Ein Doktorat – und nur drei Euro Stundenlohn

Neue Immigranten.
Neue Immigranten. (c) Clemens Fabry
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Unbezahlbare Studienplätze, kaum Chancen auf einen Job: Immer mehr junge Südeuropäer versuchen ihr Glück in Österreich. Die größten Probleme bereitet ihnen dabei die deutsche Sprache.

Wien. 300 Bewerbungsschreiben, eine positive Antwort – und das für einen 400-Euro-Job, der nichts mit seiner Ausbildung zu tun hatte: Das ist die Bilanz von Bonifacios Jobsuche nach seinem Studienabschluss in Granada. Vor einer Woche zog er deshalb kurzerhand nach Wien, in der Hoffnung, hier Arbeit als Dolmetscher zu finden.

Rund 56 Prozent der unter 24-Jährigen in Spanien sind arbeitslos. In Griechenland sind es sogar fast 62 Prozent. Und wie für Bonifacio heißt die Lösung für immer mehr junge Südeuropäer: ab in den Norden – zum Beispiel nach Deutschland oder Österreich. Die Einwanderungen pro Jahr aus Griechenland, Spanien und Portugal haben sich in Österreich seit 2009 fast verdreifacht – die meisten Immigranten sind in ihren Zwanzigern.

Job nur mit drei Masterabschlüssen

„Spanien ist perfekt für den Urlaub. Aber für Uni-Absolventen ist es nicht ,the place to be‘“, fasst Bonifacios Landsmann Guillermo die Situation zusammen. Auch er lebt mittlerweile in Österreich. Nach seinem Uni-Abschluss in Barcelona absolvierte er ein Praktikum in Wien bei einem spanischen Telefonanbieter. Der musste den Standort in Wien jedoch auflassen. „Jetzt bin ich seit einer Woche arbeitslos“, erzählt Guillermo. Deshalb zurück nach Barcelona zu gehen ist für ihn aber trotzdem keine Option. „Wenn du dich dort um einen Job bewirbst, brauchst du drei Masterabschlüsse. Du hast nur zwei? Dann nehmen sie dich nicht, oder sie zahlen dich wie einen Kellner.“

Doch nicht nur die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist für die Jugend ein Problem: Viele können sich auch die Einschreibegebühren an den Universitäten nicht mehr leisten. Das wirkt sich auch auf die Studentenzahlen in Österreich aus: Die Zahl der neu zugelassenen Studierender aus Spanien und Griechenland hat sich seit 2008 mehr als verdoppelt. Erstzulassungen aus anderen EU-Ländern bleiben jedoch gleich oder gehen sogar zurück. Im Jahr 2008 kamen gerade einmal 75 Griechen nach Österreich, um zu studieren. Allein im Wintersemester 2012 schrieben sich schon mehr als doppelt so viele an österreichischen Unis ein. Österreich ist nicht zuletzt deshalb beliebt, weil der offene Hochschulzugang einen relativ unkomplizierten Studienbeginn ermöglicht. Hinzu kommt, dass EU-Bürger in Österreich keine Studiengebühren zahlen müssen.

Auch Silia kam, um zu studieren, nach Wien, wo sie sich für Romanistik eingeschrieben hat. Sie ist nicht wegen der Krise gekommen, sondern, weil sie ins Ausland wollte und gut Deutsch spricht. Als sie daher vor zwei Jahren von Athen nach Wien zog, waren ihre Eltern zunächst nicht begeistert. Jetzt soll sie, wenn es nach ihnen geht, auf keinen Fall nach Hause zurückkehren. Ihre Freundin Penelope ist ebenfalls für das Studium nach Österreich gezogen – und zum Arbeiten geblieben. „Manchmal vermisse ich meine Heimat“, sagt Penelope. „Aber für drei Euro Stundenlohn habe ich kein Doktorat gemacht. Vielleicht sehe ich das irgendwann romantischer, aber jetzt bin ich zu stolz.“

„Griechenland ist nichts für Junge“

Silias Familie geht es in Griechenland verhältnismäßig gut: Ihre Eltern besitzen ein Haus. Sie müssen dafür zwar hohe Steuern zahlen, aber wenigstens keine Miete – und sie bekommen noch eine Pension. „Griechenland ist schön für alte Leute. Aber nichts für junge. Jedenfalls nichts für die, die Träume haben“, sagt Silia. „Aber wer träumt denn noch in Griechenland?“, fragt Penelope.

Das größte Problem für die meisten jungen Einwanderer: die Sprache. Wer kann, leistet sich schon zu Hause einen Deutschkurs, die anderen beginnen damit in Wien. Die Nachfrage steigt, bestätigt Brigitte Stockinger-Resch vom Internationalen Kulturinstitut Wien. Viele junge Griechen würden die Sprache unterschätzen, sagt Penelope. Den meisten sei nicht bewusst, dass es in Österreich kaum möglich sei zu arbeiten, ohne Deutsch zu sprechen. In Deutschland sei das anders. „Dort gibt es eine große griechische Community. Du überlebst auch, wenn du kein Deutsch sprichst“, erzählt sie.

Guillermo lernt jedenfalls Deutsch, seit er nach Wien gekommen ist. Beim Interview spricht er dann doch lieber Englisch. „Wir Spanier haben leider kein Talent für Sprachen“, sagt er. Der nächste Schritt für ihn: ein Intensivkurs. „Selbst wenn das Inserat auf Englisch ist und in der Arbeit dann Englisch gesprochen wird: Überall ist Deutsch Voraussetzung“, sagt er. Und so beginnt auch Bonifacio nach einer Woche in Wien einen Sprachkurs. „Ich bin im Grunde nur wegen der Chance gekommen, die jeder haben sollte: der Chance auf eine Ausbildung und Arbeit.“

AUF EINEN BLICK

Auswandern. Rund 56 Prozent der unter 24-Jährigen
in Spanien sind arbeitslos. In Griechenland sind es sogar 62 Prozent. Das bewegt viele junge Südeuropäer dazu auszuwandern. Deutschland und Österreich sind dabei durchaus beliebt. Und zwar nicht nur für jene, die hier Arbeit suchen, sondern auch für die, die hier studieren wollen. Denn viele können sich die hohen Einschreibgebühren an ihren heimischen Unis nicht leisten. Das sorgt für einen deutlichen Anstieg der neu zugelassenen Studenten aus Spanien und Griechenland.

Im Jahr 2008 kamen gerade einmal 75 Griechen nach Österreich, um zu studieren. Allein im Wintersemester 2012 haben schon mehr als doppelt so viele an österreichischen Unis inskribiert. Erstzulassungen aus anderen EU-Ländern bleiben jedoch gleich oder gehen sogar zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2013)

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