Sozialer Aufstieg: Schwammiger Begriff, ambivalentes Ziel

Die Sozialdemokratie kümmert sich um Dinge, die eigentlich liberales Kerngeschäft wären.

Bildungsferne Schichten, Bildungsverlierer und sozial Benachteiligte: So benennen Wissenschaft, Politik, Medien – einschließlich des Establishments der Arbeiterbewegung – jene Menschen, die die ganz normalen Jobs machen. Interessant ist, dass von linker Seite seit Jahrzehnten mit diesen Begriffen völlig selbstverständlich hantiert wird.

Wie das passieren konnte, lässt sich vielleicht mit Beobachtungen des deutschen Parteienforschers Franz Walter und des britischen Politikwissenschaftlers Colin Crouch begründen. Letzterer betont, dass die Arbeiterklasse über Jahrzehnte jene Bevölkerungsgruppe war, die den industriellen Fortschritt symbolisierte. Walter verweist auf das stolze Selbstverständnis, das die Arbeiterbewegung in der Arbeiterklasse verbreitete: Berufsstolz, Disziplin, Selbstbewusstsein und Optimismus sind Attribute, mit denen er die klassenbewusste Arbeiterschaft bedenkt.

Über ein Jahrhundert war die Klassengesellschaft das Sinnbild der industriellen Arbeiterschaft: Zwar steht man selbst ganz unten, aber dadurch trägt man auch die Welt auf seinen Schultern. Spannend ist dabei, dass sich der sozialdemokratische Diskurs mit dem ökonomischen Fortschritt der Nachkriegszeit unter der Chiffre „Chancengleichheit“ in Richtung sozialer Aufstieg verschob.

Große Frustrationen

So erfreulich es ist, dass viele Menschen aus der traditionellen Arbeiterklasse diesen Aufstieg geschafft haben, so ambivalent ist der Begriff für die gesamte Arbeiterbewegung.

Sozialer Aufstieg für die einen heißt soziale Stagnation, wenn nicht gar relativer Abstieg für andere. Wer Chancengleichheit herstellen möchte, muss als primäres Ziel haben, finanzielle, kulturelle oder ethnische Benachteiligungen in der Gesellschaft auszugleichen und jedes einzelne Kind vor dem Hintergrund dieses Missverhältnisses in seiner individuellen Entwicklung zu unterstützen. Wenn sich die Sozialdemokratie dieses Ziel setzt, erledigt sie damit meiner Meinung nach einen Job, der eigentlich liberales Kerngeschäft sein sollte. Denn in der Realität werden viele Menschen nie sozial aufsteigen! Wenn ihnen aber konstant über die Politik und die Massenmedien vermittelt wird, dass sozialer Aufstieg alles sei, worum es im Leben gehe, kann es zu großen Frustrationen kommen.

Der Wert der Arbeit

Im Jahr 2011 gab es laut Statistik Austria zwei Millionen Beschäftigte, die man de facto als die manuelle Arbeiterklasse betrachten kann und die mehr als die Hälfte der gesamten unselbstständig Erwerbstätigen in Österreich bilden. Wenn in der Sozialdemokratie also vom sozialen Aufstieg gesprochen wird, impliziert das indirekt eine Abwertung einer Gruppe von Menschen, die weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmacht.

Dieses Problem hatte man vor 100 Jahren nicht, weil damals der Wert der Arbeit im Vordergrund stand. Diesen sozialdemokratisch geprägten Diskurs über Leistungsträger hat die Linke längst an die Liberalen verloren. Als exemplarisch dafür kann die Empörung jener marktliberalen Kräfte gesehen werden, die sich darüber echauffieren, dass von ihrer komfortabel arbeitenden und gut bezahlten Klientel überhaupt Steuern verlangt werden.

In ihrer Empörung sind sie blind gegenüber jenen, von denen sie tagtäglich bedient, befördert und bekocht werden. Sie selbst müssen entweder niemandem dienen, oder erhalten für ihre Dienstleistungen einen guten Lohn, Sinnstiftung oder Selbstverwirklichung.

Jenen, die tagtäglich bedienen, befördern und bekochen, wieder Würde und Anerkennung zu geben und ihnen angemessene finanzielle Vergütung und kulturelle Entfaltung zu ermöglichen, das ist vielleicht die wichtigste Rückbesinnung, die von der Arbeiterbewegung zu leisten wäre.

Nikolaus Kowall ist Gründer und Vorsitzender der Sektion 8 (SPÖ) und Lektor an der FH Wien. Diesen Text verfasste er für Denkt.at.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2013)

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