, dort beharrlich Engagement, Kreativität und Mut zeigen. Und weil wir schon beim Wünschen sind: An der Spitze des Außenamts sollte, wenn es geht, jemand stehen, der international vernetzt ist und Leidenschaft ausstrahlt, der Ideen zulässt und manchmal auch selbst entwickelt. Jemand, der Österreichs Außenpolitik eine Richtung gibt. Das wäre schon auch inspirierend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2013)

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