Leitartikel. Das Problem der Großen Koalition ist nicht, dass die falschen Entscheidungen getroffen wurden, sondern überhaupt keine oder nur halbe. Ein Ausweg.
Die Lösung liegt in Den Haag. Oder in Helsinki. Sogar in Graz. Nennen wir sie doch ab sofort stille Koalition. Still wie Stillstand. Es ginge aber auch anders.
Was haben Niederländer und Finnen, was Österreich nicht hat? Eine richtige Regierung. Also keine Verwaltungsbehörde wie unsere Große Koalition, sondern echte Minister und einen Regierungschef, der die ganze Mannschaft führt. In Holland wurde gerade ein Reformpaket vorgelegt, das das Ende des Wohlfahrtsstaats markiert. Wie in Finnland, das vor einem Monat einen Abbau von Sozialleistungen angekündigt hat – oder vor mehreren Jahren in Schweden –, geht es darum: Der Staat ist keine Helikoptermama, bestreitet nicht von der Geburt bis zur Pension das Auskommen. Die Kinder werden erwachsen und müssen sich irgendwann selbst um- oder versorgen. Das Geld ist nämlich ausgegangen, die Steuerbelastung lässt sich nicht mehr so leicht erhöhen. Und Schulden bringen nicht nur schlechte Nachrede bei den Kindern, sondern auch höhere Zinszahlungen. Also was tun? Weiterwurschteln mit eingeschlafener Hand?
Hört man sich dieser Tage in den Institutionen des Landes um, ist die Wahrscheinlichkeit einer Fortsetzung der bisherigen Koalition sehr wahrscheinlich. Egal, was plakatiert wird, eine linke oder rechte Zweier-, Dreier- oder gar Viererkoalition ist entweder rechnerisch oder organisatorisch nicht möglich. Das bringt SPÖ-, vor allem aber ÖVP-Anhänger, die gegen eine Große Koalition sind, aber auch den jeweils anderen in der Koalition keinesfalls stärken wollen, in ein de facto unlösbares Dilemma.
Dafür haben wir in dieser Ausgabe übrigens keine Lösung, für vieles andere schon. Eine Woche vor der Wahl wollen wir Ideen, Auswege und Varianten skizzieren und vorstellen, die so manches Problem aus der Welt schaffen würden. Wir beschreiben auch Best-Practice-Modelle aus anderen Ländern.
Wir wähnen uns natürlich nicht im Besitz des Steins der Weisen. Genau genommen ist das Problem der Großen Koalition nicht, dass die falschen Entscheidungen getroffen werden, sondern überhaupt keine oder nur halbe. Dieser Stillstand, nicht nur beim Lehrerdienstrecht spürbar, ist dafür verantwortlich, dass sich die Protestparteien gegenseitig auf die Zehen steigen. So wäre es im Bildungsbereich für Schüler und Lehrer schon ein Durchbruch, würde endlich irgendeine Reform auf den Weg gebracht werden.
Oder das Thema Verwaltungsreform: Egal, ob man den Ländern Kompetenzen nimmt oder ihnen mehr (etwa Steuerverantwortung) gibt: Beides wäre besser als der schwindlige Mittelweg Österreichs.
Bei dieser Wahl könnte es für die Große Koalition schon eng werden. Geht es sich noch einmal aus, ist es die letzte Chance für SPÖ und ÖVP: Können sie keine echte Regierung auf die Beine stellen, wird Heinz-Christian Strache oder ein anderer Protestpolitiker wohl wirklich Erster. Vorbilder für Werner Faymann und Michael Spindelegger gäbe es genug: in Den Haag, Helsinki oder Graz. Dort scheren sich SPÖ und ÖVP wenig, ob ihre Reformen nur Zustimmung in der Bevölkerung ernten. Die Bundesregierung hat hingegen wenig bewegt. Sie verliert in acht Tagen dennoch Stimmen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2013)