Mehr als 78 Menschen starben, als sich in Peshawar zwei Selbstmordattentäter in einer Kirche sprengten. In zahlreichen pakistanischen Städten gingen Christen auf die Straße.
Islamabad. Nach einem Bombenanschlag auf eine christliche Kirche in der nordwestpakistanischen Stadt Peshawar ist es in vielen Städten des vornehmlich islamischen Landes zu Protesten gekommen. In Peshawar zündeten protestierende Christen Reifen an. Sie blockierten für Stunden eine Hauptstraße und bewarfen Autos mit Steinen. Proteste wurden auch aus Lahore, Faisalabad, Sialkot, der Finanzmetropole Karachi und weiteren Städten gemeldet.
Vermutlich zwei Selbstmordattentäter hatten sich am Sonntag auf dem Gelände der Allerheiligenkirche in Peshawar gesprengt. Augenzeugen berichteten, dass es kurz nach dem Ende der Messe erst eine relativ schwache Explosion an der Sicherheitsschleuse im Eingangsbereich gegeben habe. Kurz danach zündete ein zweiter Täter im Hof der Kirche, wo hunderte Kirchgänger auf eine Gratismahlzeit warteten, seine Bombe.
„Stehen christlichen Brüdern bei“
Berichte von Augenzeugen und drastische Fotos vom Anschlagsort zeugen von dem Grauen, das sich auf dem Gelände der Kirche abgespielt hat. Die Zahl der Todesopfer lag bis Sonntagabend bei mehr als 78. Mehr als 130 Menschen wurden verletzt.
Pakistans Regierung und das „Pakistan Ulema Council“, die größte klerikale muslimische Organisation des Landes, verurteilten den Anschlag. „Wir stehen unseren christlichen Brüdern in dieser Tragödie bei“, hieß es in einer Erklärung des Ulema Council.
Zu dem Anschlag hat sich vorerst niemand bekannt. Im Verdacht stehen mehrere sunnitische Extremistengruppen, die seit Monaten Anschläge auf religiöse Minderheiten verüben. Seit Jahresbeginn wurden etwa schon hunderte Schiiten getötet, es gab auch Anschläge gegen Sufi-Schreine und Gotteshäuser der Ahmaddiya-Glaubensgemeinschaft. Immer wieder sprengen sich Selbstmordattentäter auch in sunnitischen Gotteshäusern in die Luft. Häufig sind dabei moderate Geistliche oder Politiker das Ziel.
Inflation der Blasphemievorwürfe
Nur drei bis vier Prozent der Pakistani sind Christen. Sie werden öfters zum Ziel religiös motivierter Übergriffe. Viele von ihnen sind Nachkommen sozial niedrig stehender Gruppen, die während der britischen Kolonialzeit zum Christentum konvertiert sind, weil sie sich Aufstiegschancen ausgerechnet haben. Das aber hat sich nur selten erfüllt, daher zählen Christen bis heute zu den ärmsten Pakistani.
Im März hatte ein Mob in Lahore im Osten des Landes ein christliches Viertel angegriffen und mehr als 100 Häuser und zwei Kirchen zerstört. Dazu kam es nach Gerüchten, laut denen ein Christ Gotteslästerung begangen haben soll, worauf in Pakistan die Todesstrafe steht. Auffallend oft werden Christen zum Ziel von Blasphemievorwürfen. Häufig hat die Polizei die größte Mühe, die Betroffenen in Sicherheit zu bringen, auch deren Familien müssen nach solchen Vorwürfen in aller Regel aus ihrer Wohngegend fliehen.
Nicht selten stellt es sich bei den Ermittlungen dann heraus, dass die Blasphemievorwürfe nur erfunden und bloß ein Vorwand waren, hinter dem sich Nachbarschaftsstreitigkeiten, Streit um Geld, Eifersüchteleien oder andere weltliche Dispute verbergen.
Erst kürzlich hat Pakistans Regierung den Pakistanischen Taliban, deren Einflussbereich in den Stammesgebieten gleich hinter Peshawar beginnt, Friedensgespräche angeboten. Die Pakistanischen Taliban arbeiten mit Extremistengruppen aus anderen Landesteilen und solchen in Afghanistan zusammen und haben selbst Dutzende Selbstmordanschläge zu verantworten.
Die Fanatiker haben in einer ersten Reaktion den Abzug aller Sicherheitskräfte aus den Stammesgebieten zu einer Grundvoraussetzung für Friedensgespräche gemacht.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2013)