Grüne treten zurück, Liberale privatisieren sich

Gruene treten zurueck
Gruene treten zurueck(c) EPA (MAURIZIO GAMBARINI)
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Claudia Roth und Renate Künast räumen ihre Posten. Auch Piraten-Chef Schlömer gibt auf. Den FDP-Ministern Rösler und Westerwelle bleibt nur die Rückkehr zu ihren alten Berufen.

Berlin. Die deutschen Grünen führen eine Art Götterdämmerung auf, aber niemand führt Regie. Man kann es nur mit blinder Panik nach der Wahlniederlage am Sonntag erklären: Zwei Spitzenpolitikerinnen treten fast gleichzeitig zurück und bewerben sich um denselben Repräsentationsposten. Am Dienstagmorgen gab Ko-Parteichefin Claudia Roth bekannt, sie werde beim anstehenden Krisenparteitag nicht mehr für den Parteivorsitz kandidieren.

Ganz die Politik verlassen will die selbst ernannte Seele der Partei freilich nicht: Sie strebt nun den Job der Bundestagsvizepräsidentin an. Zwei Stunden später meldete sich Ko-Fraktionschefin Renate Künast: Auch sie tritt zurück. Auch sie will Bundestagsvizepräsidentin werden.

Das wird eng. Zumal dort eine Kollegin sitzt, für die eine Anschlussverwendung noch zu suchen wäre: Katrin Göring-Eckardt, glücklose Ko-Spitzenkandidatin im Bundestagswahlkampf. Freilich wäre bald dank Künast ein Fraktionsvorsitz frei. „KGE“ stünde dann allerdings nicht mehr an der Seite von Jürgen Trittin, der für den programmatischen Schwenk zu linker Steuerpolitik und damit für die Wahlschlappe verantwortlich ist. Der Grüne Ko-Spitzenkandidat im Wahlkampf hat seine Konsequenz gezogen und ausgeschlossen, beim Parteitag neuerlich zu kandidieren.

Wowereit zieht sich zurück

Aber auch andere Parteien verlieren vertraute Gesichter. Schon am Sonntagabend, mitten im Freudentaumel der siegreichen Union, meldete CDU-Familienministerin Kristina Schröder schriftlich ihren Rückzug an. Sie wolle sich nun stärker um ihre kleine Tochter kümmern.

Gewundert hat es niemanden: Das Gerücht kam schon im April auf und wurde im Ministerium nicht dementiert. Die junge Ministerin konnte sich nicht durchsetzen und war mit ihrem Amt überfordert.

Nicht mehr für den stellvertretenden SPD-Vorsitz kandidieren will Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit. Der Chefpirat tritt, wie es sich gehört, auf Twitter zurück: Bernd Schlömer zieht die Konsequenz aus dem Niedergang der jungen Netzpartei. Es sieht danach aus, als käme die beliebte Vordenkerin Marina Weisband zurück, um bei den Piraten zu retten, was noch zu retten ist.

Ein völlig neues Leben beginnt nun zwangsweise für die Politiker der FDP. Ohne Präsenz im Parlament haben viele Liberale keine politische Existenzberechtigung mehr. Abgeordnete räumen ihre Büros in Berlin und kündigen Mitarbeiter. Viele kehren wohl notgedrungen zurück in die Berufe, die sie gelernt haben. Auch die gelben Kabinettsmitglieder: Noch-Außenminister Guido Westerwelle und Noch-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sind als Rechtsanwälte zugelassen. Der bisherige Parteichef und Vizekanzler Philipp Rösler hat einst eine Ausbildung zum Augenarzt abgebrochen, um sich der Politik zu widmen. Möglicherweise tauscht er nun den Anzug wieder mit dem weißen Kittel. Weniger Sorgen muss man sich um Rainer Brüderle machen: Der Fraktionsvorsitzende und glücklose Spitzenkandidat darf im Ruhestand ungestraft mit jungen Frauen schlüpfrig flirten. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2013)

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