Der ideale Euro - oder der Traum von einer Wirtschaft ohne Politik

Der IWF hat recht: Der Euro braucht eine Fiskalunion. Der IWF hat unrecht: Der Euro ist keine technische Frage, sondern eine machtpolitische.

Es ist das ewig gleiche Schicksal, das die faszinierende Gedankenwelt von Wirtschaftsexperten begleitet. Sie konstruieren logische, sinnvolle Modelle, belegen sie mit Statistiken oder historischen Entwicklungen und präsentieren sie der Öffentlichkeit. Und dann folgt die Enttäuschung, dass die Öffentlichkeit dieses Modell nicht umgehend und exakt übernimmt. Letztlich entsteht daraus sogar ein Streit über die wahre Lehre, die jede für sich den absoluten Anspruch erhebt. Wenn eine dieser Lehren an der sozialen Realität scheitert – was so sicher ist wie das Amen im Gebet –, wird das unreine System dafür verantwortlich gemacht. Hätte vielleicht der Marxismus genauso funktioniert wie der Kapitalismus, wäre er rein geblieben? Es ist müßig, diese Frage zu beantworten, denn der Mensch mit all seiner Kompromisssehnsucht macht mit großer Verlässlichkeit jedem ökonomischen Modell einen dicken Strich durch die Rechnung. Und die Politik als solche ist deren Abgrund.

Wenn die Experten des IWF behaupten, die Währungsunion kann nur funktionieren, wenn sie in einer Fiskalunion eingebettet ist, haben sie im Grunde recht. Der Euro hat, wie es der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jacques Delors ausdrückt, „einen Konstruktionsfehler“. Er wurde ohne politische Union errichtet, die mehr zentrale Aufsicht über die Fiskalpolitik der Teilnehmerstaaten garantiert hätte. Helmut Kohl sagte 1991: „Jemand, der davon ausgeht, man könnte die Währung ohne politische Union machen, irrt.“ Der deutsche Kanzler tat es schließlich dennoch und beruhigte Zweifler mit der Illusion, dass die staatsähnliche Konstruktion der EU, die für eine Währung besser gewesen wäre, nachgeliefert würde.

Wir kennen die Geschichte. Kohls Ausbaupläne blieben in der Schublade. Die Stabilitätskonstruktion des Euro wurde ein Kompromiss, weil kein Teilnehmerland bereit war, auf Souveränität in der Haushaltspolitik zu verzichten. Ein erster vorsichtiger Ansatz einer Fiskalunion scheiterte 1996 in Dublin an Ländern wie Frankreich, die nicht einmal automatische Strafen für Verfehlungen in der Haushaltspolitik akzeptieren wollten. So wurden zwar mit dem Euro-Stabilitätspakt Grenzen definiert, die das Ausufern von Defiziten und Schulden der Teilnehmerstaaten verhindern sollten, doch fehlte das notwendige Machtinstrument, diese Grenzen auch durchzusetzen. Die Folge war, dass Frankreich und Deutschland gleich in den ersten Jahren der neuen Währung deren Haushaltsregeln brechen konnten.

Wer die ideale Währungsunion auf dem Reißbrett entwirft, wird so wie der IWF zu dem Schluss kommen, dass eine Fiskalunion logisch und notwendig ist. Um die Haushaltsdisziplin der Teilnehmerländer zu garantieren, brauchte es eine zentrale Aufsicht, es brauchte ausreichende gemeinsame finanzielle Puffer und Sicherheiten. Es brauchte direkte Einflussnahme auf nationale und regionale Haushalte – auf deren Einnahmen und Ausgaben. Es brauchte auch eine gemeinsam koordinierte Wirtschaftspolitik, um Verwerfungen wie die spanische Immobilienblase, die irische Finanzblase oder Griechenlands Nepotismusblase zu verhindern.


In einem solchen idealen Modell sind politische Kompromisse freilich nicht eingerechnet. Doch die EU-Politik ist ein ständig gelebter Kompromiss. Deshalb mag der IWF recht haben, und doch wieder nicht. Diese Währungsunion wird ihren Idealzustand sicher nicht durch einen großen Schritt zu einer Fiskalunionerreichen. Die Krise hat bereits zu hässlichen Anbauten wie dem Fiskalpakt und dem Rettungsfonds ESM geführt. Die seltsame Konstruktion des Euro wird höchstwahrscheinlich auch weiter ausgebaut werden. Aber es wird immer nur das geschehen, was unbedingt und sofort notwendig ist.

Letztlich ist die Zukunft der Währung nicht so sehr eine technische Frage, sondern vielmehr eine machtpolitische. Den Teilnehmerstaaten dürfte nämlich irgendwann klar werden, dass sie ihre Souveränität nur bewahren können, wenn sie durch eiserne Haushaltsdisziplin und verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik zu einem stabilen Euro beitragen. Jegliche Verfehlung wird sie Macht kosten.

E-Mails an:wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2013)

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