Gesucht: Ein gnädiger Deus ex machina

Sogar Mozarts Intrigantenstadel „La clemenza di Tito“ – hier in Innsbruck 2013 – muss friedlich enden.
Sogar Mozarts Intrigantenstadel „La clemenza di Tito“ – hier in Innsbruck 2013 – muss friedlich enden.(c) APA/RUPERT LARL/INNSBRUCKER FEST (RUPERT LARL/INNSBRUCKER FESTWOCH)
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Kulturkunde: Jeder reflexive Mensch sucht nach Lösungen, ob er nun Logiker, Chemiker oder reiner Praktiker ist. Im Bereich der Künste aber herrscht meist das Rätselhafte. Das war schon im Alten Ägypten so.

Die Sektionen und Abteilungen im Gegengift sind zwar durchwegs theoretische und manchmal sogar noch abstrakte, aber wenn das Hauptblatt in Gestalt des Chefredakteurs dazu aufruft, den Lesern einmal im Jahr nicht nur Probleme aufzubereiten, sondern, ganz konträr, Lösungen anzubieten, speziell auf dem weiten Feld der Kultur, dann dürfen wir einmal in brutaler Radikalität die Macher mimen. „Alles wird gut“, sagen die Problemlöser. Um danach einzugestehen: „Gut, dass wir darüber geredet haben.“ Und ganz am Ende, das sei bereits eingangs verraten, haben wir uns sogar halbherzig zu einem kleinen Reformvorschlag hinreißen lassen.

Die Ersten, die nach der Problemstellung im Unterausschuss „feine Lösungen“ meldeten, waren die Mathematiker. Klar, die haben es leicht, nennen eine Zahl oder eine Funktion und tun so, als ob sie fertig wären. Ihr Ansatz klang diesmal aber politisch: „f (x) = 0“. Damit wird derzeit so ziemlich alles beschrieben, was Lösungskompetenz vorgibt, von der EZB über die Außenpolitik der EU bis zur kleinstmöglichen großen Koalition. Wir suchen heute jedoch ausnahmsweise nicht nach Nulllösungen, sondern zumindest nach optimalen, wenn nicht maximalen. Deshalb lassen wir vorerst das Feld der Ökonomie aus. Das Rechnen mit wirtschaftlichen Wahrscheinlichkeiten ist mindestens so heikel wie das Erstellen einer treffsicheren Wahlprognose.

„Auflösen“ ist ein vieldeutiges Wort

Nach den Logikern schalteten sich die Chemiker ein. „Das Wichtigste an Lösungen ist, dass es sauber zugeht. Sie funktionieren nur, wenn man chemisch reine Stoffe zusammenbringt, sonst ist das Ergebnis nicht homogen, sondern eine Sauerei.“ Mani pulite also auch bei den Verwandlungskünstlern unter den Naturwissenschaftlern. In der Chemie ist man sich bewusst, dass „solvere“ (auflösen, erfüllen, beseitigen oder bezahlen) mit „solution“ zusammenhängt.

Ob das Gebot der Sauberkeit auch in der chemischen Praxis immer beherzigt wird? „Problemlösen ist das, was man tut, wenn man nicht weiß, was man tun soll“, sagen Psychologen. Das liegt der Kultur des Gegengifts schon viel näher. In der Literatur, speziell im Theater, waren Lösungen nie richtig heimisch. Eine hübsche Tragödie, eine griechische also, zielt nicht auf die optimale Lösung, sondern auf eine Komplizierung, die zum bösen Ende führt. Ja, kurz davor sieht es so aus, als ob die Vernunft siegt. Das nennt man das retardierende Moment. Aber dann geht es rasch abwärts. Eigentlich gilt dieses Prinzip des unlösbaren Konfliktes auch für die Komödie. Da ist der Dramatiker nur so klug, früh genug aufzuhören.

Für angebliche Rettungen ist auf der Bühne in der Regel der Deus ex machina zuständig, eine Art Bundeskanzler mit göttlicher Richtlinienkompetenz. Das Personal unten auf der Erde hat alles verbockt, jetzt kommt der Chef und macht alles wieder heil. Oft muss er in der Opera seria einspringen, denn dort ist das gute Ende Pflicht. Sogar Mozarts Intrigantenstadel „La clemenza di Tito“ endet friedlich. Verzeihung, ist das wirklich glaubwürdig? Eher noch könnte man den armen Orpheus retten, nachdem er von seinen Groupies zerrissen wurde. Ach, Gluck, die Sache geht übel aus!

Und schon sind wir über den Mythos zu einer echten Lösung gekommen, aus Urzeiten, wie es der Kultur geziemt. Im Alten Ägypten bedeutete Lösung die Befreiung der Toten von ihren schlechten Taten. „Sefech“ (Sieben) heißt die 70 Tage währende rituelle Reinigung, die unabdingbar ist, um den Toten eine Chance auf den Übergang ins Reich des Jenseits zu ermöglichen. Durch die Lösung im See des Jenseits erfolgt die Regeneration.

So viel Zeit aber haben wir Maschinisten der Kulturkomödie nicht. Deshalb reichen wir, weil gute irdische Lösungen immer auch etwas Praktisches haben sollen, einen bescheidenen Vorschlag für einen winzigen Bereich des Etats nach. Die Kulturtreibenden im Umfeld des Staates jammern seit gut zehn Jahren darüber, dass die Subventionen für ihre Häuser und Festivals gedeckelt sind. Da aber die laufenden Kosten von Theatern, Museen, Opernhäusern wie alles im Leben der Inflation unterworfen sind, führt dieses Einfrieren der Förderungen irgendwann zu einer tragischen Bruchlandung: „f (x) = 0“.

Unsere Anregung für die zuständigen Minister, Landesräte, Bürgermeister: Koppelt doch diese Subventionen an die Steigerungsraten bei den Beamtengehältern oder Pensionen! Bei der Erhöhung der Parteienförderung waren Ihre Fraktionen doch auch nicht so zurückhaltend. Und wenn das noch immer nicht reicht in diesem Land, das so stolz auf seine Kultur ist – wie wäre es, wenn die für sie zahlen, die am meisten davon profitieren? Ganze Branchen leben nämlich von der Kultur. Man muss ja nicht gleich so großzügig sein wie die Iren, die viele Jahre ihren Dichtern Steuerfreiheit gewährten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2013)

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